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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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der deutschen Rechtsgeschichte.
Geschichte des Rechtes führten die Rechtsaltertümer weniger fertige
Ergebnisse als ungelöste Probleme zu, weil die Entstehung und Fort-
bildung der dargestellten Rechtsbräuche von vornherein nicht in dem
Plane der Arbeit lag. Daraus erklärt sich die von Grimm gelegent-
lich gerügte Reserve, welche Eichhorn und seine Schule diesem Werke
gegenüber beobachteten 26. Das darin aufgespeicherte Material in den
Fluss historischer Entwicklung zu bringen war eine Aufgabe, der die
Wissenschaft damals nicht gewachsen war und deren Lösung noch
jetzt zum guten Teile der Zukunft vorbehalten bleiben muss.

In einem Aufsatze über das geschichtliche Studium des deutschen
Rechtes 27, der die nächstliegenden Bedürfnisse für den Ausbau der
deutschen Rechtsgeschichte besprach, erklärte Eichhorn, dass sie viel
mehr der Untersuchung als der Anordnung des Untersuchten bedürfe.
Soweit die neuere Forschung über Eichhorn hinauskam, hat sie dies
der von ihm empfohlenen Methode zu verdanken. Nicht in Lehr-
büchern und Kompendien sondern in Spezialuntersuchungen beruhen
die Fortschritte der Wissenschaft, wie sie durch die Ausdehnung des
Untersuchungsfeldes, durch intensivere Verwertung der Quellen und
durch das Wachstum der Hilfswissenschaften vermittelt worden sind.
Das meiste geschah für die Aufhellung der fränkischen Zeit. Eich-
horn selbst hatte sich veranlasst gesehen, den dieser Periode gewid-
meten Abschnitt seiner Staats- und Rechtsgeschichte in der vierten
Auflage vollständig umzuarbeiten. Nichtsdestoweniger ist er durch
die neuere Forschung auf diesem Gebiete am meisten überholt wor-
den. Dagegen ist seine Darstellung der Rechtsgeschichte seit der
Reformation am wenigsten veraltet, obschon sie in den späteren Auf-
lagen die geringsten Veränderungen erfahren hatte.

In den Bahnen der Forschung hat sich nach Eichhorn eine be-
merkenswerte Schiebung vollzogen, welche auf einem Wechsel der
Ansichten über das gegenseitige Verhältnis der deutschen Stammes-
rechte beruht. Bei Eichhorn bildeten für die Zeit des deutschen Mittel-
alters die sächsischen Quellen die hauptsächlichste Grundlage der
Darstellung. Das sächsische Recht hatte der Zersetzung durch das
römische am besten widerstanden. Der Zusammenhang zwischen dem
vergangenen und dem gegenwärtigen Rechte liess sich da auf dem
kürzesten Wege darlegen. Da die sächsischen Rechtsdenkmäler auch

holländischen und seeländischen Rechtsquellen sind im Verhältnis zu Grimms
Rechtsaltertümern Noordewiers Nederduitsche Regtsoudheden, Utrecht 1853.
26 Scherer aus einem Briefe Grimms an Lachmann a. O. S 267.
27 Z f. gesch. RW I 124 ff. (1815).

der deutschen Rechtsgeschichte.
Geschichte des Rechtes führten die Rechtsaltertümer weniger fertige
Ergebnisse als ungelöste Probleme zu, weil die Entstehung und Fort-
bildung der dargestellten Rechtsbräuche von vornherein nicht in dem
Plane der Arbeit lag. Daraus erklärt sich die von Grimm gelegent-
lich gerügte Reserve, welche Eichhorn und seine Schule diesem Werke
gegenüber beobachteten 26. Das darin aufgespeicherte Material in den
Fluſs historischer Entwicklung zu bringen war eine Aufgabe, der die
Wissenschaft damals nicht gewachsen war und deren Lösung noch
jetzt zum guten Teile der Zukunft vorbehalten bleiben muſs.

In einem Aufsatze über das geschichtliche Studium des deutschen
Rechtes 27, der die nächstliegenden Bedürfnisse für den Ausbau der
deutschen Rechtsgeschichte besprach, erklärte Eichhorn, daſs sie viel
mehr der Untersuchung als der Anordnung des Untersuchten bedürfe.
Soweit die neuere Forschung über Eichhorn hinauskam, hat sie dies
der von ihm empfohlenen Methode zu verdanken. Nicht in Lehr-
büchern und Kompendien sondern in Spezialuntersuchungen beruhen
die Fortschritte der Wissenschaft, wie sie durch die Ausdehnung des
Untersuchungsfeldes, durch intensivere Verwertung der Quellen und
durch das Wachstum der Hilfswissenschaften vermittelt worden sind.
Das meiste geschah für die Aufhellung der fränkischen Zeit. Eich-
horn selbst hatte sich veranlaſst gesehen, den dieser Periode gewid-
meten Abschnitt seiner Staats- und Rechtsgeschichte in der vierten
Auflage vollständig umzuarbeiten. Nichtsdestoweniger ist er durch
die neuere Forschung auf diesem Gebiete am meisten überholt wor-
den. Dagegen ist seine Darstellung der Rechtsgeschichte seit der
Reformation am wenigsten veraltet, obschon sie in den späteren Auf-
lagen die geringsten Veränderungen erfahren hatte.

