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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
ags. thegen31, nord. thegn. Er ist verwandt mit dem griechischen
teknon und bedeutet den Knaben, den Helden, den Diener32. Die
Gefolgschaft, comitatus, bezeichnete das Wort Gesinde, ahd. gasindi,
kisintscaf, alts. giseithi, ags. geseidd. Als gasindii, gasindi, geseidas be-
gegnen uns die Gefolgsleute bei Langobarden, Franken und Angel-
sachsen. Mit Rücksicht auf die Zugehörigkeit zum Hause, zur Familie
des Herrn heisst der Gefolge bei den Nordgermanen hirthman (Haus-
mann) oder Hauskerl33. Das Altfränkische hat für die Gefolgschaft
den Ausdruck trustis34, Schutz, protectio, tuitio, für die königlichen
Gefolgsgenossen das Wort antrustiones, wörtlich protectores, wobei an
den Schutz zu denken ist, welchen die Gefolgsleute dem Herrn zu
leisten verpflichtet sind35. Andere Bezeichnungen bringen die Gefolgs-
genossen unter den Gesichtspunkt der Verwandtschaft. Magen, magas
heissen sie im Beovulf36. Als Verwandte fasst die Glieder der Gefolg-
schaft der Ausdruck Gätlinge, gaten, ags. gaedelingas zusammen37. Un-
serem neuhochdeutschen Gefolge entspricht ein althochdeutsches gafolgi,
in rechtlicher Anwendung nicht nachweisbar38. Das angelsächsische fol-
god ist Gefolge mit der Nebenbedeutung ministerium. Folgari bedeutet
im Angelsächsischen den Diener, der im Hause des Herrn wohnt, den
Hausgenossen im Gegensatz zum hausfesten oder heerdfesten, d. i. zum
angesessenen Manne39. Im altsächsischen Heliand heissen die Gefolgs-
leute winei, Freunde oder Hagustalden40, ein Wort, welches uns in der
fränkischen Zeit als austaldi wieder begegnen wird zur Bezeichnung
von Gefolgsleuten, die am Hofe des Herrn leben und daselbst ein
Hofamt versehen.

31 In England ist aus den thegnas der Stand der Thane hervorgegangen, eine
Entwicklung, von der noch unten die Rede sein wird.
32 Scherer, Über Heynes Beovulf S 101. Grimm, WB II 895.
33 v. Amira, Obligationenrecht S 19. K. Maurer, KrÜ II 400.
34 Gotisch trausti, Trost, altnord. traust, alts. gitrost, ahd. trost.
35 Germ. c. 13: (principem) defendere, tueri ... praecipuum sacramentum est.
36 Scherer a. O. S 105.
37 Beovulf 2950. 2618; Rother 1103: die Dietereiches gaten. Hildebrand in
Grimms WB IV 1 S 1494. 1497. S. oben S 82 Anm 6.
38 Grimm, WB IV 1 S 2150.
39 Schmid a. O. S 578. K. Maurer, KrÜ II 398. Sectatorem uolgari Ahd.
Gl. I 803, 45; secta folkitha, folgida a. O. I 246, 24.
40 Heliand 2548 ff., wo er die hagustaldos auch erlos, thegnos nennt. Vgl.
Vers 5040. Grimm, WB IV 2 S 154. Grein, Sprachsch. II 7. Graff, Ahd.
Sprachsch. IV 762. Waitz IV 342 Anm 2. Unser Hagestolz, dessen Bedeutung
sich wohl am einfachsten daraus erklärt, dass der Gefolgsmann, so lange er am
Hofe des Herrn weilte, unverheiratet bleiben musste.

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
ags. þegen31, nord. þegn. Er ist verwandt mit dem griechischen
τέκνον und bedeutet den Knaben, den Helden, den Diener32. Die
Gefolgschaft, comitatus, bezeichnete das Wort Gesinde, ahd. gasindi,
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gegnen uns die Gefolgsleute bei Langobarden, Franken und Angel-
sachsen. Mit Rücksicht auf die Zugehörigkeit zum Hause, zur Familie
des Herrn heiſst der Gefolge bei den Nordgermanen hirþman (Haus-
mann) oder Hauskerl33. Das Altfränkische hat für die Gefolgschaft
den Ausdruck trustis34, Schutz, protectio, tuitio, für die königlichen
Gefolgsgenossen das Wort antrustiones, wörtlich protectores, wobei an
den Schutz zu denken ist, welchen die Gefolgsleute dem Herrn zu
leisten verpflichtet sind35. Andere Bezeichnungen bringen die Gefolgs-
genossen unter den Gesichtspunkt der Verwandtschaft. Magen, mâgas
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schaft der Ausdruck Gätlinge, gaten, ags. gædelingas zusammen37. Un-
serem neuhochdeutschen Gefolge entspricht ein althochdeutsches gafolgi,
in rechtlicher Anwendung nicht nachweisbar38. Das angelsächsische fol-
gođ ist Gefolge mit der Nebenbedeutung ministerium. Folgari bedeutet
im Angelsächsischen den Diener, der im Hause des Herrn wohnt, den
Hausgenossen im Gegensatz zum hausfesten oder heerdfesten, d. i. zum
angesessenen Manne39. Im altsächsischen Heliand heiſsen die Gefolgs-
leute winî, Freunde oder Hagustalden40, ein Wort, welches uns in der
fränkischen Zeit als austaldi wieder begegnen wird zur Bezeichnung
von Gefolgsleuten, die am Hofe des Herrn leben und daselbst ein
Hofamt versehen.

