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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Die dorische Ordnung in Pompeji.
Zeit Sulla's versetzt; eine noch ältere Anwendung des Dorischen fin-
det man an dem Sarcophag des Scipio barbatus (Vatican, Belvedere,a
Gemach des Torso). Ausserdem bietet Pompeji eine Anzahl zer-
störter dorischer Bauten, welche noch zwischen dem Griechischen und
dem Römischen die Mitte einzunehmen scheinen, meist Hallen, welche
Plätze und Höfe (z. B. den des verschwundenen, einst griechisch-do-
rischen Heraklestempels und den des Venustempels) umgeben, und
welche ihrer Detailbildung wegen am besten hier zu erwähnen sind.
Die Säulen sind für diese Ordnung sehr schlank und dünn, ihre Can-
nelirungen demnach schmal; die letztern beginnen meist erst in einer
gewissen Höhe über der Erde, weil sie sich weiter unten rasch abge-
nützt hätten. Der Echinus ist durchgängig schon ziemlich trocken und
klein, die Deckplatte dünn gebildet. Am Gebälk ist der Architrav schon
nicht mehr glatt, sondern in zwei Riemen getheilt, der Fries mit den
Triglyphen ohne den griechischen Nachdruck. Noch am meisten grie-b
chisch ist das einzige Fragment der schon erwähnten Halle um den
Hof des Heraklestempels, des sog. Foro triangolare; hier hat der Echi-
nus noch die drei Riemen, unter welchen dann die Cannelirungen mit
runden Ansätzen beginnen; anderwärts sind diese Ansätze wagrecht
und die Riemen durch irgend ein empfindungsloses Zwischenglied er-
setzt. So am sog. Soldatenquartier und an den ältern Säulen desc
grossen Forums; die jüngern haben einen ganz sinnlosen, wellenför-d
migen Echinus. Die Halle um den Hof des Venustempels war eben-e
falls von einer geringen dorischen Art wie die Stellen zeigen, wo die
spätere Ueberarbeitung mit Stucco abgefallen ist. (Wie weit das Dach
noch über sie hervorragte, zeigen die wohl vier Fuss ausserhalb an-
gebrachten Regenrinnen am Boden).

Das spätere Rom, mit seiner Neigung für prächtige Detailver-
zierung, gab die dorische Ordnung beim Tempelbau bald ganz auf und
behielt sie nur bei zur Bekleidung des Erdgeschosses an mehrstöckigen
Bauten (z. B. Theatern). Hier tritt sie wiederum viel entstellter auf,
nämlich in ihrer ganz zweideutigen Verschmelzung mit der sog. tos-
kanischen Ordnung, welche in selbständigen Exemplaren nicht mehr
nachzuweisen ist. Sie verliert ihre Cannelirungen und gewinnt unten
eine Basis und oben (kurz vor dem roh gebildeten Echinus) einen Hals,

Die dorische Ordnung in Pompeji.
Zeit Sulla’s versetzt; eine noch ältere Anwendung des Dorischen fin-
det man an dem Sarcophag des Scipio barbatus (Vatican, Belvedere,a
Gemach des Torso). Ausserdem bietet Pompeji eine Anzahl zer-
störter dorischer Bauten, welche noch zwischen dem Griechischen und
dem Römischen die Mitte einzunehmen scheinen, meist Hallen, welche
Plätze und Höfe (z. B. den des verschwundenen, einst griechisch-do-
rischen Heraklestempels und den des Venustempels) umgeben, und
welche ihrer Detailbildung wegen am besten hier zu erwähnen sind.
Die Säulen sind für diese Ordnung sehr schlank und dünn, ihre Can-
nelirungen demnach schmal; die letztern beginnen meist erst in einer
gewissen Höhe über der Erde, weil sie sich weiter unten rasch abge-
nützt hätten. Der Echinus ist durchgängig schon ziemlich trocken und
klein, die Deckplatte dünn gebildet. Am Gebälk ist der Architrav schon
nicht mehr glatt, sondern in zwei Riemen getheilt, der Fries mit den
Triglyphen ohne den griechischen Nachdruck. Noch am meisten grie-b
chisch ist das einzige Fragment der schon erwähnten Halle um den
Hof des Heraklestempels, des sog. Foro triangolare; hier hat der Echi-
nus noch die drei Riemen, unter welchen dann die Cannelirungen mit
runden Ansätzen beginnen; anderwärts sind diese Ansätze wagrecht
und die Riemen durch irgend ein empfindungsloses Zwischenglied er-
setzt. So am sog. Soldatenquartier und an den ältern Säulen desc
grossen Forums; die jüngern haben einen ganz sinnlosen, wellenför-d
migen Echinus. Die Halle um den Hof des Venustempels war eben-e
falls von einer geringen dorischen Art wie die Stellen zeigen, wo die
spätere Ueberarbeitung mit Stucco abgefallen ist. (Wie weit das Dach
noch über sie hervorragte, zeigen die wohl vier Fuss ausserhalb an-
gebrachten Regenrinnen am Boden).

