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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
freiwilligen Gerichtsbarkeit handeln. Im Gerichtsverfahren war es
Sitte, dass die Personen von Gerichtswegen befragt wurden: qua lege
vivis.? Die darauf hin abgegebene Antwort wurde in der über die
Gerichtsverhandlung aufgenommenen Urkunde dokumentiert 64.

Das Bekenntnis des Personalrechts, welches im einzelnen Falle
vor Gericht oder bei aussergerichtlichen Rechtsgeschäften abgelegt
wurde, bezeichnen die Quellen als profiteri und zwar in herkömm-
lichen Wendungen, wie: qui professus fuit se lege vivere salica und
dergleichen. Aus diesem Sprachgebrauch hat die neuere Wissenschaft
den Ausdruck professio iuris abgeleitet, um damit die über das Per-
sonalrecht abgegebene Erklärung zu bezeichnen. Da er sich ein-
gebürgert hat, mag er füglich beibehalten werden, nur gilt es, nicht
zu vergessen, dass er in den Quellen als ein technischer nicht zu
finden ist.

Die sogen. professiones iuris kommen auch ausserhalb Italiens im
fränkischen Reiche vor, insbesondere in Gegenden, wo -- wie in
Burgund und Septimanien -- eine mehrfach gemischte Bevölkerung
sesshaft war 65. Schon ein Kapitular vom Ausgange des achten Jahr-
hunderts wies die königlichen Missi an, bei der Handhabung der
Rechtspflege die einzelnen um ihr Geburtsrecht zu fragen 66.

Zurückzuweisen ist die Ansicht, als ob es im Belieben des ein-
zelnen gestanden hätte, heute dieses, morgen jenes Recht als Per-
sonalrecht zu bezeichnen oder ein für allemal ein Personalrecht zu
wählen 67; ebenso die Meinung, dass es Grundsatz der Rechtsverwal-
tung gewesen sei, von allen erwachsenen Personen zum Zweck amt-
licher Registrierung eine Bekanntmachung ihres Geburtsrechtes ent-

64 Cartularium Langob. Nr 17. 18 ff.
65 Burgund: Perard, Recueil de pieces ... servant a l'histoire de Bour-
gogne, 1664, S 35 Nr 18, Placitum von 816: tunc interrogatum fuit M. sub quale
lege vivebat? et ipsius sibi a lege Salica adnunciavit. Bernard, Chartes de Cluny
I 176, Nr 189 v. J. 912: secundum lege mea Gonbada; a. O. I 27, Nr 23 v. J. 880:
donamus secundum legem nostram romanam. S. noch oben Anm 27. 38. Angouleme:
Placitum von 880--81 im NA VII 635: interrogatus eorum leges Austrulfus (der
Kläger) se Romanum, Avegus (der Beklagte) Salicum se dixit. Septimanien: Gallia
christiana VI 423 Nr 14, oben Anm 24: interrogaverunt ipso comite supradicto
qualem legem vivebat? ille autem praesens stetit, et taliter dixit quod lege Salica
vivebat.
66 Cap. miss. I 67, c. 5: et per singulos inquirant, quale habeant legem ex
nomine (natione).
67 Über diese ältere Meinung, welche zuerst von Lupi, Codex dipl. Bergom.
diss. 4 widerlegt worden ist, s. Savigny, Gesch. d. röm. Rechts I 151 ff., VII 2 f.;
Padeletti, Delle professioni di legge, Arch. storico III. Ser. XX 431 ff.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
freiwilligen Gerichtsbarkeit handeln. Im Gerichtsverfahren war es
Sitte, daſs die Personen von Gerichtswegen befragt wurden: qua lege
vivis.? Die darauf hin abgegebene Antwort wurde in der über die
Gerichtsverhandlung aufgenommenen Urkunde dokumentiert 64.

Das Bekenntnis des Personalrechts, welches im einzelnen Falle
vor Gericht oder bei auſsergerichtlichen Rechtsgeschäften abgelegt
wurde, bezeichnen die Quellen als profiteri und zwar in herkömm-
lichen Wendungen, wie: qui professus fuit se lege vivere salica und
dergleichen. Aus diesem Sprachgebrauch hat die neuere Wissenschaft
den Ausdruck professio iuris abgeleitet, um damit die über das Per-
sonalrecht abgegebene Erklärung zu bezeichnen. Da er sich ein-
gebürgert hat, mag er füglich beibehalten werden, nur gilt es, nicht
zu vergessen, daſs er in den Quellen als ein technischer nicht zu
finden ist.

Die sogen. professiones iuris kommen auch auſserhalb Italiens im
fränkischen Reiche vor, insbesondere in Gegenden, wo — wie in
Burgund und Septimanien — eine mehrfach gemischte Bevölkerung
seſshaft war 65. Schon ein Kapitular vom Ausgange des achten Jahr-
hunderts wies die königlichen Missi an, bei der Handhabung der
Rechtspflege die einzelnen um ihr Geburtsrecht zu fragen 66.

