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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.

Die Uneinigkeit der Meinungen ist die Folge der Unklarheit
über die Bedeutung der Frage.

Jeder Einteilung, wenn sie klar gemacht ist, wird ein be-
griffliches Merkmal, ein Kriterium, zugrunde gelegt. Damit die
Einteilung nun aber richtig, d. h. sachlich begründet und nicht
willkürlich sei, genügt es nicht, daß sie auf einem klaren Kri-
terium aufgebaut sei und diesem Einteilungsgrunde folgerichtig
nachgehe; das Kriterium muß auch so gewählt sein, wie es dem
Zwecke der Einteilung entspricht. Oder mit andern Worten:
der Zweck, dem die Unterscheidung dienen soll, entscheidet über
die Richtigkeit des gewählten Kriteriums. Jede Einteilung ist
logisch korrekt, wenn sie nach einem klaren Kriterium folgerichtig
durchgeführt ist; aber nicht jede logisch korrekte Unterscheidung
ist sinnvoll und nützlich. Sie dient der methodischen Vermehrung
unserer Einsicht nur, wenn sie im Hinblick auf eine bestimmte
Frage (die selbst Sinn hat) gemacht wird; ihre Richtigkeit läßt sich
nur beurteilen im Zusammenhang mit einem vorausgestellten
Zweck der Forschung, mit einer planmäßig gestellten Frage. Ver-
säumt man es, sich darüber zu verständigen, so artet die Dis-
kussion in einen Wortkampf aus. Man wird beispielsweise endlos
und aussichtslos darüber streiten, was eine direkte und was eine
indirekte Steuer ist, wenn man sich nicht vorher darüber verstän-
digt, in welchem Lehrsatz (der Rechts- oder der Volkswirtschafts-

und künstlich. Krabbe, Die Lehre von der Rechtssouveränität (Groningen
1905) 42, verwirft sie vom Standpunkt der Rechtssouveränität, in der
Meinung nämlich, daß der Staat nicht nur dem Privatrecht, sondern überall
dem Recht unterworfen sei; vgl. derselbe, Die moderne Staatsidee (Haag
1919) 160; Kelsen, Hauptprobleme des Staatsrechts (1911) 269; weiter
ausgeführt im Archiv des öffentlichen Rechts; Zur Lehre vom öffentlichen
Rechtsgeschäft 31 (1913) 78, 218; Diritto publico e privato, in Rivista inter-
nazionale di Filosofia del Diritto IV 4; weil er das Kriterium der Über-
ordnung des Staates, das nach einer verbreiteten Meinung das öffentliche
Recht auszeichnen soll, nicht als juristisches anerkennen kann; der Staat
vielmehr, auch wo er herrsche, dem Recht unterworfen sei und, wo die
Rechtsverbindlichkeit eines Staatsaktes von der Zustimmung einer Privat-
person abhängig sei, in Wirklichkeit kein rechtlicher Unterschied bestehe
mit einem privatrechtlichen Vertrag; L. Kraft, Die juristische und sozio-
logische Bedeutung der Unterscheidung von privatem und öffentlichem
Recht, in Zeitschrift des öffentlichen Rechts 3 566; Felix Somlo, Ju-
ristische Grundlehre (1917) 485--487.
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.

Die Uneinigkeit der Meinungen ist die Folge der Unklarheit
über die Bedeutung der Frage.

Jeder Einteilung, wenn sie klar gemacht ist, wird ein be-
griffliches Merkmal, ein Kriterium, zugrunde gelegt. Damit die
Einteilung nun aber richtig, d. h. sachlich begründet und nicht
willkürlich sei, genügt es nicht, daß sie auf einem klaren Kri-
terium aufgebaut sei und diesem Einteilungsgrunde folgerichtig
nachgehe; das Kriterium muß auch so gewählt sein, wie es dem
Zwecke der Einteilung entspricht. Oder mit andern Worten:
der Zweck, dem die Unterscheidung dienen soll, entscheidet über
die Richtigkeit des gewählten Kriteriums. Jede Einteilung ist
logisch korrekt, wenn sie nach einem klaren Kriterium folgerichtig
durchgeführt ist; aber nicht jede logisch korrekte Unterscheidung
ist sinnvoll und nützlich. Sie dient der methodischen Vermehrung
unserer Einsicht nur, wenn sie im Hinblick auf eine bestimmte
Frage (die selbst Sinn hat) gemacht wird; ihre Richtigkeit läßt sich
nur beurteilen im Zusammenhang mit einem vorausgestellten
Zweck der Forschung, mit einer planmäßig gestellten Frage. Ver-
säumt man es, sich darüber zu verständigen, so artet die Dis-
kussion in einen Wortkampf aus. Man wird beispielsweise endlos
und aussichtslos darüber streiten, was eine direkte und was eine
indirekte Steuer ist, wenn man sich nicht vorher darüber verstän-
digt, in welchem Lehrsatz (der Rechts- oder der Volkswirtschafts-

