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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 5. Die Bearbeitungen
Hollandsche Regtsgeleertheyt 2 giebt eine mit musterhafter Klarheit
geschriebene Übersicht über das holländische Privat- und Strafrecht,
welche die älteren holländischen Rechtsquellen ausgiebig verwertet
und auch auf die geschichtliche Entwicklung der einheimischen Rechts-
einrichtungen eingeht. Dass trotz Groots und Conrings Arbeiten in
der germanistischen Litteratur eine Periode auffallender Dürre eintrat,
erklärt sich aus dem Eintritt einer neuen wissenschaftlichen Bewegung,
welche das Studium des nationalen Rechtes und seiner Geschichte in
Deutschland auf geraume Zeit in den Hintergrund drängte. Hugo
Grotius hatte 1625 in den Prolegomena zu seiner Schrift De iure
belli ac pacis das Evangelium des Naturrechtes verkündigt. Es war
die Wirkung dieser Schrift und des von ihr ausgehenden Impulses,
dass nunmehr das Naturrecht die litterarische Stellung errang, die
dem deutschen Rechte neben dem römischen gebührt hätte. Wie
früher das römische Recht, so absorbierte jetzt das Naturrecht die
besten Kräfte der deutschen Rechtswissenschaft. Die von den Natur-
rechtsjuristen in Mode gebrachte Unterschätzung der Vergangenheit
wirkte ebenso lähmend auf die Pflege der deutschen Rechtsgeschichte
wie früher die einseitige Überschätzung des römischen Rechtes.

In der germanistischen Litteratur des 17. und 18. Jahrhunderts
kann man zwei Strömungen unterscheiden, eine publizistisch-historische
und eine juristisch-antiquarische. Jene verfolgt mehr praktische, diese
mehr theoretische Ziele. Das Staatsrecht des deutschen Reiches und
seiner Territorien war durch die Rezeption der fremden Rechte that-
sächlich so gut wie gar nicht betroffen worden, wogegen sie im
Privat- und Prozessrecht das Bewusstsein des Zusammenhangs zwi-
schen Gegenwart und Vergangenheit des Rechtes ausgetilgt oder doch
getrübt hatte. Diesem Unterschied in der Wirkung der Rezeption
entkeimte der Gegensatz jener beiden litterarischen Richtungen. Privat-
und Prozessrecht des deutschen Mittelalters wurden als Antiquitates
iuris behandelt, denn es fehlte die Befähigung, sie mit dem geltenden
Rechte in brauchbare Verbindung zu bringen. Dagegen betrieb man
die Geschichte des Staatsrechtes und die damit eng verschwisterte
politische Geschichte unter praktischen Gesichtspunkten, weil sie für
die Erkenntnis der geltenden Verfassung und für die Entscheidung
ihrer zahllosen Kontroversen schlechterdings nicht entbehrt werden
konnte. Hervorzuheben sind aus der umfangreichen Litteratur, welche

2 Sie erschien 1631, später auch in lateinischer Übersetzung. Die neueste
Auflage ist von 1860. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, unter welchen der
gründliche Heineccius genannt werden muss, ist dieses Werk in der deutschen
Litteratur bis auf die neueste Zeit kaum beachtet worden.

§ 5. Die Bearbeitungen
Hollandsche Regtsgeleertheyt 2 giebt eine mit musterhafter Klarheit
geschriebene Übersicht über das holländische Privat- und Strafrecht,
welche die älteren holländischen Rechtsquellen ausgiebig verwertet
und auch auf die geschichtliche Entwicklung der einheimischen Rechts-
einrichtungen eingeht. Daſs trotz Groots und Conrings Arbeiten in
der germanistischen Litteratur eine Periode auffallender Dürre eintrat,
erklärt sich aus dem Eintritt einer neuen wissenschaftlichen Bewegung,
welche das Studium des nationalen Rechtes und seiner Geschichte in
Deutschland auf geraume Zeit in den Hintergrund drängte. Hugo
Grotius hatte 1625 in den Prolegomena zu seiner Schrift De iure
belli ac pacis das Evangelium des Naturrechtes verkündigt. Es war
die Wirkung dieser Schrift und des von ihr ausgehenden Impulses,
daſs nunmehr das Naturrecht die litterarische Stellung errang, die
dem deutschen Rechte neben dem römischen gebührt hätte. Wie
früher das römische Recht, so absorbierte jetzt das Naturrecht die
besten Kräfte der deutschen Rechtswissenschaft. Die von den Natur-
rechtsjuristen in Mode gebrachte Unterschätzung der Vergangenheit
wirkte ebenso lähmend auf die Pflege der deutschen Rechtsgeschichte
wie früher die einseitige Überschätzung des römischen Rechtes.