Zurückzuweisen ist die Ansicht, als ob es im Belieben des ein-
zelnen gestanden hätte, heute dieses, morgen jenes Recht als Per-
sonalrecht zu bezeichnen oder ein für allemal ein Personalrecht zu
wählen 67; ebenso die Meinung, daſs es Grundsatz der Rechtsverwal-
tung gewesen sei, von allen erwachsenen Personen zum Zweck amt-
licher Registrierung eine Bekanntmachung ihres Geburtsrechtes ent-

64 Cartularium Langob. Nr 17. 18 ff.
65 Burgund: Pérard, Recueil de pièces … servant à l’histoire de Bour-
gogne, 1664, S 35 Nr 18, Placitum von 816: tunc interrogatum fuit M. sub quale
lege vivebat? et ipsius sibi a lege Salica adnunciavit. Bernard, Chartes de Cluny
I 176, Nr 189 v. J. 912: secundum lege mea Gonbada; a. O. I 27, Nr 23 v. J. 880:
donamus secundum legem nostram romanam. S. noch oben Anm 27. 38. Angoulême:
Placitum von 880—81 im NA VII 635: interrogatus eorum leges Austrulfus (der
Kläger) se Romanum, Avegus (der Beklagte) Salicum se dixit. Septimanien: Gallia
christiana VI 423 Nr 14, oben Anm 24: interrogaverunt ipso comite supradicto
qualem legem vivebat? ille autem praesens stetit, et taliter dixit quod lege Salica
vivebat.
66 Cap. miss. I 67, c. 5: et per singulos inquirant, quale habeant legem ex
nomine (natione).
67 Über diese ältere Meinung, welche zuerst von Lupi, Codex dipl. Bergom.
diss. 4 widerlegt worden ist, s. Savigny, Gesch. d. röm. Rechts I 151 ff., VII 2 f.;
Padeletti, Delle professioni di legge, Arch. storico III. Ser. XX 431 ff.
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[272/0290] § 34. Das Personalitätsprinzip. freiwilligen Gerichtsbarkeit handeln. Im Gerichtsverfahren war es Sitte, daſs die Personen von Gerichtswegen befragt wurden: qua lege vivis.? Die darauf hin abgegebene Antwort wurde in der über die Gerichtsverhandlung aufgenommenen Urkunde dokumentiert 64. Das Bekenntnis des Personalrechts, welches im einzelnen Falle vor Gericht oder bei auſsergerichtlichen Rechtsgeschäften abgelegt wurde, bezeichnen die Quellen als profiteri und zwar in herkömm- lichen Wendungen, wie: qui professus fuit se lege vivere salica und dergleichen. Aus diesem Sprachgebrauch hat die neuere Wissenschaft den Ausdruck professio iuris abgeleitet, um damit die über das Per- sonalrecht abgegebene Erklärung zu bezeichnen. Da er sich ein- gebürgert hat, mag er füglich beibehalten werden, nur gilt es, nicht zu vergessen, daſs er in den Quellen als ein technischer nicht zu finden ist. Die sogen. professiones iuris kommen auch auſserhalb Italiens im fränkischen Reiche vor, insbesondere in Gegenden, wo — wie in Burgund und Septimanien — eine mehrfach gemischte Bevölkerung seſshaft war 65. Schon ein Kapitular vom Ausgange des achten Jahr- hunderts wies die königlichen Missi an, bei der Handhabung der Rechtspflege die einzelnen um ihr Geburtsrecht zu fragen 66. Zurückzuweisen ist die Ansicht, als ob es im Belieben des ein- zelnen gestanden hätte, heute dieses, morgen jenes Recht als Per- sonalrecht zu bezeichnen oder ein für allemal ein Personalrecht zu wählen 67; ebenso die Meinung, daſs es Grundsatz der Rechtsverwal- tung gewesen sei, von allen erwachsenen Personen zum Zweck amt- licher Registrierung eine Bekanntmachung ihres Geburtsrechtes ent- 64 Cartularium Langob. Nr 17. 18 ff. 65 Burgund: Pérard, Recueil de pièces … servant à l’histoire de Bour- gogne, 1664, S 35 Nr 18, Placitum von 816: tunc interrogatum fuit M. sub quale lege vivebat? et ipsius sibi a lege Salica adnunciavit. Bernard, Chartes de Cluny I 176, Nr 189 v. J. 912: secundum lege mea Gonbada; a. O. I 27, Nr 23 v. J. 880: donamus secundum legem nostram romanam. S. noch oben Anm 27. 38. Angoulême: Placitum von 880—81 im NA VII 635: interrogatus eorum leges Austrulfus (der Kläger) se Romanum, Avegus (der Beklagte) Salicum se dixit. Septimanien: Gallia christiana VI 423 Nr 14, oben Anm 24: interrogaverunt ipso comite supradicto qualem legem vivebat? ille autem praesens stetit, et taliter dixit quod lege Salica vivebat. 66 Cap. miss. I 67, c. 5: et per singulos inquirant, quale habeant legem ex nomine (natione). 67 Über diese ältere Meinung, welche zuerst von Lupi, Codex dipl. Bergom. diss. 4 widerlegt worden ist, s. Savigny, Gesch. d. röm. Rechts I 151 ff., VII 2 f.; Padeletti, Delle professioni di legge, Arch. storico III. Ser. XX 431 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/290>, abgerufen am 28.03.2024.