Das spätere Rom, mit seiner Neigung für prächtige Detailver-
zierung, gab die dorische Ordnung beim Tempelbau bald ganz auf und
behielt sie nur bei zur Bekleidung des Erdgeschosses an mehrstöckigen
Bauten (z. B. Theatern). Hier tritt sie wiederum viel entstellter auf,
nämlich in ihrer ganz zweideutigen Verschmelzung mit der sog. tos-
kanischen Ordnung, welche in selbständigen Exemplaren nicht mehr
nachzuweisen ist. Sie verliert ihre Cannelirungen und gewinnt unten
eine Basis und oben (kurz vor dem roh gebildeten Echinus) einen Hals,

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[15/0037] Die dorische Ordnung in Pompeji. Zeit Sulla’s versetzt; eine noch ältere Anwendung des Dorischen fin- det man an dem Sarcophag des Scipio barbatus (Vatican, Belvedere, Gemach des Torso). Ausserdem bietet Pompeji eine Anzahl zer- störter dorischer Bauten, welche noch zwischen dem Griechischen und dem Römischen die Mitte einzunehmen scheinen, meist Hallen, welche Plätze und Höfe (z. B. den des verschwundenen, einst griechisch-do- rischen Heraklestempels und den des Venustempels) umgeben, und welche ihrer Detailbildung wegen am besten hier zu erwähnen sind. Die Säulen sind für diese Ordnung sehr schlank und dünn, ihre Can- nelirungen demnach schmal; die letztern beginnen meist erst in einer gewissen Höhe über der Erde, weil sie sich weiter unten rasch abge- nützt hätten. Der Echinus ist durchgängig schon ziemlich trocken und klein, die Deckplatte dünn gebildet. Am Gebälk ist der Architrav schon nicht mehr glatt, sondern in zwei Riemen getheilt, der Fries mit den Triglyphen ohne den griechischen Nachdruck. Noch am meisten grie- chisch ist das einzige Fragment der schon erwähnten Halle um den Hof des Heraklestempels, des sog. Foro triangolare; hier hat der Echi- nus noch die drei Riemen, unter welchen dann die Cannelirungen mit runden Ansätzen beginnen; anderwärts sind diese Ansätze wagrecht und die Riemen durch irgend ein empfindungsloses Zwischenglied er- setzt. So am sog. Soldatenquartier und an den ältern Säulen des grossen Forums; die jüngern haben einen ganz sinnlosen, wellenför- migen Echinus. Die Halle um den Hof des Venustempels war eben- falls von einer geringen dorischen Art wie die Stellen zeigen, wo die spätere Ueberarbeitung mit Stucco abgefallen ist. (Wie weit das Dach noch über sie hervorragte, zeigen die wohl vier Fuss ausserhalb an- gebrachten Regenrinnen am Boden). a b c d e Das spätere Rom, mit seiner Neigung für prächtige Detailver- zierung, gab die dorische Ordnung beim Tempelbau bald ganz auf und behielt sie nur bei zur Bekleidung des Erdgeschosses an mehrstöckigen Bauten (z. B. Theatern). Hier tritt sie wiederum viel entstellter auf, nämlich in ihrer ganz zweideutigen Verschmelzung mit der sog. tos- kanischen Ordnung, welche in selbständigen Exemplaren nicht mehr nachzuweisen ist. Sie verliert ihre Cannelirungen und gewinnt unten eine Basis und oben (kurz vor dem roh gebildeten Echinus) einen Hals,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/37>, abgerufen am 24.04.2024.