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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 35. Das Fremdenrecht u. das Judenrecht.
jüdisches Stammesrecht. In den Judenschutzbriefen und in den
Kapitularien der karolingischen Zeit ist unter der lex der Juden
nicht das römische, sondern das jüdische Recht verstanden 20. Das
erstere kann daher nicht als ihr persönliches Recht gegolten haben.
Andererseits finden sich Anhaltspunkte dafür, dass die Juden dem
germanischen Beweisrechte unterworfen wurden, den Gottesurteilen
des Kesselfanges, des Feuers und der Geisselung, aber freilich nicht
als vollberechtigte Volksgenossen, denn die körperliche Züchtigung
diente bei den Franken nur gegen Unfreie als Beweismittel 21. Für
Zivilstreitigkeiten zwischen Christen und Juden galt der Grundsatz,
dass der Jude gegen den Christen unter seinen Zeugen eine Anzahl
von Christen, der Christ gegen den Juden unter seinen Zeugen eine
Anzahl von Juden vorführen musste 22. Für den Eid, den der Jude
selbst zu leisten hatte, bestand die besondere Form des Juden-
eides 23.

Unter den Karolingern scheint sich ein typisches Judenschutz-
recht ausgebildet zu haben. Denn unter Ludwig I. finden sich
Schutzbriefe für christliche Kaufleute, in welchen ihnen der Schutz

Personalrecht der Juden gegolten hätte. In der Lex Romana Curiensis ist der Jude
kein Romanus. Siehe v. Salis, Z2 f. RG VI 143 Anm 2. Sie spricht C. Th.
II 1, 10 von den Judaei, qui apud Romanos conversant in habitandum.
20 In den Schutzbriefen Form. imperial. 30. 31 wird den Schutzjuden gestattet
secundum legem eorum vivere; in Form. imper. 52, für einen Juden Namens
Abraham in Saragossa, wird diesem konzediert secundum legem suam vivere. In
einer Rechtsaufzeichnung, welche sich für einen Auszug aus Kapitularien Karls des
Grossen ausgiebt, Cap. I 259, c. 6 heisst es: si Judaeus contra Judaeum aliquod
negocium habuerit, per legem suam se defendat. Ist es in den ersteren Fällen
wahrscheinlich, so ist es im letzten Falle sicher, dass nicht das römische, sondern
das jüdische Recht gemeint sei. In der oben Anm 18 angeführten Stelle der Epit.
Mon. kann die lex sua nicht das römische Recht sein, da dieses unter den leges
nostrae zu verstehen ist. Dasselbe gilt von L. R. Curiensis, C. Th. II 1, 10.
21 Ludwigs I. Judenschutzbriefe geben den Schutzjuden das Privilegium, dass
sie von den Gottesurteilen des Feuers, des Kesselfangs und von der Geisselung befreit
sein sollten. Form. imper. 30: et nullatenus volumus, ut praedictos Judaeos ad
nullum iudicium examinandum id est nec ad ignem, nec ad aquam calidam seu
etiam ad flagellum. Daraus lässt sich ex argumento a contrario die thatsächliche
Übung erschliessen.
22 Cap. miss. v. J. 809 c. 13, I 152. Der Christ soll drei Juden, der Jude
drei Christen als Zeugen produzieren. Analog sind in dieser Hinsicht die Be-
stimmungen der Judenschutzbriefe. Jener Grundsatz scheint von altersher bestanden zu
haben. Denn schon bei Gregor von Tours, Hist. Fr. VII 23 tritt ein Jude, der christ-
liche Schuldner mahnt, in Begleitung eines Juden und zweier Christen auf, offenbar
deshalb, weil er ihrer eventuell zum Zeugnis der stattgefundenen Mahnung bedarf.
23 Cap. I 258, c. 4. 5.

§ 35. Das Fremdenrecht u. das Judenrecht.
jüdisches Stammesrecht. In den Judenschutzbriefen und in den
Kapitularien der karolingischen Zeit ist unter der lex der Juden
nicht das römische, sondern das jüdische Recht verstanden 20. Das
erstere kann daher nicht als ihr persönliches Recht gegolten haben.
Andererseits finden sich Anhaltspunkte dafür, daſs die Juden dem
germanischen Beweisrechte unterworfen wurden, den Gottesurteilen
des Kesselfanges, des Feuers und der Geiſselung, aber freilich nicht
als vollberechtigte Volksgenossen, denn die körperliche Züchtigung
diente bei den Franken nur gegen Unfreie als Beweismittel 21. Für
Zivilstreitigkeiten zwischen Christen und Juden galt der Grundsatz,
daſs der Jude gegen den Christen unter seinen Zeugen eine Anzahl
von Christen, der Christ gegen den Juden unter seinen Zeugen eine
Anzahl von Juden vorführen muſste 22. Für den Eid, den der Jude
selbst zu leisten hatte, bestand die besondere Form des Juden-
eides 23.

