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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 47. Die Lex Angliorum et Werinorum.
wie bei den Oberdeutschen das Wergeld des Freien 160 solidi be-
trug und daneben das Friedensgeld als ein fixer Betrag von 40 solidi
entrichtet wurde 10.

Die Lex Angliorum ist auch mit der Lex Saxonum verwandt.
Diese Verwandtschaft beruht zum grossen Teile darauf, dass die Lex
Ribuaria auch bei Abfassung des sächsischen Volksrechtes zu Grunde
gelegt worden ist. Es finden sich aber in der Lex Angliorum ver-
einzelte Anklänge an die Lex Saxonum, die nicht auf die gemeinsame
Benutzung der Lex Ribuaria zurückgeführt werden können 11. Und
in einigen Stellen lehnt sich die Fassung der Lex Angliorum näher
an die Lex Saxonum als an die Ribuaria an 12.

Eigentümlich ist das Ständewesen bei den Anglo-Warnen geartet.
Sie haben wie die Sachsen einen Adel, der den Ribuariern fehlt.
Dagegen wird der bei den Sachsen und Ribuariern vorhandene Stand
der Liten nirgends genannt. Im Gebiete des Erbrechts überliefert
uns die Lex Angliorum das älteste sichere Zeugnis über die Rechts-
institute, welche später unter den Namen Heergeräte und Gerade
weite Verbreitung geniessen. Von der Kirche und von kirchlichen
Einrichtungen schweigt sie, enthält aber auch nichts, was dem
Christentum zuwiderliefe.

Neben niederdeutschen Wörtern, die sie mit der Lex Ribuaria
oder Saxonum gemein hat 13, enthält die Lex Angliorum zweifellos alt-
hochdeutsche Wortformen 14, welche den Gedanken an eine nieder-
deutsche Heimat des Volksrechtes ausschliessen 15.

Die Lex stammt aus karolingischer Zeit, denn sie kennt die
fränkische Bannbusse von 60 solidi, welche Karl der Grosse bei den
verschiedenen nichtfränkischen Stämmen zur Geltung brachte. Wahr-
scheinlich ist sie gleichzeitig mit der sächsischen, also in den Jahren
802 oder 803 entstanden. Wenigstens würde sich dadurch die Verwandt-
schaft der beiden Leges, soweit sie über die gemeinschaftliche Be-
nutzung der Lex Ribuaria hinausgeht, am einfachsten erklären.

10 Vgl. oben S 226 Anm 11.
11 Den Ausdruck wlitiwam (Antlitzverletzung) hat Lex Angl. c. 23 mit Lex
Sax. c. 5 gemein. Die Rib. kennt ihn nicht.
12 Vgl. A. 16 mit Sax. 11 u. R. 6; A. 60 mit Sax. 60 u. R. 70, 5. -- A. 57
stimmt in der Fassung des Thatbestandes auffallend mit Lex Fris. 17, 4 überein.
13 Z. B. sonesti für Herde, parricum, wlitiwam.
14 Adaling für nobilis und nusca, Nusche, Spange.
15 Darauf hat Schröder a. O. S 15 hingewiesen.

§ 47. Die Lex Angliorum et Werinorum.
wie bei den Oberdeutschen das Wergeld des Freien 160 solidi be-
trug und daneben das Friedensgeld als ein fixer Betrag von 40 solidi
entrichtet wurde 10.

Die Lex Angliorum ist auch mit der Lex Saxonum verwandt.
Diese Verwandtschaft beruht zum groſsen Teile darauf, daſs die Lex
Ribuaria auch bei Abfassung des sächsischen Volksrechtes zu Grunde
gelegt worden ist. Es finden sich aber in der Lex Angliorum ver-
einzelte Anklänge an die Lex Saxonum, die nicht auf die gemeinsame
Benutzung der Lex Ribuaria zurückgeführt werden können 11. Und
in einigen Stellen lehnt sich die Fassung der Lex Angliorum näher
an die Lex Saxonum als an die Ribuaria an 12.

Eigentümlich ist das Ständewesen bei den Anglo-Warnen geartet.
Sie haben wie die Sachsen einen Adel, der den Ribuariern fehlt.
Dagegen wird der bei den Sachsen und Ribuariern vorhandene Stand
der Liten nirgends genannt. Im Gebiete des Erbrechts überliefert
uns die Lex Angliorum das älteste sichere Zeugnis über die Rechts-
institute, welche später unter den Namen Heergeräte und Gerade
weite Verbreitung genieſsen. Von der Kirche und von kirchlichen
Einrichtungen schweigt sie, enthält aber auch nichts, was dem
Christentum zuwiderliefe.

