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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 57. Die Urkunden.
dem die einzelnen Rechtstitel entweder nach Gauen und Ortschaften 32
oder chronologisch oder wenigstens nach den Bischöfen und Äbten,
unter welchen sie erworben worden waren 33, oder ohne ersichtlichen
Plan 34 zusammengestellt wurden. Dabei nahmen die Kopisten ihre
Vorlagen nicht immer vollständig auf, sondern unterdrückten die An-
gaben, welche zur Zeit der Abfassung des Kopialbuchs unmittelbaren
praktischen Wert nicht mehr hatten, wie die Namen der Schreiber 35
und längst verstorbener Zeugen 36, oder sie beschränkten sich etwa
auf kurz gefasste Urkundenexzerpte. Wo das Kopialbuch von vorne-
herein darauf angelegt war, zu etwaigen Beweiszwecken die Zeugen-
namen zu überliefern, hat es im Laufe der Zeit hie und da den Cha-
rakter des Kopialbuches abgestreift und wurde zu einem gleichzeitig
und unmittelbar geführten Protokoll über die Rechtsgeschäfte der
Kirche, indem man die Aufnahme von Erwerbsurkunden durch Ein-
tragung in den Sammelkodex ersetzte 37.

Nur zu Verwaltungszwecken, um die Rechte der Kirche in Evi-
denz zu halten, wurden Register 38 angelegt, die sich als Güterver-

32 Nach lokalen Gesichtspunkten sind z. B. geordnet: die Weissenburger Tra-
ditionen, Traditiones possessionesque Wizenburgenses ed. Zeuss 1842, der nach
der Mitte des 9. Jahrh. zusammengestellte Mondseeer Traditionskodex, UB. des
Landes ob der Enns I, und der Passauer Codex traditionum antiquissimus, Monum.
Boica XXVIII b.
33 So der Freisinger Traditionskodex, der auf Veranlassung Bischofs Hitto
von Freising (811--835) von dem Diakon Cozroh begonnen, dann unter Bischof
Erchanbert (836--854) von ihm und anderen fortgesetzt worden ist. Die Freisinger
Urkunden stehen bei Meichelbeck, Historia Frisingensis. Wichtige Ergänzungen
bietet Graf Hundt in d. Abh. der bair. Akademie XII 1, XIII 1 und im oberbair.
Archiv XXXIV.
34 So die von dem Diakon Anamot 890 angelegte Sammlung der Traditions-
und Tauschurkunden von S. Emmeram in Regensburg: Pez, Thesaurus anecdo-
torum, 1721, I, 3.
35 So z. B. im Traditionskodex des Klosters Lorsch, Cod. Laureshamensis
dipl. 1768. Vgl. Bresslau a. O. S 32 f.
36 So in den Traditiones Lunaelacenses. S. oben Anm 32.
37 Redlich a. O. Nach H. Dürre, Über die angebliche Ordnungslosigkeit
und Lückenhaftigkeit der Traditiones Corbeienses, Z f. vaterl. Gesch. u. Altertums-
kunde Westfalens XXXVI b hatte der Traditionskodex von Corvey von vorne-
herein nicht den Charakter eines Kopialbuches, sondern den eines Traditionsver-
zeichnisses. Er enthält eine vollständige und wohlgeordnete Reihe aller dem Kloster
von 822 bis 1037 von nicht fürstlichen Personen übergebenen Güter, über
deren Erwerb keine Urkunde aufgenommen war. Wigand, Traditiones Corbeienses,
1843. Vgl. Bresslau a. O. S 59.
38 Registrum wird auch zur Bezeichnung von Kopialbüchern verwendet. So
wird z. B. die von dem Mönch und Archivar Gregor von Catino 1092--1099 an-

§ 57. Die Urkunden.
dem die einzelnen Rechtstitel entweder nach Gauen und Ortschaften 32
oder chronologisch oder wenigstens nach den Bischöfen und Äbten,
unter welchen sie erworben worden waren 33, oder ohne ersichtlichen
Plan 34 zusammengestellt wurden. Dabei nahmen die Kopisten ihre
Vorlagen nicht immer vollständig auf, sondern unterdrückten die An-
gaben, welche zur Zeit der Abfassung des Kopialbuchs unmittelbaren
praktischen Wert nicht mehr hatten, wie die Namen der Schreiber 35
und längst verstorbener Zeugen 36, oder sie beschränkten sich etwa
auf kurz gefaſste Urkundenexzerpte. Wo das Kopialbuch von vorne-
herein darauf angelegt war, zu etwaigen Beweiszwecken die Zeugen-
namen zu überliefern, hat es im Laufe der Zeit hie und da den Cha-
rakter des Kopialbuches abgestreift und wurde zu einem gleichzeitig
und unmittelbar geführten Protokoll über die Rechtsgeschäfte der
Kirche, indem man die Aufnahme von Erwerbsurkunden durch Ein-
tragung in den Sammelkodex ersetzte 37.