Unter den Karolingern scheint sich ein typisches Judenschutz-
recht ausgebildet zu haben. Denn unter Ludwig I. finden sich
Schutzbriefe für christliche Kaufleute, in welchen ihnen der Schutz

Personalrecht der Juden gegolten hätte. In der Lex Romana Curiensis ist der Jude
kein Romanus. Siehe v. Salis, Z2 f. RG VI 143 Anm 2. Sie spricht C. Th.
II 1, 10 von den Judaei, qui apud Romanos conversant in habitandum.
20 In den Schutzbriefen Form. imperial. 30. 31 wird den Schutzjuden gestattet
secundum legem eorum vivere; in Form. imper. 52, für einen Juden Namens
Abraham in Saragossa, wird diesem konzediert secundum legem suam vivere. In
einer Rechtsaufzeichnung, welche sich für einen Auszug aus Kapitularien Karls des
Groſsen ausgiebt, Cap. I 259, c. 6 heiſst es: si Judaeus contra Judaeum aliquod
negocium habuerit, per legem suam se defendat. Ist es in den ersteren Fällen
wahrscheinlich, so ist es im letzten Falle sicher, daſs nicht das römische, sondern
das jüdische Recht gemeint sei. In der oben Anm 18 angeführten Stelle der Epit.
Mon. kann die lex sua nicht das römische Recht sein, da dieses unter den leges
nostrae zu verstehen ist. Dasselbe gilt von L. R. Curiensis, C. Th. II 1, 10.
21 Ludwigs I. Judenschutzbriefe geben den Schutzjuden das Privilegium, daſs
sie von den Gottesurteilen des Feuers, des Kesselfangs und von der Geiſselung befreit
sein sollten. Form. imper. 30: et nullatenus volumus, ut praedictos Judaeos ad
nullum iudicium examinandum id est nec ad ignem, nec ad aquam calidam seu
etiam ad flagellum. Daraus läſst sich ex argumento a contrario die thatsächliche
Übung erschlieſsen.
22 Cap. miss. v. J. 809 c. 13, I 152. Der Christ soll drei Juden, der Jude
drei Christen als Zeugen produzieren. Analog sind in dieser Hinsicht die Be-
stimmungen der Judenschutzbriefe. Jener Grundsatz scheint von altersher bestanden zu
haben. Denn schon bei Gregor von Tours, Hist. Fr. VII 23 tritt ein Jude, der christ-
liche Schuldner mahnt, in Begleitung eines Juden und zweier Christen auf, offenbar
deshalb, weil er ihrer eventuell zum Zeugnis der stattgefundenen Mahnung bedarf.
23 Cap. I 258, c. 4. 5.
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[276/0294] § 35. Das Fremdenrecht u. das Judenrecht. jüdisches Stammesrecht. In den Judenschutzbriefen und in den Kapitularien der karolingischen Zeit ist unter der lex der Juden nicht das römische, sondern das jüdische Recht verstanden 20. Das erstere kann daher nicht als ihr persönliches Recht gegolten haben. Andererseits finden sich Anhaltspunkte dafür, daſs die Juden dem germanischen Beweisrechte unterworfen wurden, den Gottesurteilen des Kesselfanges, des Feuers und der Geiſselung, aber freilich nicht als vollberechtigte Volksgenossen, denn die körperliche Züchtigung diente bei den Franken nur gegen Unfreie als Beweismittel 21. Für Zivilstreitigkeiten zwischen Christen und Juden galt der Grundsatz, daſs der Jude gegen den Christen unter seinen Zeugen eine Anzahl von Christen, der Christ gegen den Juden unter seinen Zeugen eine Anzahl von Juden vorführen muſste 22. Für den Eid, den der Jude selbst zu leisten hatte, bestand die besondere Form des Juden- eides 23. Unter den Karolingern scheint sich ein typisches Judenschutz- recht ausgebildet zu haben. Denn unter Ludwig I. finden sich Schutzbriefe für christliche Kaufleute, in welchen ihnen der Schutz 19 20 In den Schutzbriefen Form. imperial. 30. 31 wird den Schutzjuden gestattet secundum legem eorum vivere; in Form. imper. 52, für einen Juden Namens Abraham in Saragossa, wird diesem konzediert secundum legem suam vivere. In einer Rechtsaufzeichnung, welche sich für einen Auszug aus Kapitularien Karls des Groſsen ausgiebt, Cap. I 259, c. 6 heiſst es: si Judaeus contra Judaeum aliquod negocium habuerit, per legem suam se defendat. Ist es in den ersteren Fällen wahrscheinlich, so ist es im letzten Falle sicher, daſs nicht das römische, sondern das jüdische Recht gemeint sei. In der oben Anm 18 angeführten Stelle der Epit. Mon. kann die lex sua nicht das römische Recht sein, da dieses unter den leges nostrae zu verstehen ist. Dasselbe gilt von L. R. Curiensis, C. Th. II 1, 10. 21 Ludwigs I. Judenschutzbriefe geben den Schutzjuden das Privilegium, daſs sie von den Gottesurteilen des Feuers, des Kesselfangs und von der Geiſselung befreit sein sollten. Form. imper. 30: et nullatenus volumus, ut praedictos Judaeos ad nullum iudicium examinandum id est nec ad ignem, nec ad aquam calidam seu etiam ad flagellum. Daraus läſst sich ex argumento a contrario die thatsächliche Übung erschlieſsen. 22 Cap. miss. v. J. 809 c. 13, I 152. Der Christ soll drei Juden, der Jude drei Christen als Zeugen produzieren. Analog sind in dieser Hinsicht die Be- stimmungen der Judenschutzbriefe. Jener Grundsatz scheint von altersher bestanden zu haben. Denn schon bei Gregor von Tours, Hist. Fr. VII 23 tritt ein Jude, der christ- liche Schuldner mahnt, in Begleitung eines Juden und zweier Christen auf, offenbar deshalb, weil er ihrer eventuell zum Zeugnis der stattgefundenen Mahnung bedarf. 23 Cap. I 258, c. 4. 5. 19 Personalrecht der Juden gegolten hätte. In der Lex Romana Curiensis ist der Jude kein Romanus. Siehe v. Salis, Z2 f. RG VI 143 Anm 2. Sie spricht C. Th. II 1, 10 von den Judaei, qui apud Romanos conversant in habitandum.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/294>, abgerufen am 23.04.2024.