Neben niederdeutschen Wörtern, die sie mit der Lex Ribuaria
oder Saxonum gemein hat 13, enthält die Lex Angliorum zweifellos alt-
hochdeutsche Wortformen 14, welche den Gedanken an eine nieder-
deutsche Heimat des Volksrechtes ausschlieſsen 15.

Die Lex stammt aus karolingischer Zeit, denn sie kennt die
fränkische Bannbuſse von 60 solidi, welche Karl der Groſse bei den
verschiedenen nichtfränkischen Stämmen zur Geltung brachte. Wahr-
scheinlich ist sie gleichzeitig mit der sächsischen, also in den Jahren
802 oder 803 entstanden. Wenigstens würde sich dadurch die Verwandt-
schaft der beiden Leges, soweit sie über die gemeinschaftliche Be-
nutzung der Lex Ribuaria hinausgeht, am einfachsten erklären.

10 Vgl. oben S 226 Anm 11.
11 Den Ausdruck wlitiwam (Antlitzverletzung) hat Lex Angl. c. 23 mit Lex
Sax. c. 5 gemein. Die Rib. kennt ihn nicht.
12 Vgl. A. 16 mit Sax. 11 u. R. 6; A. 60 mit Sax. 60 u. R. 70, 5. — A. 57
stimmt in der Fassung des Thatbestandes auffallend mit Lex Fris. 17, 4 überein.
13 Z. B. sonesti für Herde, parricum, wlitiwam.
14 Adaling für nobilis und nusca, Nusche, Spange.
15 Darauf hat Schröder a. O. S 15 hingewiesen.
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[352/0370] § 47. Die Lex Angliorum et Werinorum. wie bei den Oberdeutschen das Wergeld des Freien 160 solidi be- trug und daneben das Friedensgeld als ein fixer Betrag von 40 solidi entrichtet wurde 10. Die Lex Angliorum ist auch mit der Lex Saxonum verwandt. Diese Verwandtschaft beruht zum groſsen Teile darauf, daſs die Lex Ribuaria auch bei Abfassung des sächsischen Volksrechtes zu Grunde gelegt worden ist. Es finden sich aber in der Lex Angliorum ver- einzelte Anklänge an die Lex Saxonum, die nicht auf die gemeinsame Benutzung der Lex Ribuaria zurückgeführt werden können 11. Und in einigen Stellen lehnt sich die Fassung der Lex Angliorum näher an die Lex Saxonum als an die Ribuaria an 12. Eigentümlich ist das Ständewesen bei den Anglo-Warnen geartet. Sie haben wie die Sachsen einen Adel, der den Ribuariern fehlt. Dagegen wird der bei den Sachsen und Ribuariern vorhandene Stand der Liten nirgends genannt. Im Gebiete des Erbrechts überliefert uns die Lex Angliorum das älteste sichere Zeugnis über die Rechts- institute, welche später unter den Namen Heergeräte und Gerade weite Verbreitung genieſsen. Von der Kirche und von kirchlichen Einrichtungen schweigt sie, enthält aber auch nichts, was dem Christentum zuwiderliefe. Neben niederdeutschen Wörtern, die sie mit der Lex Ribuaria oder Saxonum gemein hat 13, enthält die Lex Angliorum zweifellos alt- hochdeutsche Wortformen 14, welche den Gedanken an eine nieder- deutsche Heimat des Volksrechtes ausschlieſsen 15. Die Lex stammt aus karolingischer Zeit, denn sie kennt die fränkische Bannbuſse von 60 solidi, welche Karl der Groſse bei den verschiedenen nichtfränkischen Stämmen zur Geltung brachte. Wahr- scheinlich ist sie gleichzeitig mit der sächsischen, also in den Jahren 802 oder 803 entstanden. Wenigstens würde sich dadurch die Verwandt- schaft der beiden Leges, soweit sie über die gemeinschaftliche Be- nutzung der Lex Ribuaria hinausgeht, am einfachsten erklären. 10 Vgl. oben S 226 Anm 11. 11 Den Ausdruck wlitiwam (Antlitzverletzung) hat Lex Angl. c. 23 mit Lex Sax. c. 5 gemein. Die Rib. kennt ihn nicht. 12 Vgl. A. 16 mit Sax. 11 u. R. 6; A. 60 mit Sax. 60 u. R. 70, 5. — A. 57 stimmt in der Fassung des Thatbestandes auffallend mit Lex Fris. 17, 4 überein. 13 Z. B. sonesti für Herde, parricum, wlitiwam. 14 Adaling für nobilis und nusca, Nusche, Spange. 15 Darauf hat Schröder a. O. S 15 hingewiesen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/370>, abgerufen am 28.03.2024.