Ein sonst fast augenfälligs Wunder, mit einger Andacht- anzusehn, Sich ihres Nutzens wegen freun, und Gottes Allmacht zu erhöhn; Warum, da sie vernünftig sind, sie der Geschöpfe Herr- lichkeit, Zu Ehren Des, Der sie gemacht, nicht würdigen zu über- legen.
Dieß bringt mich auf ein ferners Denken, und auf ein ernstliches Erwegen, Was doch der Menschen Absicht sey, in ihrer ganzen Lebens-Zeit; Ob sie hier einen Endzweck haben: wie, oder ob wir, gleich den Thieren, Von einem Tag zum andern leben; seyn, und uns wiederum verlieren. Man stehet auf, man legt sich nieder; man ziehet Kleider aus und an: Dieß thut ein Kind, dieß thut der Jüngling, der Mann, und auch der alte Mann; Das andere Geschlecht nicht minder. Dieß heißt man, seyn; dieß heißt man, leben.
Wenn man uns aber einmal fragte: Zu welchem End- zweck lebet ihr? Was ist die Absicht eures Lebens? Zu welchem Ende seyd ihr hier? Wozu schuff euch, Der euch geschaffen? was würdet ihr für Antwort geben?
Zu
Neu-Jahrs-Gedicht, auf das 1740ſte Jahr.
Ein ſonſt faſt augenfaͤlligs Wunder, mit einger Andacht- anzuſehn, Sich ihres Nutzens wegen freun, und Gottes Allmacht zu erhoͤhn; Warum, da ſie vernuͤnftig ſind, ſie der Geſchoͤpfe Herr- lichkeit, Zu Ehren Des, Der ſie gemacht, nicht wuͤrdigen zu uͤber- legen.
Dieß bringt mich auf ein ferners Denken, und auf ein ernſtliches Erwegen, Was doch der Menſchen Abſicht ſey, in ihrer ganzen Lebens-Zeit; Ob ſie hier einen Endzweck haben: wie, oder ob wir, gleich den Thieren, Von einem Tag zum andern leben; ſeyn, und uns wiederum verlieren. Man ſtehet auf, man legt ſich nieder; man ziehet Kleider aus und an: Dieß thut ein Kind, dieß thut der Juͤngling, der Mann, und auch der alte Mann; Das andere Geſchlecht nicht minder. Dieß heißt man, ſeyn; dieß heißt man, leben.
Wenn man uns aber einmal fragte: Zu welchem End- zweck lebet ihr? Was iſt die Abſicht eures Lebens? Zu welchem Ende ſeyd ihr hier? Wozu ſchuff euch, Der euch geſchaffen? was wuͤrdet ihr fuͤr Antwort geben?
Zu
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Neu-Jahrs-Gedicht, auf das 1740ſte Jahr.
Ein ſonſt faſt augenfaͤlligs Wunder, mit einger Andacht-
anzuſehn,
Sich ihres Nutzens wegen freun, und Gottes Allmacht
zu erhoͤhn;
Warum, da ſie vernuͤnftig ſind, ſie der Geſchoͤpfe Herr-
lichkeit,
Zu Ehren Des, Der ſie gemacht, nicht wuͤrdigen zu uͤber-
legen.
Dieß bringt mich auf ein ferners Denken, und auf
ein ernſtliches Erwegen,
Was doch der Menſchen Abſicht ſey, in ihrer ganzen
Lebens-Zeit;
Ob ſie hier einen Endzweck haben: wie, oder ob wir,
gleich den Thieren,
Von einem Tag zum andern leben; ſeyn, und uns
wiederum verlieren.
Man ſtehet auf, man legt ſich nieder; man ziehet Kleider
aus und an:
Dieß thut ein Kind, dieß thut der Juͤngling, der Mann,
und auch der alte Mann;
Das andere Geſchlecht nicht minder. Dieß heißt man,
ſeyn; dieß heißt man, leben.
Wenn man uns aber einmal fragte: Zu welchem End-
zweck lebet ihr?
Was iſt die Abſicht eures Lebens? Zu welchem Ende
ſeyd ihr hier?
Wozu ſchuff euch, Der euch geſchaffen? was wuͤrdet ihr
fuͤr Antwort geben?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/329>, abgerufen am 11.12.2023.
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