Nur zu Verwaltungszwecken, um die Rechte der Kirche in Evi-
denz zu halten, wurden Register 38 angelegt, die sich als Güterver-

32 Nach lokalen Gesichtspunkten sind z. B. geordnet: die Weiſsenburger Tra-
ditionen, Traditiones possessionesque Wizenburgenses ed. Zeuſs 1842, der nach
der Mitte des 9. Jahrh. zusammengestellte Mondseeer Traditionskodex, UB. des
Landes ob der Enns I, und der Passauer Codex traditionum antiquissimus, Monum.
Boica XXVIII b.
33 So der Freisinger Traditionskodex, der auf Veranlassung Bischofs Hitto
von Freising (811—835) von dem Diakon Cozroh begonnen, dann unter Bischof
Erchanbert (836—854) von ihm und anderen fortgesetzt worden ist. Die Freisinger
Urkunden stehen bei Meichelbeck, Historia Frisingensis. Wichtige Ergänzungen
bietet Graf Hundt in d. Abh. der bair. Akademie XII 1, XIII 1 und im oberbair.
Archiv XXXIV.
34 So die von dem Diakon Anamot 890 angelegte Sammlung der Traditions-
und Tauschurkunden von S. Emmeram in Regensburg: Pez, Thesaurus anecdo-
torum, 1721, I, 3.
35 So z. B. im Traditionskodex des Klosters Lorsch, Cod. Laureshamensis
dipl. 1768. Vgl. Breſslau a. O. S 32 f.
36 So in den Traditiones Lunaelacenses. S. oben Anm 32.
37 Redlich a. O. Nach H. Dürre, Über die angebliche Ordnungslosigkeit
und Lückenhaftigkeit der Traditiones Corbeienses, Z f. vaterl. Gesch. u. Altertums-
kunde Westfalens XXXVI b hatte der Traditionskodex von Corvey von vorne-
herein nicht den Charakter eines Kopialbuches, sondern den eines Traditionsver-
zeichnisses. Er enthält eine vollständige und wohlgeordnete Reihe aller dem Kloster
von 822 bis 1037 von nicht fürstlichen Personen übergebenen Güter, über
deren Erwerb keine Urkunde aufgenommen war. Wigand, Traditiones Corbeienses,
1843. Vgl. Breſslau a. O. S 59.
38 Registrum wird auch zur Bezeichnung von Kopialbüchern verwendet. So
wird z. B. die von dem Mönch und Archivar Gregor von Catino 1092—1099 an-
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[400/0418] § 57. Die Urkunden. dem die einzelnen Rechtstitel entweder nach Gauen und Ortschaften 32 oder chronologisch oder wenigstens nach den Bischöfen und Äbten, unter welchen sie erworben worden waren 33, oder ohne ersichtlichen Plan 34 zusammengestellt wurden. Dabei nahmen die Kopisten ihre Vorlagen nicht immer vollständig auf, sondern unterdrückten die An- gaben, welche zur Zeit der Abfassung des Kopialbuchs unmittelbaren praktischen Wert nicht mehr hatten, wie die Namen der Schreiber 35 und längst verstorbener Zeugen 36, oder sie beschränkten sich etwa auf kurz gefaſste Urkundenexzerpte. Wo das Kopialbuch von vorne- herein darauf angelegt war, zu etwaigen Beweiszwecken die Zeugen- namen zu überliefern, hat es im Laufe der Zeit hie und da den Cha- rakter des Kopialbuches abgestreift und wurde zu einem gleichzeitig und unmittelbar geführten Protokoll über die Rechtsgeschäfte der Kirche, indem man die Aufnahme von Erwerbsurkunden durch Ein- tragung in den Sammelkodex ersetzte 37. Nur zu Verwaltungszwecken, um die Rechte der Kirche in Evi- denz zu halten, wurden Register 38 angelegt, die sich als Güterver- 32 Nach lokalen Gesichtspunkten sind z. B. geordnet: die Weiſsenburger Tra- ditionen, Traditiones possessionesque Wizenburgenses ed. Zeuſs 1842, der nach der Mitte des 9. Jahrh. zusammengestellte Mondseeer Traditionskodex, UB. des Landes ob der Enns I, und der Passauer Codex traditionum antiquissimus, Monum. Boica XXVIII b. 33 So der Freisinger Traditionskodex, der auf Veranlassung Bischofs Hitto von Freising (811—835) von dem Diakon Cozroh begonnen, dann unter Bischof Erchanbert (836—854) von ihm und anderen fortgesetzt worden ist. Die Freisinger Urkunden stehen bei Meichelbeck, Historia Frisingensis. Wichtige Ergänzungen bietet Graf Hundt in d. Abh. der bair. Akademie XII 1, XIII 1 und im oberbair. Archiv XXXIV. 34 So die von dem Diakon Anamot 890 angelegte Sammlung der Traditions- und Tauschurkunden von S. Emmeram in Regensburg: Pez, Thesaurus anecdo- torum, 1721, I, 3. 35 So z. B. im Traditionskodex des Klosters Lorsch, Cod. Laureshamensis dipl. 1768. Vgl. Breſslau a. O. S 32 f. 36 So in den Traditiones Lunaelacenses. S. oben Anm 32. 37 Redlich a. O. Nach H. Dürre, Über die angebliche Ordnungslosigkeit und Lückenhaftigkeit der Traditiones Corbeienses, Z f. vaterl. Gesch. u. Altertums- kunde Westfalens XXXVI b hatte der Traditionskodex von Corvey von vorne- herein nicht den Charakter eines Kopialbuches, sondern den eines Traditionsver- zeichnisses. Er enthält eine vollständige und wohlgeordnete Reihe aller dem Kloster von 822 bis 1037 von nicht fürstlichen Personen übergebenen Güter, über deren Erwerb keine Urkunde aufgenommen war. Wigand, Traditiones Corbeienses, 1843. Vgl. Breſslau a. O. S 59. 38 Registrum wird auch zur Bezeichnung von Kopialbüchern verwendet. So wird z. B. die von dem Mönch und Archivar Gregor von Catino 1092—1099 an-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/418>, abgerufen am 29.03.2024.