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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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des römischen Westreichs.
könig Kleph fiel 574 durch Meuchelmord 21. Die Langobarden lebten
dann zehn Jahre lang ohne König unter fünfunddreissig Herzögen.
Diese Zeit benutzen sie, um über die Römer herzufallen. Viele von
den vornehmen Römern wurden getötet, ihre Besitztümer eingezogen.
Im übrigen machten die langobardischen hospites ihre Wirte zins-
pflichtig. Dieselben mussten nach Kolonenart den dritten Teil der
Früchte an ihre Herren abliefern 22. Der hospes war sonach zum
dominus, der possessor zum Kolonen geworden. Dabei ist selbst-
verständlich die Zinspflicht nicht auf die gesamte römische Bevölke-
rung ausgedehnt, etwa durch Rechtssatz jeder Römer für zinspflichtig
erklärt worden. Vielmehr erstreckte sich die Massregel nur auf den
ländlichen Grundbesitz und auch auf diesen nur, soweit innerhalb der
besetzten Gebiete ein Bedürfnis dazu vorhanden war. Nicht jeder
Römer erhielt einen langobardischen Herrn; aber jeder freie Lango-
barde bemächtigte sich eines römischen Grundbesitzers, der ihm die
tertia zu zahlen hatte. Die Behandlung des römischen Grundbesitzes
schliesst also das Vorhandensein einer freien römischen Bevölkerung
nicht aus 23. Als die Expropriierung der römischen Possessoren eine
vollendete Thatsache war, schritten die Langobarden zur Wieder-
herstellung des Königtums, indem sie Authari zum König erhoben.
Dabei wurde einerseits das Königtum mit Grundbesitz ausgestattet,
indem die Herzöge die Hälfte ihrer Besitztümer dem königlichen
Fiskus überwiesen, andrerseits aber die Aufteilung der römischen
Landbevölkerung geregelt 24. Die Vorgänge der königlosen Zeit fan-
den nämlich insofern die königliche Sanktion, als nicht eine Teilung
des Landes, sondern eine Verteilung der Grundbesitzer ausgesprochen
wurde. Doch beseitigte eine einheitliche und gleichartige Durch-
führung der Massregel die Härten und Ungleichheiten, welche die
gewiss höchst tumultuarischen Okkupationen der vorausgegangenen

21 Zwischen der Behandlung der Agrarfrage und dem Interregnum scheint mir
ein innerer Zusammenhang obzuwalten, der die auffallende Thatsache der Ab-
schaffung und Wiederherstellung des Königtums in überraschender Weise erklärt.
22 Paulus II 32: his diebus (nach Beseitigung des Königtums) multi nobilium
Romanorum ob cupiditatem interfecti sunt. Reliqui vero per hospites divisi, ut
terciam partem suarum frugum Langobardis persolverent, tributarii efficiuntur.
23 Städtischer Besitz, die Existenz freier Kaufleute und Handwerker, Freiheit
und Grundeigentum des Klerus sind daher mit jener rigorosen Lösung der Agrar-
frage sehr wohl vereinbar.
24 Paulus III 16: Populi tamen adgravati per Langobardos hospites parti-
untur. Die partitio populorum steht mit der unmittelbar vorher berichteten Aus-
stattung des Königtums in Zusammenhang. Die Genehmigung der partitio war ver-
mutlich der Preis, den das langobardische Königtum für seine Restauration zahlte.

des römischen Westreichs.
könig Kleph fiel 574 durch Meuchelmord 21. Die Langobarden lebten
dann zehn Jahre lang ohne König unter fünfunddreiſsig Herzögen.
Diese Zeit benutzen sie, um über die Römer herzufallen. Viele von
den vornehmen Römern wurden getötet, ihre Besitztümer eingezogen.
Im übrigen machten die langobardischen hospites ihre Wirte zins-
pflichtig. Dieselben muſsten nach Kolonenart den dritten Teil der
Früchte an ihre Herren abliefern 22. Der hospes war sonach zum
dominus, der possessor zum Kolonen geworden. Dabei ist selbst-
verständlich die Zinspflicht nicht auf die gesamte römische Bevölke-
rung ausgedehnt, etwa durch Rechtssatz jeder Römer für zinspflichtig
erklärt worden. Vielmehr erstreckte sich die Maſsregel nur auf den
ländlichen Grundbesitz und auch auf diesen nur, soweit innerhalb der
besetzten Gebiete ein Bedürfnis dazu vorhanden war. Nicht jeder
Römer erhielt einen langobardischen Herrn; aber jeder freie Lango-
barde bemächtigte sich eines römischen Grundbesitzers, der ihm die
tertia zu zahlen hatte. Die Behandlung des römischen Grundbesitzes
schlieſst also das Vorhandensein einer freien römischen Bevölkerung
nicht aus 23. Als die Expropriierung der römischen Possessoren eine
vollendete Thatsache war, schritten die Langobarden zur Wieder-
herstellung des Königtums, indem sie Authari zum König erhoben.
Dabei wurde einerseits das Königtum mit Grundbesitz ausgestattet,
indem die Herzöge die Hälfte ihrer Besitztümer dem königlichen
Fiskus überwiesen, andrerseits aber die Aufteilung der römischen
Landbevölkerung geregelt 24. Die Vorgänge der königlosen Zeit fan-
den nämlich insofern die königliche Sanktion, als nicht eine Teilung
des Landes, sondern eine Verteilung der Grundbesitzer ausgesprochen
wurde. Doch beseitigte eine einheitliche und gleichartige Durch-
führung der Maſsregel die Härten und Ungleichheiten, welche die
gewiſs höchst tumultuarischen Okkupationen der vorausgegangenen

