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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 49. Die Lex Romana Burgundionum.
Asyl gewonnen, mit der Hälfte seines Vermögens den Erben des Er-
schlagenen zugesprochen werde 9.

Die Lex Romana Burgundionum ist unter der Regierung des
Königs Gundobad abgefasst worden. In Titel 2 werden die Bussen
für Tötung von Unfreien auf ein "praeceptum domini regis" zurück-
geführt. Der König, von dem es herrührt, kann, wie sich aus
Gundobada Titel 10 und 50 ergiebt, nur Gundobad gewesen sein.
Die burgundische Lex Romana ist wahrscheinlich älter als die west-
gotische, weil eine Benutzung der letzteren nicht stattgefunden hat 10.
Sie ist jünger als die Gundobada, nach deren Vorbild sie abgefasst
wurde. Dass sie nach ihrer ursprünglichen Abfassung revidiert worden
sei, lässt sich nicht nachweisen 11. Die Verfasser der Lex sind uns
unbekannt 12.

Ihr juristischer Wert darf nicht unterschätzt werden. Als Seiten-
stück zur Gundobada ist sie nicht ohne Geschick angelegt. Eine er-
schöpfende Darstellung des römischen Rechtes zu bieten, war nicht
ihre Absicht. Sie wollte nicht, wie die Lex Romana Wisigothorum,
die Anwendung der römischen Rechtsquellen entbehrlich machen,
sondern für die dringendsten Bedürfnisse des Rechtslebens einen kurz
gefassten Leitfaden abgeben.

So lange das westgotische Breviarium in Burgund nicht bekannt
war, musste man für das neben der Lex Romana geltende römische
Recht auf die Sammlungen der römischen Konstitutionen und auf die
juristische Litteratur zurückgehen 13. Dieser Mühe enthob man sich,

9 Es liegt kein Grund vor, diese Stelle mit Ginoulhiac a. O. S 575,
Bluhme a. O. S 209 und Stobbe S 116 für ein späteres Einschiebsel zu er-
klären. Der vorausgehende Satz: de ingenuo vero homicida intra ecclesiam posito
de interempti precio principis est expectanda sententia, soll darthun, dass das Ge-
setz Gundobads den Grundsätzen des römischen Rechts entspreche, welches das
pretium in das Ermessen des princeps stelle. Auf Grund dieser Befugnis habe
dann -- das ist der Zusammenhang -- der König eine Lücke des römischen Rechts
durch die nachfolgende Satzung ausgefüllt, welche sich gewissermassen als Ersatz
der sententia darstellt, die nach römischem Rechte von Fall zu Fall einzuholen ist.
10 Die Lex Rom. Burg. hat Konstitutionen und Stellen des Paulus exzerpiert,
die uns in der Lex Rom. Wisig. nicht erhalten sind. Über das Alter der sog.
westgotischen Interpretatio s. unten S 259. 260.
11 Ginoulhiac glaubt a. O. S 540 f. 569 f. drei Revisionen annehmen zu
müssen. Dagegen Bluhme, J II 204 f.
12 Die Ansicht, dass der am Schluss der Berliner Handschrift genannte Graf
Aimoin sie habe abfassen lassen, welche Bluhme J II 201 aufstellte, hat er LL
III 589 als eine irrtümliche zurückgenommen.
13 Die älteste Handschrift des Papian, Vatic. Nr 5766, ist uns nur in wenigen
Bruchstücken erhalten. Sie stammt aus dem 6. oder 7. Jahrh. und bildete einen

§ 49. Die Lex Romana Burgundionum.
Asyl gewonnen, mit der Hälfte seines Vermögens den Erben des Er-
schlagenen zugesprochen werde 9.

Die Lex Romana Burgundionum ist unter der Regierung des
Königs Gundobad abgefaſst worden. In Titel 2 werden die Buſsen
für Tötung von Unfreien auf ein „praeceptum domini regis“ zurück-
geführt. Der König, von dem es herrührt, kann, wie sich aus
Gundobada Titel 10 und 50 ergiebt, nur Gundobad gewesen sein.
Die burgundische Lex Romana ist wahrscheinlich älter als die west-
gotische, weil eine Benutzung der letzteren nicht stattgefunden hat 10.
Sie ist jünger als die Gundobada, nach deren Vorbild sie abgefaſst
wurde. Daſs sie nach ihrer ursprünglichen Abfassung revidiert worden
sei, läſst sich nicht nachweisen 11. Die Verfasser der Lex sind uns
unbekannt 12.

Ihr juristischer Wert darf nicht unterschätzt werden. Als Seiten-
stück zur Gundobada ist sie nicht ohne Geschick angelegt. Eine er-
schöpfende Darstellung des römischen Rechtes zu bieten, war nicht
ihre Absicht. Sie wollte nicht, wie die Lex Romana Wisigothorum,
die Anwendung der römischen Rechtsquellen entbehrlich machen,
sondern für die dringendsten Bedürfnisse des Rechtslebens einen kurz
gefaſsten Leitfaden abgeben.

