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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 10. Das Wirtschaftsleben der Urzeit.
Zeit des Tacitus 14 bereits der Sondernutzung durch die einzelnen
Familienväter Platz gemacht. Der Wechsel des Ackerlandes findet
nunmehr innerhalb der Dorfschaft beziehungsweise der Markgenossen-
schaft statt. Das Ackerland wird, wahrscheinlich auf Grund periodischer
Verlosung, unter die Hofbesitzer verteilt. Da keiner ein Interesse
hatte mehr zu erhalten, als er zu bebauen vermochte, und des
Bodens die Fülle vorhanden war, so bestand die Möglichkeit, dem
Reicheren und Vornehmeren, der über eine grössere Zahl von Arbeits-
kräften verfügte, grössere oder mehrere Anteile zuzuweisen. War der
Boden, den man nicht zu düngen verstand, binnen kurzer Frist er-
schöpft, so blieb das abgeerntete Land als wildes Weideland liegen
und wurde ein anderer Teil der Mark auf Grund neuer Vermessung
und Verlosung als Ackerland aufgeteilt. Der Wirtschaftsplan wurde
von der Gesamtheit der Genossen festgestellt, an deren Beschlüsse
der einzelne in Bezug auf die Zeit und Art der Bestellung und der
Ernte gebunden war.

Die Herrschaft dieses Feldsystems, welches man als Feldgemein-
schaft mit wechselnder Hufenordnung oder als strenge Feldgemeinschaft
bezeichnet, behauptete sich so lange, als die Dauer der gemeinsamen
Nutzung zu Weidezwecken die Dauer der Sondernutzung zu Zwecken
des Ackerbaues überstieg. Eine erneute Vermessung und Verlosung
der Bodenfläche, welche jedesmal in Kultur genommen werden sollte,
empfahl sich unter solchen Umständen weit mehr als die Festhaltung
eines Sonderrechts, welches vielleicht Jahrzehnte hindurch praktisch
bedeutungslos gewesen wäre 15. Erst als das Bedürfnis intensiveren
Ackerbaues den Zeitraum der Sondernutzung verlängerte, konnte die
wechselnde Hufenordnung in eine feste übergehen und im Anschluss
daran ein Sondereigentum am Ackerlande erwachsen.

Lange über diese Veränderung hinaus erhielt sich die gemein-
schaftliche Nutzung der später sogenannten Almende oder gemeinen
Mark, communitas, commarchia. Sie umfasste alles Land, welches
nicht zu Sondereigentum oder zur Sondernutzung ausgeschieden wor-
den ist. Es war das der grössere Teil der Bodenfläche, Wald und
Weideland, Moor und öde Gründe, Flüsse, Bäche und Seen, soweit
eine Okkupation daran stattgefunden hatte. Das berechtigte Subjekt

14 Germ. c. 26: agri pro numero cultorum ab universis in vices occupantur,
quos mox inter se secundum dignationem partiuntur; facilitatem partiendi camporum
spatia praebent: arva per annos mutant, et superest ager.
15 Aus Nasse, Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Ein-
hegungen des 16. Jahrh. in England, 1869, S 8 f.

§ 10. Das Wirtschaftsleben der Urzeit.
Zeit des Tacitus 14 bereits der Sondernutzung durch die einzelnen
Familienväter Platz gemacht. Der Wechsel des Ackerlandes findet
nunmehr innerhalb der Dorfschaft beziehungsweise der Markgenossen-
schaft statt. Das Ackerland wird, wahrscheinlich auf Grund periodischer
Verlosung, unter die Hofbesitzer verteilt. Da keiner ein Interesse
hatte mehr zu erhalten, als er zu bebauen vermochte, und des
Bodens die Fülle vorhanden war, so bestand die Möglichkeit, dem
Reicheren und Vornehmeren, der über eine gröſsere Zahl von Arbeits-
kräften verfügte, gröſsere oder mehrere Anteile zuzuweisen. War der
Boden, den man nicht zu düngen verstand, binnen kurzer Frist er-
schöpft, so blieb das abgeerntete Land als wildes Weideland liegen
und wurde ein anderer Teil der Mark auf Grund neuer Vermessung
und Verlosung als Ackerland aufgeteilt. Der Wirtschaftsplan wurde
von der Gesamtheit der Genossen festgestellt, an deren Beschlüsse
der einzelne in Bezug auf die Zeit und Art der Bestellung und der
Ernte gebunden war.

