Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 14. Die Stände.
ja sogar einem Fremden, dem Oströmer Belisar boten sie die Krone
an. Doch stellen sich diese und ähnliche Fälle nur als Ausnahmen
von der regelmässigen Ordnung dar, nach welcher sich die politische
Herrschaft als eine thatsächlich erbliche in den Händen des Adels
befand72.

Als ein Stand im eigentlichen Sinne können sonach die nobiles
der taciteischen Epoche nicht mit Sicherheit bezeichnet werden. Erst in
der Zeit nach den grossen Wanderungen tritt uns bei den meisten
deutschen Stämmen die ständische Abschliessung des Adels als voll-
endet entgegen, indem sie in dem höheren Wergeld ihren untrüglichen
Ausdruck findet. Wo sich ein Königtum als Einherrschaft über die
ganze civitas ausbildete, blieben die dem Königsgeschlechte nicht an-
gehörigen Adelsfamilien entweder im Besitz eines abhängigen Unter-
königtums oder sie lebten als mediatisierter Adel fort, getragen durch
herkömmliches Ansehen, hervorragend durch höheres Wergeld. Als
solche mediatisierte Sippen werden mit Recht die fünf Adelsgeschlechter
des bairischen Volksrechtes angesehen. Bei den Franken führte die
Entwicklung der königlichen Einherrschaft zur Beseitigung des alten
Geschlechtsadels.

So kennzeichnet sich das altgermanische Ständewesen durch das
Fehlen kastenartiger Abschliessung. Für die Bildung eines Adels-
standes sind in dem Adel der Urzeit nur erst die Ansätze vorhanden.
Wahrer Stände sind nur zwei vorhanden, die Freien und die Liten.
Allein die Kluft, die sie trennt, ist keine unübersteigliche. Die Frei-
lassung und die Aufnahme in die Volksgenossenschaft vermag dem
Liten die Rechte des Freien zu gewähren. Die Knechtschaft ist, weil
Rechtsunfähigkeit, nicht sowohl als ein Stand, denn als ein Zustand
der Standeslosigkeit aufzufassen. Aber auch dem Knechte eröffnet
die Freilassung die Möglichkeit in die Reihe der volksrechtlich an-
erkannten Stände einzutreten.

72 Jordanis sagt c. 33 in bezeichnender Weise von dem ostgotischen Königsge-
schlechte: quis de Amalo dubitaret, si vacasset elegere? Die deutschen Könige
waren vor Abfassung des Sachsenspiegels ausnahmelos aus dem Kreise der Fürsten
gewählt worden. Dennoch stellt der Sachsenspiegel Landr. III 54 § 3 für die
Giltigkeit der Königswahl nur die Voraussetzung auf, dass der König frei und echt
geboren sei.

§ 14. Die Stände.
ja sogar einem Fremden, dem Oströmer Belisar boten sie die Krone
an. Doch stellen sich diese und ähnliche Fälle nur als Ausnahmen
von der regelmäſsigen Ordnung dar, nach welcher sich die politische
Herrschaft als eine thatsächlich erbliche in den Händen des Adels
befand72.

Als ein Stand im eigentlichen Sinne können sonach die nobiles
der taciteischen Epoche nicht mit Sicherheit bezeichnet werden. Erst in
der Zeit nach den groſsen Wanderungen tritt uns bei den meisten
deutschen Stämmen die ständische Abschlieſsung des Adels als voll-
endet entgegen, indem sie in dem höheren Wergeld ihren untrüglichen
Ausdruck findet. Wo sich ein Königtum als Einherrschaft über die
ganze civitas ausbildete, blieben die dem Königsgeschlechte nicht an-
gehörigen Adelsfamilien entweder im Besitz eines abhängigen Unter-
königtums oder sie lebten als mediatisierter Adel fort, getragen durch
herkömmliches Ansehen, hervorragend durch höheres Wergeld. Als
solche mediatisierte Sippen werden mit Recht die fünf Adelsgeschlechter
des bairischen Volksrechtes angesehen. Bei den Franken führte die
Entwicklung der königlichen Einherrschaft zur Beseitigung des alten
Geschlechtsadels.