In der germanistischen Litteratur des 17. und 18. Jahrhunderts
kann man zwei Strömungen unterscheiden, eine publizistisch-historische
und eine juristisch-antiquarische. Jene verfolgt mehr praktische, diese
mehr theoretische Ziele. Das Staatsrecht des deutschen Reiches und
seiner Territorien war durch die Rezeption der fremden Rechte that-
sächlich so gut wie gar nicht betroffen worden, wogegen sie im
Privat- und Prozeſsrecht das Bewuſstsein des Zusammenhangs zwi-
schen Gegenwart und Vergangenheit des Rechtes ausgetilgt oder doch
getrübt hatte. Diesem Unterschied in der Wirkung der Rezeption
entkeimte der Gegensatz jener beiden litterarischen Richtungen. Privat-
und Prozeſsrecht des deutschen Mittelalters wurden als Antiquitates
iuris behandelt, denn es fehlte die Befähigung, sie mit dem geltenden
Rechte in brauchbare Verbindung zu bringen. Dagegen betrieb man
die Geschichte des Staatsrechtes und die damit eng verschwisterte
politische Geschichte unter praktischen Gesichtspunkten, weil sie für
die Erkenntnis der geltenden Verfassung und für die Entscheidung
ihrer zahllosen Kontroversen schlechterdings nicht entbehrt werden
konnte. Hervorzuheben sind aus der umfangreichen Litteratur, welche

2 Sie erschien 1631, später auch in lateinischer Übersetzung. Die neueste
Auflage ist von 1860. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, unter welchen der
gründliche Heineccius genannt werden muſs, ist dieses Werk in der deutschen
Litteratur bis auf die neueste Zeit kaum beachtet worden.
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[16/0034] § 5. Die Bearbeitungen Hollandsche Regtsgeleertheyt 2 giebt eine mit musterhafter Klarheit geschriebene Übersicht über das holländische Privat- und Strafrecht, welche die älteren holländischen Rechtsquellen ausgiebig verwertet und auch auf die geschichtliche Entwicklung der einheimischen Rechts- einrichtungen eingeht. Daſs trotz Groots und Conrings Arbeiten in der germanistischen Litteratur eine Periode auffallender Dürre eintrat, erklärt sich aus dem Eintritt einer neuen wissenschaftlichen Bewegung, welche das Studium des nationalen Rechtes und seiner Geschichte in Deutschland auf geraume Zeit in den Hintergrund drängte. Hugo Grotius hatte 1625 in den Prolegomena zu seiner Schrift De iure belli ac pacis das Evangelium des Naturrechtes verkündigt. Es war die Wirkung dieser Schrift und des von ihr ausgehenden Impulses, daſs nunmehr das Naturrecht die litterarische Stellung errang, die dem deutschen Rechte neben dem römischen gebührt hätte. Wie früher das römische Recht, so absorbierte jetzt das Naturrecht die besten Kräfte der deutschen Rechtswissenschaft. Die von den Natur- rechtsjuristen in Mode gebrachte Unterschätzung der Vergangenheit wirkte ebenso lähmend auf die Pflege der deutschen Rechtsgeschichte wie früher die einseitige Überschätzung des römischen Rechtes. In der germanistischen Litteratur des 17. und 18. Jahrhunderts kann man zwei Strömungen unterscheiden, eine publizistisch-historische und eine juristisch-antiquarische. Jene verfolgt mehr praktische, diese mehr theoretische Ziele. Das Staatsrecht des deutschen Reiches und seiner Territorien war durch die Rezeption der fremden Rechte that- sächlich so gut wie gar nicht betroffen worden, wogegen sie im Privat- und Prozeſsrecht das Bewuſstsein des Zusammenhangs zwi- schen Gegenwart und Vergangenheit des Rechtes ausgetilgt oder doch getrübt hatte. Diesem Unterschied in der Wirkung der Rezeption entkeimte der Gegensatz jener beiden litterarischen Richtungen. Privat- und Prozeſsrecht des deutschen Mittelalters wurden als Antiquitates iuris behandelt, denn es fehlte die Befähigung, sie mit dem geltenden Rechte in brauchbare Verbindung zu bringen. Dagegen betrieb man die Geschichte des Staatsrechtes und die damit eng verschwisterte politische Geschichte unter praktischen Gesichtspunkten, weil sie für die Erkenntnis der geltenden Verfassung und für die Entscheidung ihrer zahllosen Kontroversen schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Hervorzuheben sind aus der umfangreichen Litteratur, welche 2 Sie erschien 1631, später auch in lateinischer Übersetzung. Die neueste Auflage ist von 1860. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, unter welchen der gründliche Heineccius genannt werden muſs, ist dieses Werk in der deutschen Litteratur bis auf die neueste Zeit kaum beachtet worden.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/34>, abgerufen am 28.03.2024.