In den Bahnen der Forschung hat sich nach Eichhorn eine be-
merkenswerte Schiebung vollzogen, welche auf einem Wechsel der
Ansichten über das gegenseitige Verhältnis der deutschen Stammes-
rechte beruht. Bei Eichhorn bildeten für die Zeit des deutschen Mittel-
alters die sächsischen Quellen die hauptsächlichste Grundlage der
Darstellung. Das sächsische Recht hatte der Zersetzung durch das
römische am besten widerstanden. Der Zusammenhang zwischen dem
vergangenen und dem gegenwärtigen Rechte lieſs sich da auf dem
kürzesten Wege darlegen. Da die sächsischen Rechtsdenkmäler auch

holländischen und seeländischen Rechtsquellen sind im Verhältnis zu Grimms
Rechtsaltertümern Noordewiers Nederduitsche Regtsoudheden, Utrecht 1853.
26 Scherer aus einem Briefe Grimms an Lachmann a. O. S 267.
27 Z f. gesch. RW I 124 ff. (1815).
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[21/0039] der deutschen Rechtsgeschichte. Geschichte des Rechtes führten die Rechtsaltertümer weniger fertige Ergebnisse als ungelöste Probleme zu, weil die Entstehung und Fort- bildung der dargestellten Rechtsbräuche von vornherein nicht in dem Plane der Arbeit lag. Daraus erklärt sich die von Grimm gelegent- lich gerügte Reserve, welche Eichhorn und seine Schule diesem Werke gegenüber beobachteten 26. Das darin aufgespeicherte Material in den Fluſs historischer Entwicklung zu bringen war eine Aufgabe, der die Wissenschaft damals nicht gewachsen war und deren Lösung noch jetzt zum guten Teile der Zukunft vorbehalten bleiben muſs. In einem Aufsatze über das geschichtliche Studium des deutschen Rechtes 27, der die nächstliegenden Bedürfnisse für den Ausbau der deutschen Rechtsgeschichte besprach, erklärte Eichhorn, daſs sie viel mehr der Untersuchung als der Anordnung des Untersuchten bedürfe. Soweit die neuere Forschung über Eichhorn hinauskam, hat sie dies der von ihm empfohlenen Methode zu verdanken. Nicht in Lehr- büchern und Kompendien sondern in Spezialuntersuchungen beruhen die Fortschritte der Wissenschaft, wie sie durch die Ausdehnung des Untersuchungsfeldes, durch intensivere Verwertung der Quellen und durch das Wachstum der Hilfswissenschaften vermittelt worden sind. Das meiste geschah für die Aufhellung der fränkischen Zeit. Eich- horn selbst hatte sich veranlaſst gesehen, den dieser Periode gewid- meten Abschnitt seiner Staats- und Rechtsgeschichte in der vierten Auflage vollständig umzuarbeiten. Nichtsdestoweniger ist er durch die neuere Forschung auf diesem Gebiete am meisten überholt wor- den. Dagegen ist seine Darstellung der Rechtsgeschichte seit der Reformation am wenigsten veraltet, obschon sie in den späteren Auf- lagen die geringsten Veränderungen erfahren hatte. In den Bahnen der Forschung hat sich nach Eichhorn eine be- merkenswerte Schiebung vollzogen, welche auf einem Wechsel der Ansichten über das gegenseitige Verhältnis der deutschen Stammes- rechte beruht. Bei Eichhorn bildeten für die Zeit des deutschen Mittel- alters die sächsischen Quellen die hauptsächlichste Grundlage der Darstellung. Das sächsische Recht hatte der Zersetzung durch das römische am besten widerstanden. Der Zusammenhang zwischen dem vergangenen und dem gegenwärtigen Rechte lieſs sich da auf dem kürzesten Wege darlegen. Da die sächsischen Rechtsdenkmäler auch 25 26 Scherer aus einem Briefe Grimms an Lachmann a. O. S 267. 27 Z f. gesch. RW I 124 ff. (1815). 25 holländischen und seeländischen Rechtsquellen sind im Verhältnis zu Grimms Rechtsaltertümern Noordewiers Nederduitsche Regtsoudheden, Utrecht 1853.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/39>, abgerufen am 19.04.2024.