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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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in strenger Haft gesessen, als unschuldig in Freiheit gesetzt
hat! Außer Küchler und Groß sind noch drei Bürger
aus Gießen verhaftet worden. Zwei von ihnen haben ihr
Geschäft, und der eine ist obendrein Familienvater. Auch
hörten wir, Max v. Biegeleben sei verhaftet, aber gleich
darauf wieder gegen Caution in Freiheit gesetzt worden.
Gladbach soll vor einiger Zeit zu acht Jahren Zuchthaus
verurtheilt worden sein; das Urtheil sei aber wieder umge-
stoßen, und die Untersuchung fange von Neuem an. Ihr
würdet mir einen Gefallen thun, wenn ihr mir über Beides
Auskunft gäbet.

Ich will euch dafür sogleich eine sonderbare Geschichte
erzählen, die Herr J. in den englischen Blättern gelesen,
und die, wie dazu bemerkt, in den deutschen Blättern nicht
mitgetheilt werden durfte. Der Director des Theaters zu
Braunschweig ist der bekannte Componist Methfessel. Er
hat eine hübsche Frau, die dem Herzog gefällt, und ein Paar
Augen, die er gern zudrückt, und ein Paar Hände, die er
gern aufmacht. Der Herzog hat die sonderbare Manie,
Madame Methfessel im Costüm zu bewundern. Er befindet
sich daher gewöhnlich vor Anfang des Schauspiels mit ihr
allein auf der Bühne. Nun intriguirt Methfessel gegen
einen bekannten Schauspieler, dessen Name mir entfallen
ist. Der Schauspieler will sich rächen, er gewinnt den
Maschinisten, der Maschinist zieht an einem schönen Abend
den Vorhang ein Viertelstündchen früher auf, und der Herzog
spielt mit Madame Methfessel die erste Scene. Er geräth
außer sich, zieht den Degen und ersticht den Maschinisten;
der Schauspieler hat sich geflüchtet. --

Ich kann euch versichern, daß nicht das geringste politische

in ſtrenger Haft geſeſſen, als unſchuldig in Freiheit geſetzt
hat! Außer Küchler und Groß ſind noch drei Bürger
aus Gießen verhaftet worden. Zwei von ihnen haben ihr
Geſchäft, und der eine iſt obendrein Familienvater. Auch
hörten wir, Max v. Biegeleben ſei verhaftet, aber gleich
darauf wieder gegen Caution in Freiheit geſetzt worden.
Gladbach ſoll vor einiger Zeit zu acht Jahren Zuchthaus
verurtheilt worden ſein; das Urtheil ſei aber wieder umge-
ſtoßen, und die Unterſuchung fange von Neuem an. Ihr
würdet mir einen Gefallen thun, wenn ihr mir über Beides
Auskunft gäbet.

Ich will euch dafür ſogleich eine ſonderbare Geſchichte
erzählen, die Herr J. in den engliſchen Blättern geleſen,
und die, wie dazu bemerkt, in den deutſchen Blättern nicht
mitgetheilt werden durfte. Der Director des Theaters zu
Braunſchweig iſt der bekannte Componiſt Methfeſſel. Er
hat eine hübſche Frau, die dem Herzog gefällt, und ein Paar
Augen, die er gern zudrückt, und ein Paar Hände, die er
gern aufmacht. Der Herzog hat die ſonderbare Manie,
Madame Methfeſſel im Coſtüm zu bewundern. Er befindet
ſich daher gewöhnlich vor Anfang des Schauſpiels mit ihr
allein auf der Bühne. Nun intriguirt Methfeſſel gegen
einen bekannten Schauſpieler, deſſen Name mir entfallen
iſt. Der Schauſpieler will ſich rächen, er gewinnt den
Maſchiniſten, der Maſchiniſt zieht an einem ſchönen Abend
den Vorhang ein Viertelſtündchen früher auf, und der Herzog
ſpielt mit Madame Methfeſſel die erſte Scene. Er geräth
außer ſich, zieht den Degen und erſticht den Maſchiniſten;
der Schauſpieler hat ſich geflüchtet. —

Ich kann euch verſichern, daß nicht das geringſte politiſche

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[364/0560] in ſtrenger Haft geſeſſen, als unſchuldig in Freiheit geſetzt hat! Außer Küchler und Groß ſind noch drei Bürger aus Gießen verhaftet worden. Zwei von ihnen haben ihr Geſchäft, und der eine iſt obendrein Familienvater. Auch hörten wir, Max v. Biegeleben ſei verhaftet, aber gleich darauf wieder gegen Caution in Freiheit geſetzt worden. Gladbach ſoll vor einiger Zeit zu acht Jahren Zuchthaus verurtheilt worden ſein; das Urtheil ſei aber wieder umge- ſtoßen, und die Unterſuchung fange von Neuem an. Ihr würdet mir einen Gefallen thun, wenn ihr mir über Beides Auskunft gäbet. Ich will euch dafür ſogleich eine ſonderbare Geſchichte erzählen, die Herr J. in den engliſchen Blättern geleſen, und die, wie dazu bemerkt, in den deutſchen Blättern nicht mitgetheilt werden durfte. Der Director des Theaters zu Braunſchweig iſt der bekannte Componiſt Methfeſſel. Er hat eine hübſche Frau, die dem Herzog gefällt, und ein Paar Augen, die er gern zudrückt, und ein Paar Hände, die er gern aufmacht. Der Herzog hat die ſonderbare Manie, Madame Methfeſſel im Coſtüm zu bewundern. Er befindet ſich daher gewöhnlich vor Anfang des Schauſpiels mit ihr allein auf der Bühne. Nun intriguirt Methfeſſel gegen einen bekannten Schauſpieler, deſſen Name mir entfallen iſt. Der Schauſpieler will ſich rächen, er gewinnt den Maſchiniſten, der Maſchiniſt zieht an einem ſchönen Abend den Vorhang ein Viertelſtündchen früher auf, und der Herzog ſpielt mit Madame Methfeſſel die erſte Scene. Er geräth außer ſich, zieht den Degen und erſticht den Maſchiniſten; der Schauſpieler hat ſich geflüchtet. — Ich kann euch verſichern, daß nicht das geringſte politiſche

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/560>, abgerufen am 28.03.2024.