I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
soll handeln können, wie und über welche Gegenstände er es tun kann; sie wird aber auch inhaltlich nicht unbeschränkt sein (obschon man das, ohne mit dem Begriff des Rechtes in Widerspruch zu geraten, denken kann), d. h. der Gesetzgeber wird nicht alle Rechtsverhältnisse der unbeschränkt freien Verein- barung (oder einseitiger rechtsgeschäftlicher Bestimmung) der Beteiligten selbst anheimstellen und sich etwa darauf beschränken, die Geschäftsfähigkeit und die Formen der Rechtsgeschäfte zu ordnen. Er wird, auch abgesehen von diesen Voraussetzungen der Vertragsschließung überhaupt, gewisse materielle Grundsätze von sich aus festsetzen und der Abänderung durch Privatwillkür ent- ziehen; welche kann, wie bemerkt, nicht allgemein gültig be- stimmt werden.
Unsere Aufgabe ist es aber auch nicht, dieses gesetzgebungs- politische Problem etwa für die Schweiz und für unsere Zeit zu besprechen, sondern nur zu prüfen, in welcher Weise sich diese Auf- gabe in den beiden Rechtsgebieten, im privaten und im öffent- lichen Recht, stellt, oder genauer gesagt, in welchem formalen Verhältnis die Vertragsfreiheit zum privaten und zum öffent- lichen Rechte steht.
Um diese Frage zu lösen, müssen wir uns vergegenwärtigen, was das Charakteristische jedes dieser Gebiete ist und was ihren spezifischen Gegensatz ausmacht. Oder mit andern Worten: wie sich diese beiden Gebiete voneinander unterscheiden und ob diese Unterscheidung in einer logischen Beziehung zum Institute des Vertrages steht.
2. Kapitel. Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Öffentliches und privates Recht bilden einen Gegensatz, wenigstens nach der Doktrin der Rechtsstaaten des europäischen Kontinents. Wir sind gewohnt, öffentliches und privates Recht einander gegenüberzustellen, und die praktische Bedeutung der Unterscheidung liegt darin, daß die Regeln unserer Privatrechts- gesetze, insbesondere unserer Gesetzbücher über das Privatrecht, nicht oder nicht unverändert auf die Fragen des öffentlichen Rechts anwendbar sind und daß die Zivilgerichte in der Regel
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
soll handeln können, wie und über welche Gegenstände er es tun kann; sie wird aber auch inhaltlich nicht unbeschränkt sein (obschon man das, ohne mit dem Begriff des Rechtes in Widerspruch zu geraten, denken kann), d. h. der Gesetzgeber wird nicht alle Rechtsverhältnisse der unbeschränkt freien Verein- barung (oder einseitiger rechtsgeschäftlicher Bestimmung) der Beteiligten selbst anheimstellen und sich etwa darauf beschränken, die Geschäftsfähigkeit und die Formen der Rechtsgeschäfte zu ordnen. Er wird, auch abgesehen von diesen Voraussetzungen der Vertragsschließung überhaupt, gewisse materielle Grundsätze von sich aus festsetzen und der Abänderung durch Privatwillkür ent- ziehen; welche kann, wie bemerkt, nicht allgemein gültig be- stimmt werden.
Unsere Aufgabe ist es aber auch nicht, dieses gesetzgebungs- politische Problem etwa für die Schweiz und für unsere Zeit zu besprechen, sondern nur zu prüfen, in welcher Weise sich diese Auf- gabe in den beiden Rechtsgebieten, im privaten und im öffent- lichen Recht, stellt, oder genauer gesagt, in welchem formalen Verhältnis die Vertragsfreiheit zum privaten und zum öffent- lichen Rechte steht.
Um diese Frage zu lösen, müssen wir uns vergegenwärtigen, was das Charakteristische jedes dieser Gebiete ist und was ihren spezifischen Gegensatz ausmacht. Oder mit andern Worten: wie sich diese beiden Gebiete voneinander unterscheiden und ob diese Unterscheidung in einer logischen Beziehung zum Institute des Vertrages steht.
2. Kapitel. Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Öffentliches und privates Recht bilden einen Gegensatz, wenigstens nach der Doktrin der Rechtsstaaten des europäischen Kontinents. Wir sind gewohnt, öffentliches und privates Recht einander gegenüberzustellen, und die praktische Bedeutung der Unterscheidung liegt darin, daß die Regeln unserer Privatrechts- gesetze, insbesondere unserer Gesetzbücher über das Privatrecht, nicht oder nicht unverändert auf die Fragen des öffentlichen Rechts anwendbar sind und daß die Zivilgerichte in der Regel
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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
soll handeln können, wie und über welche Gegenstände er es
tun kann; sie wird aber auch inhaltlich nicht unbeschränkt
sein (obschon man das, ohne mit dem Begriff des Rechtes in
Widerspruch zu geraten, denken kann), d. h. der Gesetzgeber wird
nicht alle Rechtsverhältnisse der unbeschränkt freien Verein-
barung (oder einseitiger rechtsgeschäftlicher Bestimmung) der
Beteiligten selbst anheimstellen und sich etwa darauf beschränken,
die Geschäftsfähigkeit und die Formen der Rechtsgeschäfte zu
ordnen. Er wird, auch abgesehen von diesen Voraussetzungen der
Vertragsschließung überhaupt, gewisse materielle Grundsätze von
sich aus festsetzen und der Abänderung durch Privatwillkür ent-
ziehen; welche kann, wie bemerkt, nicht allgemein gültig be-
stimmt werden.
Unsere Aufgabe ist es aber auch nicht, dieses gesetzgebungs-
politische Problem etwa für die Schweiz und für unsere Zeit zu
besprechen, sondern nur zu prüfen, in welcher Weise sich diese Auf-
gabe in den beiden Rechtsgebieten, im privaten und im öffent-
lichen Recht, stellt, oder genauer gesagt, in welchem formalen
Verhältnis die Vertragsfreiheit zum privaten und zum öffent-
lichen Rechte steht.
Um diese Frage zu lösen, müssen wir uns vergegenwärtigen,
was das Charakteristische jedes dieser Gebiete ist und was ihren
spezifischen Gegensatz ausmacht. Oder mit andern Worten: wie
sich diese beiden Gebiete voneinander unterscheiden und ob diese
Unterscheidung in einer logischen Beziehung zum Institute des
Vertrages steht.
2. Kapitel.
Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Öffentliches und privates Recht bilden einen Gegensatz,
wenigstens nach der Doktrin der Rechtsstaaten des europäischen
Kontinents. Wir sind gewohnt, öffentliches und privates Recht
einander gegenüberzustellen, und die praktische Bedeutung der
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gesetze, insbesondere unserer Gesetzbücher über das Privatrecht,
nicht oder nicht unverändert auf die Fragen des öffentlichen
Rechts anwendbar sind und daß die Zivilgerichte in der Regel
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/25>, abgerufen am 03.12.2023.
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