Die Herrschaft dieses Feldsystems, welches man als Feldgemein-
schaft mit wechselnder Hufenordnung oder als strenge Feldgemeinschaft
bezeichnet, behauptete sich so lange, als die Dauer der gemeinsamen
Nutzung zu Weidezwecken die Dauer der Sondernutzung zu Zwecken
des Ackerbaues überstieg. Eine erneute Vermessung und Verlosung
der Bodenfläche, welche jedesmal in Kultur genommen werden sollte,
empfahl sich unter solchen Umständen weit mehr als die Festhaltung
eines Sonderrechts, welches vielleicht Jahrzehnte hindurch praktisch
bedeutungslos gewesen wäre 15. Erst als das Bedürfnis intensiveren
Ackerbaues den Zeitraum der Sondernutzung verlängerte, konnte die
wechselnde Hufenordnung in eine feste übergehen und im Anschluſs
daran ein Sondereigentum am Ackerlande erwachsen.

Lange über diese Veränderung hinaus erhielt sich die gemein-
schaftliche Nutzung der später sogenannten Almende oder gemeinen
Mark, communitas, commarchia. Sie umfaſste alles Land, welches
nicht zu Sondereigentum oder zur Sondernutzung ausgeschieden wor-
den ist. Es war das der gröſsere Teil der Bodenfläche, Wald und
Weideland, Moor und öde Gründe, Flüsse, Bäche und Seen, soweit
eine Okkupation daran stattgefunden hatte. Das berechtigte Subjekt

14 Germ. c. 26: agri pro numero cultorum ab universis in vices occupantur,
quos mox inter se secundum dignationem partiuntur; facilitatem partiendi camporum
spatia praebent: arva per annos mutant, et superest ager.
15 Aus Nasse, Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Ein-
hegungen des 16. Jahrh. in England, 1869, S 8 f.
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[61/0079] § 10. Das Wirtschaftsleben der Urzeit. Zeit des Tacitus 14 bereits der Sondernutzung durch die einzelnen Familienväter Platz gemacht. Der Wechsel des Ackerlandes findet nunmehr innerhalb der Dorfschaft beziehungsweise der Markgenossen- schaft statt. Das Ackerland wird, wahrscheinlich auf Grund periodischer Verlosung, unter die Hofbesitzer verteilt. Da keiner ein Interesse hatte mehr zu erhalten, als er zu bebauen vermochte, und des Bodens die Fülle vorhanden war, so bestand die Möglichkeit, dem Reicheren und Vornehmeren, der über eine gröſsere Zahl von Arbeits- kräften verfügte, gröſsere oder mehrere Anteile zuzuweisen. War der Boden, den man nicht zu düngen verstand, binnen kurzer Frist er- schöpft, so blieb das abgeerntete Land als wildes Weideland liegen und wurde ein anderer Teil der Mark auf Grund neuer Vermessung und Verlosung als Ackerland aufgeteilt. Der Wirtschaftsplan wurde von der Gesamtheit der Genossen festgestellt, an deren Beschlüsse der einzelne in Bezug auf die Zeit und Art der Bestellung und der Ernte gebunden war. Die Herrschaft dieses Feldsystems, welches man als Feldgemein- schaft mit wechselnder Hufenordnung oder als strenge Feldgemeinschaft bezeichnet, behauptete sich so lange, als die Dauer der gemeinsamen Nutzung zu Weidezwecken die Dauer der Sondernutzung zu Zwecken des Ackerbaues überstieg. Eine erneute Vermessung und Verlosung der Bodenfläche, welche jedesmal in Kultur genommen werden sollte, empfahl sich unter solchen Umständen weit mehr als die Festhaltung eines Sonderrechts, welches vielleicht Jahrzehnte hindurch praktisch bedeutungslos gewesen wäre 15. Erst als das Bedürfnis intensiveren Ackerbaues den Zeitraum der Sondernutzung verlängerte, konnte die wechselnde Hufenordnung in eine feste übergehen und im Anschluſs daran ein Sondereigentum am Ackerlande erwachsen. Lange über diese Veränderung hinaus erhielt sich die gemein- schaftliche Nutzung der später sogenannten Almende oder gemeinen Mark, communitas, commarchia. Sie umfaſste alles Land, welches nicht zu Sondereigentum oder zur Sondernutzung ausgeschieden wor- den ist. Es war das der gröſsere Teil der Bodenfläche, Wald und Weideland, Moor und öde Gründe, Flüsse, Bäche und Seen, soweit eine Okkupation daran stattgefunden hatte. Das berechtigte Subjekt 14 Germ. c. 26: agri pro numero cultorum ab universis in vices occupantur, quos mox inter se secundum dignationem partiuntur; facilitatem partiendi camporum spatia praebent: arva per annos mutant, et superest ager. 15 Aus Nasse, Über die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Ein- hegungen des 16. Jahrh. in England, 1869, S 8 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/79>, abgerufen am 29.03.2024.