21 Zwischen der Behandlung der Agrarfrage und dem Interregnum scheint mir
ein innerer Zusammenhang obzuwalten, der die auffallende Thatsache der Ab-
schaffung und Wiederherstellung des Königtums in überraschender Weise erklärt.
22 Paulus II 32: his diebus (nach Beseitigung des Königtums) multi nobilium
Romanorum ob cupiditatem interfecti sunt. Reliqui vero per hospites divisi, ut
terciam partem suarum frugum Langobardis persolverent, tributarii efficiuntur.
23 Städtischer Besitz, die Existenz freier Kaufleute und Handwerker, Freiheit
und Grundeigentum des Klerus sind daher mit jener rigorosen Lösung der Agrar-
frage sehr wohl vereinbar.
24 Paulus III 16: Populi tamen adgravati per Langobardos hospites parti-
untur. Die partitio populorum steht mit der unmittelbar vorher berichteten Aus-
stattung des Königtums in Zusammenhang. Die Genehmigung der partitio war ver-
mutlich der Preis, den das langobardische Königtum für seine Restauration zahlte.
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[69/0087] des römischen Westreichs. könig Kleph fiel 574 durch Meuchelmord 21. Die Langobarden lebten dann zehn Jahre lang ohne König unter fünfunddreiſsig Herzögen. Diese Zeit benutzen sie, um über die Römer herzufallen. Viele von den vornehmen Römern wurden getötet, ihre Besitztümer eingezogen. Im übrigen machten die langobardischen hospites ihre Wirte zins- pflichtig. Dieselben muſsten nach Kolonenart den dritten Teil der Früchte an ihre Herren abliefern 22. Der hospes war sonach zum dominus, der possessor zum Kolonen geworden. Dabei ist selbst- verständlich die Zinspflicht nicht auf die gesamte römische Bevölke- rung ausgedehnt, etwa durch Rechtssatz jeder Römer für zinspflichtig erklärt worden. Vielmehr erstreckte sich die Maſsregel nur auf den ländlichen Grundbesitz und auch auf diesen nur, soweit innerhalb der besetzten Gebiete ein Bedürfnis dazu vorhanden war. Nicht jeder Römer erhielt einen langobardischen Herrn; aber jeder freie Lango- barde bemächtigte sich eines römischen Grundbesitzers, der ihm die tertia zu zahlen hatte. Die Behandlung des römischen Grundbesitzes schlieſst also das Vorhandensein einer freien römischen Bevölkerung nicht aus 23. Als die Expropriierung der römischen Possessoren eine vollendete Thatsache war, schritten die Langobarden zur Wieder- herstellung des Königtums, indem sie Authari zum König erhoben. Dabei wurde einerseits das Königtum mit Grundbesitz ausgestattet, indem die Herzöge die Hälfte ihrer Besitztümer dem königlichen Fiskus überwiesen, andrerseits aber die Aufteilung der römischen Landbevölkerung geregelt 24. Die Vorgänge der königlosen Zeit fan- den nämlich insofern die königliche Sanktion, als nicht eine Teilung des Landes, sondern eine Verteilung der Grundbesitzer ausgesprochen wurde. Doch beseitigte eine einheitliche und gleichartige Durch- führung der Maſsregel die Härten und Ungleichheiten, welche die gewiſs höchst tumultuarischen Okkupationen der vorausgegangenen 21 Zwischen der Behandlung der Agrarfrage und dem Interregnum scheint mir ein innerer Zusammenhang obzuwalten, der die auffallende Thatsache der Ab- schaffung und Wiederherstellung des Königtums in überraschender Weise erklärt. 22 Paulus II 32: his diebus (nach Beseitigung des Königtums) multi nobilium Romanorum ob cupiditatem interfecti sunt. Reliqui vero per hospites divisi, ut terciam partem suarum frugum Langobardis persolverent, tributarii efficiuntur. 23 Städtischer Besitz, die Existenz freier Kaufleute und Handwerker, Freiheit und Grundeigentum des Klerus sind daher mit jener rigorosen Lösung der Agrar- frage sehr wohl vereinbar. 24 Paulus III 16: Populi tamen adgravati per Langobardos hospites parti- untur. Die partitio populorum steht mit der unmittelbar vorher berichteten Aus- stattung des Königtums in Zusammenhang. Die Genehmigung der partitio war ver- mutlich der Preis, den das langobardische Königtum für seine Restauration zahlte.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/87>, abgerufen am 23.04.2024.