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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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nicht aus welcher verdammten Nothwendigkeit, ohne Zu-
neigung, ohne Liebe, ohne Zutrauen an mich anklammert
und quält und den ich wie ein nothwendiges Uebel getragen
habe! Es war mir wie einem Lahmen oder Krüppel zu
Muth, und ich hatte mich so ziemlich in mein Leiden gefunden.
Aber jetzt bin ich froh, es ist mir, als wäre ich von einer
Todsünde absolvirt. Ich kann ihn endlich mit guter Manier
vor die Thüre werfen. Ich war bisher unvernünftig gut-
müthig, es wäre mir leichter gefallen ihn todt zu schlagen,
als zu sagen: Pack dich! Aber jetzt bin ich ihn los! Gott
sei Dank! Nichts kommt Einem doch in der Welt theurer
zu stehen, als die Humanität.

*
* Ueber die Veranlassung dieses Schreibens erzählt Gutzkow
(im Frankfurter "Telegraph", 1837, Nr. 43, S. 339) folgendes:
"Meine Kritik (über "Dantons Tod") hatte auch eine Folge, die
für unsere Zustände nicht uninteressant war. Ich erhielt nämlich
aus der Schweiz einen anonymen Brief, der allem Anscheine nach
von der dortigen "jeune Allemagne" -- (nicht zu verwechseln mit
dem "jungen Deutschland"!) -- herrührte und worin mir über
mein Lob eines politischen Apostaten, wofür Büchner nun schon
galt, die heftigsten Vorwürfe gemacht wurden. Es war zu gleicher
Zeit der Neid eines Schulkameraden, der sich in dem Briefe aus-
sprach. Den Verfasser, den ich wohl errathe, ärgerte das einem
ehemaligen Freund gespendete Lob und um seine kleinliche Empfindung
zu verbergen, hüllte er sich in pädagogische Vorwände. Der ge-
ärgerte Schulkamerad schrieb: "Bei der unbedingtesten Gerechtigkeit,
die ich Büchner's Genie widerfahren ließ, ist es mir doch nie ein-
gefallen, mich vor ihm in eine Ecke zu verkriechen." Darauf folgte
ein Erguß über die Eitelkeit, in der nun der Kamerad bestärkt
werden würde, eine Versicherung, daß er Büchner's wahrer Freund
wäre und in einem Postscript -- ob ich nicht eine Antikritik ab-
drucken wollte! Mir schien dies anonyme Schreiben so verdächtig,
daß ich Büchner einen Wink gab und von ihm (obige) Aufklärung

nicht aus welcher verdammten Nothwendigkeit, ohne Zu-
neigung, ohne Liebe, ohne Zutrauen an mich anklammert
und quält und den ich wie ein nothwendiges Uebel getragen
habe! Es war mir wie einem Lahmen oder Krüppel zu
Muth, und ich hatte mich ſo ziemlich in mein Leiden gefunden.
Aber jetzt bin ich froh, es iſt mir, als wäre ich von einer
Todſünde abſolvirt. Ich kann ihn endlich mit guter Manier
vor die Thüre werfen. Ich war bisher unvernünftig gut-
müthig, es wäre mir leichter gefallen ihn todt zu ſchlagen,
als zu ſagen: Pack dich! Aber jetzt bin ich ihn los! Gott
ſei Dank! Nichts kommt Einem doch in der Welt theurer
zu ſtehen, als die Humanität.

*
* Ueber die Veranlaſſung dieſes Schreibens erzählt Gutzkow
(im Frankfurter "Telegraph", 1837, Nr. 43, S. 339) folgendes:
"Meine Kritik (über "Dantons Tod") hatte auch eine Folge, die
für unſere Zuſtände nicht unintereſſant war. Ich erhielt nämlich
aus der Schweiz einen anonymen Brief, der allem Anſcheine nach
von der dortigen "jeune Allemagne" — (nicht zu verwechſeln mit
dem "jungen Deutſchland"!) — herrührte und worin mir über
mein Lob eines politiſchen Apoſtaten, wofür Büchner nun ſchon
galt, die heftigſten Vorwürfe gemacht wurden. Es war zu gleicher
Zeit der Neid eines Schulkameraden, der ſich in dem Briefe aus-
ſprach. Den Verfaſſer, den ich wohl errathe, ärgerte das einem
ehemaligen Freund geſpendete Lob und um ſeine kleinliche Empfindung
zu verbergen, hüllte er ſich in pädagogiſche Vorwände. Der ge-
ärgerte Schulkamerad ſchrieb: "Bei der unbedingteſten Gerechtigkeit,
die ich Büchner's Genie widerfahren ließ, iſt es mir doch nie ein-
gefallen, mich vor ihm in eine Ecke zu verkriechen." Darauf folgte
ein Erguß über die Eitelkeit, in der nun der Kamerad beſtärkt
werden würde, eine Verſicherung, daß er Büchner's wahrer Freund
wäre und in einem Poſtſcript — ob ich nicht eine Antikritik ab-
drucken wollte! Mir ſchien dies anonyme Schreiben ſo verdächtig,
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[384/0580] nicht aus welcher verdammten Nothwendigkeit, ohne Zu- neigung, ohne Liebe, ohne Zutrauen an mich anklammert und quält und den ich wie ein nothwendiges Uebel getragen habe! Es war mir wie einem Lahmen oder Krüppel zu Muth, und ich hatte mich ſo ziemlich in mein Leiden gefunden. Aber jetzt bin ich froh, es iſt mir, als wäre ich von einer Todſünde abſolvirt. Ich kann ihn endlich mit guter Manier vor die Thüre werfen. Ich war bisher unvernünftig gut- müthig, es wäre mir leichter gefallen ihn todt zu ſchlagen, als zu ſagen: Pack dich! Aber jetzt bin ich ihn los! Gott ſei Dank! Nichts kommt Einem doch in der Welt theurer zu ſtehen, als die Humanität. * * Ueber die Veranlaſſung dieſes Schreibens erzählt Gutzkow (im Frankfurter "Telegraph", 1837, Nr. 43, S. 339) folgendes: "Meine Kritik (über "Dantons Tod") hatte auch eine Folge, die für unſere Zuſtände nicht unintereſſant war. Ich erhielt nämlich aus der Schweiz einen anonymen Brief, der allem Anſcheine nach von der dortigen "jeune Allemagne" — (nicht zu verwechſeln mit dem "jungen Deutſchland"!) — herrührte und worin mir über mein Lob eines politiſchen Apoſtaten, wofür Büchner nun ſchon galt, die heftigſten Vorwürfe gemacht wurden. Es war zu gleicher Zeit der Neid eines Schulkameraden, der ſich in dem Briefe aus- ſprach. Den Verfaſſer, den ich wohl errathe, ärgerte das einem ehemaligen Freund geſpendete Lob und um ſeine kleinliche Empfindung zu verbergen, hüllte er ſich in pädagogiſche Vorwände. Der ge- ärgerte Schulkamerad ſchrieb: "Bei der unbedingteſten Gerechtigkeit, die ich Büchner's Genie widerfahren ließ, iſt es mir doch nie ein- gefallen, mich vor ihm in eine Ecke zu verkriechen." Darauf folgte ein Erguß über die Eitelkeit, in der nun der Kamerad beſtärkt werden würde, eine Verſicherung, daß er Büchner's wahrer Freund wäre und in einem Poſtſcript — ob ich nicht eine Antikritik ab- drucken wollte! Mir ſchien dies anonyme Schreiben ſo verdächtig, daß ich Büchner einen Wink gab und von ihm (obige) Aufklärung

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/580>, abgerufen am 25.04.2024.