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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 46. Die Lex Saxonum.
21--65 betreffen die todeswürdigen Verbrechen, das Ehe- und Erbrecht
(mit gelegentlicher Unterscheidung des Rechtes der Ostfalen, Westfalen
und Engern), die Haftung für Unfreie und für den Zufall und die
Veräusserungen. Das Schlusskapitel stellt Werttaxen für Busszahlungen
auf, welche in zwei Texten durch jüngere Zusätze ergänzt sind 4. Die
Kapitel 51--53 schliessen sich in Bezug auf Inhalt und Wortlaut an
einen Zusatz zur Lex Ribuaria an 5, welcher im Jahre 803 auf Wunsch
der Ribuarier von Karl dem Grossen genehmigt worden war, um die
Haftung der Herren für flüchtig gewordene Knechte zu beschränken 6.

Neben der Lex Saxonum besitzen wir zwei Kapitularien, welche
Karl der Grosse für Sachsen erliess, die Capitulatio de partibus
Saxoniae und das Capitulare Saxonicum. Jene ist nicht datiert und
verdankt ihre Entstehung vermutlich einer im Juli 782 unter Teil-
nahme von Sachsen zu Lippbrunnen abgehaltenen Reichsversammlung 7.
Sie führt für die damals unterworfenen sächsischen Gebiete eine Art
standrechtlichen Zustandes ein, indem sie die Annahme und die Auf-
rechthaltung des Christentums, die Unterdrückung des Heidentums und
die fränkische Herrschaft durch Strafen grausamer Härte sicherzustellen
sucht. Das Capitulare Saxonicum enthält die Beschlüsse eines 797
zu Aachen abgehaltenen Reichstages, an welchen auch Ostfalen, West-
falen und Engern teilgenommen hatten.

Ob die Lex Saxonum ein einheitliches Gesetz oder aus mehreren
Satzungen zusammengesetzt sei, ist eine Streitfrage 8. De Geer will

4 In der Corveier Handschrift und bei Tilius.
5 Auf den Zusammenhang zwischen Lex Sax. 51--53 und Cap. leg. Rib. add.
c. 5, I 117, hat Usinger a. O. S 59 aufmerksam gemacht.
6 [Spaltenumbruch]
Lex Sax. 51: si servus scelus
quodlibet nesciente domino commiserit,
utputa homicidium, furtum, dominus eius
iuxta qualitatem facti mulctam conponat.
a. O. 52: si servus perpetrato faci-
nore fugerit, ita ut a domino ulterius
inveniri non possit, nihil solvat. c. 53:
si domino factum servi inputetur quasi
consentiret, sua duodecima manu iurando
se purificet.
[Spaltenumbruch] C. Rib. add. 5: nemini liceat servum
suum propter damnum ab illo cuilibet
inlatum dimittere, sed iuxta qualitatem
damni dominus pro ipso respondeat vel
eum in compositione aut ad poenam pe-
titoris offerat.
si autem servus perpetrato scelere
fugerit, ita ut a domino penitus inveniri
non possit
, sacramento se dominus eius
excusare studeat, quod nec suae volun-
tatis nec conscientiae fuisset quod servus
eius tale facinus commisit.
7 Waitz a. O. S 207 f. Zweifel erhebt Boretius a. O. S 162, der sich be-
gnügt, die Capitulatio in die Zeit zwischen 775 u. 790 zu setzen. Ebenso Cap. I 68.
8 Usingers Ansicht, dass die Lex Sax. eine Privatarbeit sei, ist durch
v. Richthofens Untersuchungen endgiltig beseitigt.

§ 46. Die Lex Saxonum.
21—65 betreffen die todeswürdigen Verbrechen, das Ehe- und Erbrecht
(mit gelegentlicher Unterscheidung des Rechtes der Ostfalen, Westfalen
und Engern), die Haftung für Unfreie und für den Zufall und die
Veräuſserungen. Das Schluſskapitel stellt Werttaxen für Buſszahlungen
auf, welche in zwei Texten durch jüngere Zusätze ergänzt sind 4. Die
Kapitel 51—53 schlieſsen sich in Bezug auf Inhalt und Wortlaut an
einen Zusatz zur Lex Ribuaria an 5, welcher im Jahre 803 auf Wunsch
der Ribuarier von Karl dem Groſsen genehmigt worden war, um die
Haftung der Herren für flüchtig gewordene Knechte zu beschränken 6.

Neben der Lex Saxonum besitzen wir zwei Kapitularien, welche
Karl der Groſse für Sachsen erlieſs, die Capitulatio de partibus
Saxoniae und das Capitulare Saxonicum. Jene ist nicht datiert und
verdankt ihre Entstehung vermutlich einer im Juli 782 unter Teil-
nahme von Sachsen zu Lippbrunnen abgehaltenen Reichsversammlung 7.
Sie führt für die damals unterworfenen sächsischen Gebiete eine Art
standrechtlichen Zustandes ein, indem sie die Annahme und die Auf-
rechthaltung des Christentums, die Unterdrückung des Heidentums und
die fränkische Herrschaft durch Strafen grausamer Härte sicherzustellen
sucht. Das Capitulare Saxonicum enthält die Beschlüsse eines 797
zu Aachen abgehaltenen Reichstages, an welchen auch Ostfalen, West-
falen und Engern teilgenommen hatten.

