Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Barbaren. Kelten.
Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst
von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph-
bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par-
ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent
gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con-a
servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance
der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt
bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten
kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo imb
Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange,
schräg herab reichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der
halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns
sind hier höschst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige
Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase,
der Bart einem schmalen Knebelbart.

Als Besiegte liessen sich die Barbaren trefflich zu tragenden
und stützenden Figuren brauchen, wie einst schon im grossen Tempel
von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen-
baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa
in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidariumc
der Bäder von Pompeji den Sims stützen. Dagegen sind in zwei
knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto)d
im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer
schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom
kunstüblichen Keltentypus dargestellt.

Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf
der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einere
der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt
Achills begleiteten.

Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom-
menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren-
statuen, der Schleifer (l'arrotino) in der Tribuna der Uffizien zuf
Florenz, ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern-
der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden
Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für
einen scythischen Sclaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe-

Barbaren. Kelten.
Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst
von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph-
bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par-
ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent
gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con-a
servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance
der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt
bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten
kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo imb
Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange,
schräg herab reichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der
halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns
sind hier höschst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige
Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase,
der Bart einem schmalen Knebelbart.

Als Besiegte liessen sich die Barbaren trefflich zu tragenden
und stützenden Figuren brauchen, wie einst schon im grossen Tempel
von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen-
baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa
in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidariumc
der Bäder von Pompeji den Sims stützen. Dagegen sind in zwei
knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto)d
im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer
schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom
kunstüblichen Keltentypus dargestellt.

Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf
der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einere
der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt
Achills begleiteten.

Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom-
menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren-
statuen, der Schleifer (l’arrotino) in der Tribuna der Uffizien zuf
Florenz, ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern-
der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden
Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für
einen scythischen Sclaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0513" n="491"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Barbaren. Kelten.</hi></fw><lb/>
Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst<lb/>
von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph-<lb/>
bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par-<lb/>
ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent<lb/>
gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con-<note place="right">a</note><lb/>
servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance<lb/>
der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt<lb/>
bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten<lb/>
kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo im<note place="right">b</note><lb/>
Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange,<lb/>
schräg herab reichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der<lb/>
halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns<lb/>
sind hier höschst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige<lb/>
Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase,<lb/>
der Bart einem schmalen Knebelbart.</p><lb/>
        <p>Als Besiegte liessen sich die Barbaren trefflich zu <hi rendition="#g">tragenden</hi><lb/>
und stützenden <hi rendition="#g">Figuren</hi> brauchen, wie einst schon im grossen Tempel<lb/>
von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen-<lb/>
baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa<lb/>
in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidarium<note place="right">c</note><lb/>
der <hi rendition="#g">Bäder von Pompeji</hi> den Sims stützen. Dagegen sind in zwei<lb/>
knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto)<note place="right">d</note><lb/>
im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer<lb/>
schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom<lb/>
kunstüblichen Keltentypus dargestellt.</p><lb/>
        <p>Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf<lb/>
der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einer<note place="right">e</note><lb/>
der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt<lb/>
Achills begleiteten.</p><lb/>
        <p>Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom-<lb/>
menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren-<lb/>
statuen, der <hi rendition="#g">Schleifer</hi> (l&#x2019;arrotino) in der Tribuna der Uffizien zu<note place="right">f</note><lb/><hi rendition="#g">Florenz</hi>, ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern-<lb/>
der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden<lb/>
Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für<lb/>
einen scythischen Sclaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[491/0513] Barbaren. Kelten. Hosen und Mäntel wie die Asiaten, wahrscheinlich weil die Kunst von den griechischen Zeiten her daran gewöhnt war. Am Triumph- bogen des Septimius Severus, wo es sich um wirkliche Asiaten, Par- ther etc. handelt, ist auf das gelockte Haar noch ein besonderer Accent gelegt. Ob in den beiden trefflichen Statuen der Hofhalle des Con- servatorenpalastes auf dem Capitol eine besondere illyrische Nuance der Tracht zu bemerken ist, wie behauptet wird, mag dahingestellt bleiben. Sonst lernt man den Typus des Gesichtes am bequemsten kennen aus den drei colossalen Dacierköpfen des Braccio nuovo im Vatican; die düstre, bedeckte Stirn, das tiefliegende Auge, die lange, schräg herab reichende Nase (wo sie alt ist), der Schnurrbart, der halboffene Mund, endlich die Bildung der Unterlippe und des Kinns sind hier höschst bezeichnend gebildet. Anderwärts ist das struppige Haar mehr hervorgehoben, auch nähert sich die Nase der Stülpnase, der Bart einem schmalen Knebelbart. a b Als Besiegte liessen sich die Barbaren trefflich zu tragenden und stützenden Figuren brauchen, wie einst schon im grossen Tempel von Agrigent riesige Africaner als Atlanten das Gesimse des Innen- baues trugen. Eine kleine Nachbildung von diesen mag man etwa in den vortrefflich gedachten Figuren erkennen, welche im Tepidarium der Bäder von Pompeji den Sims stützen. Dagegen sind in zwei knieenden Tragfiguren von weiss und violettem Marmor (Paonazetto) im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore) trotz ihrer schwarzen Köpfe und Hände keine Africaner, sondern Barbaren vom kunstüblichen Keltentypus dargestellt. c d Eine ähnliche knieende Figur, mit einem (restaurirten) Gefäss auf der Schulter, im obern Gang des Vaticans, könnte vielleicht als einer der Knechte gelten, welche den Priamus mit Geschenken in das Zelt Achills begleiteten. e Nur mit grossem Bedenken wage ich der schon früher vorgekom- menen Vermuthung beizutreten, dass eine der berühmtesten Barbaren- statuen, der Schleifer (l’arrotino) in der Tribuna der Uffizien zu Florenz, ein modernes Werk sei. Es ist ein betagter, niederkauern- der Mann, der ein breites Messer auf einem am Boden liegenden Steine schleift und dabei empor sieht und horcht; man nimmt ihn für einen scythischen Sclaven Apolls und seine Aktion für eine Vorbe- f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/513
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/513>, abgerufen am 28.03.2024.