So lange das westgotische Breviarium in Burgund nicht bekannt
war, muſste man für das neben der Lex Romana geltende römische
Recht auf die Sammlungen der römischen Konstitutionen und auf die
juristische Litteratur zurückgehen 13. Dieser Mühe enthob man sich,

9 Es liegt kein Grund vor, diese Stelle mit Ginoulhiac a. O. S 575,
Bluhme a. O. S 209 und Stobbe S 116 für ein späteres Einschiebsel zu er-
klären. Der vorausgehende Satz: de ingenuo vero homicida intra ecclesiam posito
de interempti precio principis est expectanda sententia, soll darthun, daſs das Ge-
setz Gundobads den Grundsätzen des römischen Rechts entspreche, welches das
pretium in das Ermessen des princeps stelle. Auf Grund dieser Befugnis habe
dann — das ist der Zusammenhang — der König eine Lücke des römischen Rechts
durch die nachfolgende Satzung ausgefüllt, welche sich gewissermaſsen als Ersatz
der sententia darstellt, die nach römischem Rechte von Fall zu Fall einzuholen ist.
10 Die Lex Rom. Burg. hat Konstitutionen und Stellen des Paulus exzerpiert,
die uns in der Lex Rom. Wisig. nicht erhalten sind. Über das Alter der sog.
westgotischen Interpretatio s. unten S 259. 260.
11 Ginoulhiac glaubt a. O. S 540 f. 569 f. drei Revisionen annehmen zu
müssen. Dagegen Bluhme, J II 204 f.
12 Die Ansicht, daſs der am Schluſs der Berliner Handschrift genannte Graf
Aimoin sie habe abfassen lassen, welche Bluhme J II 201 aufstellte, hat er LL
III 589 als eine irrtümliche zurückgenommen.
13 Die älteste Handschrift des Papian, Vatic. Nr 5766, ist uns nur in wenigen
Bruchstücken erhalten. Sie stammt aus dem 6. oder 7. Jahrh. und bildete einen
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[356/0374] § 49. Die Lex Romana Burgundionum. Asyl gewonnen, mit der Hälfte seines Vermögens den Erben des Er- schlagenen zugesprochen werde 9. Die Lex Romana Burgundionum ist unter der Regierung des Königs Gundobad abgefaſst worden. In Titel 2 werden die Buſsen für Tötung von Unfreien auf ein „praeceptum domini regis“ zurück- geführt. Der König, von dem es herrührt, kann, wie sich aus Gundobada Titel 10 und 50 ergiebt, nur Gundobad gewesen sein. Die burgundische Lex Romana ist wahrscheinlich älter als die west- gotische, weil eine Benutzung der letzteren nicht stattgefunden hat 10. Sie ist jünger als die Gundobada, nach deren Vorbild sie abgefaſst wurde. Daſs sie nach ihrer ursprünglichen Abfassung revidiert worden sei, läſst sich nicht nachweisen 11. Die Verfasser der Lex sind uns unbekannt 12. Ihr juristischer Wert darf nicht unterschätzt werden. Als Seiten- stück zur Gundobada ist sie nicht ohne Geschick angelegt. Eine er- schöpfende Darstellung des römischen Rechtes zu bieten, war nicht ihre Absicht. Sie wollte nicht, wie die Lex Romana Wisigothorum, die Anwendung der römischen Rechtsquellen entbehrlich machen, sondern für die dringendsten Bedürfnisse des Rechtslebens einen kurz gefaſsten Leitfaden abgeben. So lange das westgotische Breviarium in Burgund nicht bekannt war, muſste man für das neben der Lex Romana geltende römische Recht auf die Sammlungen der römischen Konstitutionen und auf die juristische Litteratur zurückgehen 13. Dieser Mühe enthob man sich, 9 Es liegt kein Grund vor, diese Stelle mit Ginoulhiac a. O. S 575, Bluhme a. O. S 209 und Stobbe S 116 für ein späteres Einschiebsel zu er- klären. Der vorausgehende Satz: de ingenuo vero homicida intra ecclesiam posito de interempti precio principis est expectanda sententia, soll darthun, daſs das Ge- setz Gundobads den Grundsätzen des römischen Rechts entspreche, welches das pretium in das Ermessen des princeps stelle. Auf Grund dieser Befugnis habe dann — das ist der Zusammenhang — der König eine Lücke des römischen Rechts durch die nachfolgende Satzung ausgefüllt, welche sich gewissermaſsen als Ersatz der sententia darstellt, die nach römischem Rechte von Fall zu Fall einzuholen ist. 10 Die Lex Rom. Burg. hat Konstitutionen und Stellen des Paulus exzerpiert, die uns in der Lex Rom. Wisig. nicht erhalten sind. Über das Alter der sog. westgotischen Interpretatio s. unten S 259. 260. 11 Ginoulhiac glaubt a. O. S 540 f. 569 f. drei Revisionen annehmen zu müssen. Dagegen Bluhme, J II 204 f. 12 Die Ansicht, daſs der am Schluſs der Berliner Handschrift genannte Graf Aimoin sie habe abfassen lassen, welche Bluhme J II 201 aufstellte, hat er LL III 589 als eine irrtümliche zurückgenommen. 13 Die älteste Handschrift des Papian, Vatic. Nr 5766, ist uns nur in wenigen Bruchstücken erhalten. Sie stammt aus dem 6. oder 7. Jahrh. und bildete einen

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/374>, abgerufen am 29.03.2024.