31 In England ist aus den þegnas der Stand der Thane hervorgegangen, eine
Entwicklung, von der noch unten die Rede sein wird.
32 Scherer, Über Heynes Beóvulf S 101. Grimm, WB II 895.
33 v. Amira, Obligationenrecht S 19. K. Maurer, KrÜ II 400.
34 Gotisch trausti, Trost, altnord. traust, alts. gitrôst, ahd. trôst.
35 Germ. c. 13: (principem) defendere, tueri … praecipuum sacramentum est.
36 Scherer a. O. S 105.
37 Beóvulf 2950. 2618; Rother 1103: die Dieterîches gaten. Hildebrand in
Grimms WB IV 1 S 1494. 1497. S. oben S 82 Anm 6.
38 Grimm, WB IV 1 S 2150.
39 Schmid a. O. S 578. K. Maurer, KrÜ II 398. Sectatorem uolgari Ahd.
Gl. I 803, 45; secta folkitha, folgida a. O. I 246, 24.
40 Heliand 2548 ff., wo er die hagustaldôs auch erlôs, thegnôs nennt. Vgl.
Vers 5040. Grimm, WB IV 2 S 154. Grein, Sprachsch. II 7. Graff, Ahd.
Sprachsch. IV 762. Waitz IV 342 Anm 2. Unser Hagestolz, dessen Bedeutung
sich wohl am einfachsten daraus erklärt, daſs der Gefolgsmann, so lange er am
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[142/0160] § 19. Kriegswesen und Gefolgschaft. ags. þegen 31, nord. þegn. Er ist verwandt mit dem griechischen τέκνον und bedeutet den Knaben, den Helden, den Diener 32. Die Gefolgschaft, comitatus, bezeichnete das Wort Gesinde, ahd. gasindi, kisintscaf, alts. gisîthi, ags. gesîđđ. Als gasindii, gasindi, gesîđas be- gegnen uns die Gefolgsleute bei Langobarden, Franken und Angel- sachsen. Mit Rücksicht auf die Zugehörigkeit zum Hause, zur Familie des Herrn heiſst der Gefolge bei den Nordgermanen hirþman (Haus- mann) oder Hauskerl 33. Das Altfränkische hat für die Gefolgschaft den Ausdruck trustis 34, Schutz, protectio, tuitio, für die königlichen Gefolgsgenossen das Wort antrustiones, wörtlich protectores, wobei an den Schutz zu denken ist, welchen die Gefolgsleute dem Herrn zu leisten verpflichtet sind 35. Andere Bezeichnungen bringen die Gefolgs- genossen unter den Gesichtspunkt der Verwandtschaft. Magen, mâgas heiſsen sie im Beóvulf 36. Als Verwandte faſst die Glieder der Gefolg- schaft der Ausdruck Gätlinge, gaten, ags. gædelingas zusammen 37. Un- serem neuhochdeutschen Gefolge entspricht ein althochdeutsches gafolgi, in rechtlicher Anwendung nicht nachweisbar 38. Das angelsächsische fol- gođ ist Gefolge mit der Nebenbedeutung ministerium. Folgari bedeutet im Angelsächsischen den Diener, der im Hause des Herrn wohnt, den Hausgenossen im Gegensatz zum hausfesten oder heerdfesten, d. i. zum angesessenen Manne 39. Im altsächsischen Heliand heiſsen die Gefolgs- leute winî, Freunde oder Hagustalden 40, ein Wort, welches uns in der fränkischen Zeit als austaldi wieder begegnen wird zur Bezeichnung von Gefolgsleuten, die am Hofe des Herrn leben und daselbst ein Hofamt versehen. 31 In England ist aus den þegnas der Stand der Thane hervorgegangen, eine Entwicklung, von der noch unten die Rede sein wird. 32 Scherer, Über Heynes Beóvulf S 101. Grimm, WB II 895. 33 v. Amira, Obligationenrecht S 19. K. Maurer, KrÜ II 400. 34 Gotisch trausti, Trost, altnord. traust, alts. gitrôst, ahd. trôst. 35 Germ. c. 13: (principem) defendere, tueri … praecipuum sacramentum est. 36 Scherer a. O. S 105. 37 Beóvulf 2950. 2618; Rother 1103: die Dieterîches gaten. Hildebrand in Grimms WB IV 1 S 1494. 1497. S. oben S 82 Anm 6. 38 Grimm, WB IV 1 S 2150. 39 Schmid a. O. S 578. K. Maurer, KrÜ II 398. Sectatorem uolgari Ahd. Gl. I 803, 45; secta folkitha, folgida a. O. I 246, 24. 40 Heliand 2548 ff., wo er die hagustaldôs auch erlôs, thegnôs nennt. Vgl. Vers 5040. Grimm, WB IV 2 S 154. Grein, Sprachsch. II 7. Graff, Ahd. Sprachsch. IV 762. Waitz IV 342 Anm 2. Unser Hagestolz, dessen Bedeutung sich wohl am einfachsten daraus erklärt, daſs der Gefolgsmann, so lange er am Hofe des Herrn weilte, unverheiratet bleiben muſste.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/160>, abgerufen am 16.04.2024.