So kennzeichnet sich das altgermanische Ständewesen durch das
Fehlen kastenartiger Abschlieſsung. Für die Bildung eines Adels-
standes sind in dem Adel der Urzeit nur erst die Ansätze vorhanden.
Wahrer Stände sind nur zwei vorhanden, die Freien und die Liten.
Allein die Kluft, die sie trennt, ist keine unübersteigliche. Die Frei-
lassung und die Aufnahme in die Volksgenossenschaft vermag dem
Liten die Rechte des Freien zu gewähren. Die Knechtschaft ist, weil
Rechtsunfähigkeit, nicht sowohl als ein Stand, denn als ein Zustand
der Standeslosigkeit aufzufassen. Aber auch dem Knechte eröffnet
die Freilassung die Möglichkeit in die Reihe der volksrechtlich an-
erkannten Stände einzutreten.

72 Jordanis sagt c. 33 in bezeichnender Weise von dem ostgotischen Königsge-
schlechte: quis de Amalo dubitaret, si vacasset elegere? Die deutschen Könige
waren vor Abfassung des Sachsenspiegels ausnahmelos aus dem Kreise der Fürsten
gewählt worden. Dennoch stellt der Sachsenspiegel Landr. III 54 § 3 für die
Giltigkeit der Königswahl nur die Voraussetzung auf, daſs der König frei und echt
geboren sei.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0126" n="108"/><fw place="top" type="header">§ 14. Die Stände.</fw><lb/>
ja sogar einem Fremden, dem Oströmer Belisar boten sie die Krone<lb/>
an. Doch stellen sich diese und ähnliche Fälle nur als Ausnahmen<lb/>
von der regelmä&#x017F;sigen Ordnung dar, nach welcher sich die politische<lb/>
Herrschaft als eine thatsächlich erbliche in den Händen des Adels<lb/>
befand<note place="foot" n="72">Jordanis sagt c. 33 in bezeichnender Weise von dem ostgotischen Königsge-<lb/>
schlechte: quis de Amalo dubitaret, si vacasset elegere? Die deutschen Könige<lb/>
waren vor Abfassung des Sachsenspiegels ausnahmelos aus dem Kreise der Fürsten<lb/>
gewählt worden. Dennoch stellt der Sachsenspiegel Landr. III 54 § 3 für die<lb/>
Giltigkeit der Königswahl nur die Voraussetzung auf, da&#x017F;s der König frei und echt<lb/>
geboren sei.</note>.</p><lb/>
          <p>Als ein Stand im eigentlichen Sinne können sonach die nobiles<lb/>
der taciteischen Epoche nicht mit Sicherheit bezeichnet werden. Erst in<lb/>
der Zeit nach den gro&#x017F;sen Wanderungen tritt uns bei den meisten<lb/>
deutschen Stämmen die ständische Abschlie&#x017F;sung des Adels als voll-<lb/>
endet entgegen, indem sie in dem höheren Wergeld ihren untrüglichen<lb/>
Ausdruck findet. Wo sich ein Königtum als Einherrschaft über die<lb/>
ganze civitas ausbildete, blieben die dem Königsgeschlechte nicht an-<lb/>
gehörigen Adelsfamilien entweder im Besitz eines abhängigen Unter-<lb/>
königtums oder sie lebten als mediatisierter Adel fort, getragen durch<lb/>
herkömmliches Ansehen, hervorragend durch höheres Wergeld. Als<lb/>
solche mediatisierte Sippen werden mit Recht die fünf Adelsgeschlechter<lb/>
des bairischen Volksrechtes angesehen. Bei den Franken führte die<lb/>
Entwicklung der königlichen Einherrschaft zur Beseitigung des alten<lb/>
Geschlechtsadels.</p><lb/>
          <p>So kennzeichnet sich das altgermanische Ständewesen durch das<lb/>
Fehlen kastenartiger Abschlie&#x017F;sung. Für die Bildung eines Adels-<lb/>