Ob die Lex Saxonum ein einheitliches Gesetz oder aus mehreren
Satzungen zusammengesetzt sei, ist eine Streitfrage 8. De Geer will

4 In der Corveier Handschrift und bei Tilius.
5 Auf den Zusammenhang zwischen Lex Sax. 51—53 und Cap. leg. Rib. add.
c. 5, I 117, hat Usinger a. O. S 59 aufmerksam gemacht.
6 [Spaltenumbruch]
Lex Sax. 51: si servus scelus
quodlibet nesciente domino commiserit,
utputa homicidium, furtum, dominus eius
iuxta qualitatem facti mulctam conponat.
a. O. 52: si servus perpetrato faci-
nore fugerit, ita ut a domino ulterius
inveniri non possit, nihil solvat. c. 53:
si domino factum servi inputetur quasi
consentiret, sua duodecima manu iurando
se purificet.
[Spaltenumbruch] C. Rib. add. 5: nemini liceat servum
suum propter damnum ab illo cuilibet
inlatum dimittere, sed iuxta qualitatem
damni dominus pro ipso respondeat vel
eum in compositione aut ad poenam pe-
titoris offerat.
si autem servus perpetrato scelere
fugerit, ita ut a domino penitus inveniri
non possit
, sacramento se dominus eius
excusare studeat, quod nec suae volun-
tatis nec conscientiae fuisset quod servus
eius tale facinus commisit.
7 Waitz a. O. S 207 f. Zweifel erhebt Boretius a. O. S 162, der sich be-
gnügt, die Capitulatio in die Zeit zwischen 775 u. 790 zu setzen. Ebenso Cap. I 68.
8 Usingers Ansicht, daſs die Lex Sax. eine Privatarbeit sei, ist durch
v. Richthofens Untersuchungen endgiltig beseitigt.
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[346/0364] § 46. Die Lex Saxonum. 21—65 betreffen die todeswürdigen Verbrechen, das Ehe- und Erbrecht (mit gelegentlicher Unterscheidung des Rechtes der Ostfalen, Westfalen und Engern), die Haftung für Unfreie und für den Zufall und die Veräuſserungen. Das Schluſskapitel stellt Werttaxen für Buſszahlungen auf, welche in zwei Texten durch jüngere Zusätze ergänzt sind 4. Die Kapitel 51—53 schlieſsen sich in Bezug auf Inhalt und Wortlaut an einen Zusatz zur Lex Ribuaria an 5, welcher im Jahre 803 auf Wunsch der Ribuarier von Karl dem Groſsen genehmigt worden war, um die Haftung der Herren für flüchtig gewordene Knechte zu beschränken 6. Neben der Lex Saxonum besitzen wir zwei Kapitularien, welche Karl der Groſse für Sachsen erlieſs, die Capitulatio de partibus Saxoniae und das Capitulare Saxonicum. Jene ist nicht datiert und verdankt ihre Entstehung vermutlich einer im Juli 782 unter Teil- nahme von Sachsen zu Lippbrunnen abgehaltenen Reichsversammlung 7. Sie führt für die damals unterworfenen sächsischen Gebiete eine Art standrechtlichen Zustandes ein, indem sie die Annahme und die Auf- rechthaltung des Christentums, die Unterdrückung des Heidentums und die fränkische Herrschaft durch Strafen grausamer Härte sicherzustellen sucht. Das Capitulare Saxonicum enthält die Beschlüsse eines 797 zu Aachen abgehaltenen Reichstages, an welchen auch Ostfalen, West- falen und Engern teilgenommen hatten. Ob die Lex Saxonum ein einheitliches Gesetz oder aus mehreren Satzungen zusammengesetzt sei, ist eine Streitfrage 8. De Geer will 4 In der Corveier Handschrift und bei Tilius. 5 Auf den Zusammenhang zwischen Lex Sax. 51—53 und Cap. leg. Rib. add. c. 5, I 117, hat Usinger a. O. S 59 aufmerksam gemacht. 6 Lex Sax. 51: si servus scelus quodlibet nesciente domino commiserit, utputa homicidium, furtum, dominus eius iuxta qualitatem facti mulctam conponat. a. O. 52: si servus perpetrato faci- nore fugerit, ita ut a domino ulterius inveniri non possit, nihil solvat. c. 53: si domino factum servi inputetur quasi consentiret, sua duodecima manu iurando se purificet. C. Rib. add. 5: nemini liceat servum suum propter damnum ab illo cuilibet inlatum dimittere, sed iuxta qualitatem damni dominus pro ipso respondeat vel eum in compositione aut ad poenam pe- titoris offerat. si autem servus perpetrato scelere fugerit, ita ut a domino penitus inveniri non possit, sacramento se dominus eius excusare studeat, quod nec suae volun- tatis nec conscientiae fuisset quod servus eius tale facinus commisit. 7 Waitz a. O. S 207 f. Zweifel erhebt Boretius a. O. S 162, der sich be- gnügt, die Capitulatio in die Zeit zwischen 775 u. 790 zu setzen. Ebenso Cap. I 68. 8 Usingers Ansicht, daſs die Lex Sax. eine Privatarbeit sei, ist durch v. Richthofens Untersuchungen endgiltig beseitigt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/364>, abgerufen am 28.03.2024.