standes sind in dem Adel der Urzeit nur erst die Ansätze vorhanden.<lb/>
Wahrer Stände sind nur zwei vorhanden, die Freien und die Liten.<lb/>
Allein die Kluft, die sie trennt, ist keine unübersteigliche. Die Frei-<lb/>
lassung und die Aufnahme in die Volksgenossenschaft vermag dem<lb/>
Liten die Rechte des Freien zu gewähren. Die Knechtschaft ist, weil<lb/>
Rechtsunfähigkeit, nicht sowohl als ein Stand, denn als ein Zustand<lb/>
der Standeslosigkeit aufzufassen. Aber auch dem Knechte eröffnet<lb/>
die Freilassung die Möglichkeit in die Reihe der volksrechtlich an-<lb/>
erkannten Stände einzutreten.</p>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0126] § 14. Die Stände. ja sogar einem Fremden, dem Oströmer Belisar boten sie die Krone an. Doch stellen sich diese und ähnliche Fälle nur als Ausnahmen von der regelmäſsigen Ordnung dar, nach welcher sich die politische Herrschaft als eine thatsächlich erbliche in den Händen des Adels befand 72. Als ein Stand im eigentlichen Sinne können sonach die nobiles der taciteischen Epoche nicht mit Sicherheit bezeichnet werden. Erst in der Zeit nach den groſsen Wanderungen tritt uns bei den meisten deutschen Stämmen die ständische Abschlieſsung des Adels als voll- endet entgegen, indem sie in dem höheren Wergeld ihren untrüglichen Ausdruck findet. Wo sich ein Königtum als Einherrschaft über die ganze civitas ausbildete, blieben die dem Königsgeschlechte nicht an- gehörigen Adelsfamilien entweder im Besitz eines abhängigen Unter- königtums oder sie lebten als mediatisierter Adel fort, getragen durch herkömmliches Ansehen, hervorragend durch höheres Wergeld. Als solche mediatisierte Sippen werden mit Recht die fünf Adelsgeschlechter des bairischen Volksrechtes angesehen. Bei den Franken führte die Entwicklung der königlichen Einherrschaft zur Beseitigung des alten Geschlechtsadels. So kennzeichnet sich das altgermanische Ständewesen durch das Fehlen kastenartiger Abschlieſsung. Für die Bildung eines Adels- standes sind in dem Adel der Urzeit nur erst die Ansätze vorhanden. Wahrer Stände sind nur zwei vorhanden, die Freien und die Liten. Allein die Kluft, die sie trennt, ist keine unübersteigliche. Die Frei- lassung und die Aufnahme in die Volksgenossenschaft vermag dem Liten die Rechte des Freien zu gewähren. Die Knechtschaft ist, weil Rechtsunfähigkeit, nicht sowohl als ein Stand, denn als ein Zustand der Standeslosigkeit aufzufassen. Aber auch dem Knechte eröffnet die Freilassung die Möglichkeit in die Reihe der volksrechtlich an- erkannten Stände einzutreten. 72 Jordanis sagt c. 33 in bezeichnender Weise von dem ostgotischen Königsge- schlechte: quis de Amalo dubitaret, si vacasset elegere? Die deutschen Könige waren vor Abfassung des Sachsenspiegels ausnahmelos aus dem Kreise der Fürsten gewählt worden. Dennoch stellt der Sachsenspiegel Landr. III 54 § 3 für die Giltigkeit der Königswahl nur die Voraussetzung auf, daſs der König frei und echt geboren sei.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/126
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/126>, abgerufen am 10.04.2024.