und künstlich. Krabbe, Die Lehre von der Rechtssouveränität (Groningen
1905) 42, verwirft sie vom Standpunkt der Rechtssouveränität, in der
Meinung nämlich, daß der Staat nicht nur dem Privatrecht, sondern überall
dem Recht unterworfen sei; vgl. derselbe, Die moderne Staatsidee (Haag
1919) 160; Kelsen, Hauptprobleme des Staatsrechts (1911) 269; weiter
ausgeführt im Archiv des öffentlichen Rechts; Zur Lehre vom öffentlichen
Rechtsgeschäft 31 (1913) 78, 218; Diritto publico e privato, in Rivista inter-
nazionale di Filosofia del Diritto IV 4; weil er das Kriterium der Über-
ordnung des Staates, das nach einer verbreiteten Meinung das öffentliche
Recht auszeichnen soll, nicht als juristisches anerkennen kann; der Staat
vielmehr, auch wo er herrsche, dem Recht unterworfen sei und, wo die
Rechtsverbindlichkeit eines Staatsaktes von der Zustimmung einer Privat-
person abhängig sei, in Wirklichkeit kein rechtlicher Unterschied bestehe
mit einem privatrechtlichen Vertrag; L. Kraft, Die juristische und sozio-
logische Bedeutung der Unterscheidung von privatem und öffentlichem
Recht, in Zeitschrift des öffentlichen Rechts 3 566; Felix Somlò, Ju-
ristische Grundlehre (1917) 485—487.
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[12/0027] I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. Die Uneinigkeit der Meinungen ist die Folge der Unklarheit über die Bedeutung der Frage. Jeder Einteilung, wenn sie klar gemacht ist, wird ein be- griffliches Merkmal, ein Kriterium, zugrunde gelegt. Damit die Einteilung nun aber richtig, d. h. sachlich begründet und nicht willkürlich sei, genügt es nicht, daß sie auf einem klaren Kri- terium aufgebaut sei und diesem Einteilungsgrunde folgerichtig nachgehe; das Kriterium muß auch so gewählt sein, wie es dem Zwecke der Einteilung entspricht. Oder mit andern Worten: der Zweck, dem die Unterscheidung dienen soll, entscheidet über die Richtigkeit des gewählten Kriteriums. Jede Einteilung ist logisch korrekt, wenn sie nach einem klaren Kriterium folgerichtig durchgeführt ist; aber nicht jede logisch korrekte Unterscheidung ist sinnvoll und nützlich. Sie dient der methodischen Vermehrung unserer Einsicht nur, wenn sie im Hinblick auf eine bestimmte Frage (die selbst Sinn hat) gemacht wird; ihre Richtigkeit läßt sich nur beurteilen im Zusammenhang mit einem vorausgestellten Zweck der Forschung, mit einer planmäßig gestellten Frage. Ver- säumt man es, sich darüber zu verständigen, so artet die Dis- kussion in einen Wortkampf aus. Man wird beispielsweise endlos und aussichtslos darüber streiten, was eine direkte und was eine indirekte Steuer ist, wenn man sich nicht vorher darüber verstän- digt, in welchem Lehrsatz (der Rechts- oder der Volkswirtschafts- 3 3 und künstlich. Krabbe, Die Lehre von der Rechtssouveränität (Groningen 1905) 42, verwirft sie vom Standpunkt der Rechtssouveränität, in der Meinung nämlich, daß der Staat nicht nur dem Privatrecht, sondern überall dem Recht unterworfen sei; vgl. derselbe, Die moderne Staatsidee (Haag 1919) 160; Kelsen, Hauptprobleme des Staatsrechts (1911) 269; weiter ausgeführt im Archiv des öffentlichen Rechts; Zur Lehre vom öffentlichen Rechtsgeschäft 31 (1913) 78, 218; Diritto publico e privato, in Rivista inter- nazionale di Filosofia del Diritto IV 4; weil er das Kriterium der Über- ordnung des Staates, das nach einer verbreiteten Meinung das öffentliche Recht auszeichnen soll, nicht als juristisches anerkennen kann; der Staat vielmehr, auch wo er herrsche, dem Recht unterworfen sei und, wo die Rechtsverbindlichkeit eines Staatsaktes von der Zustimmung einer Privat- person abhängig sei, in Wirklichkeit kein rechtlicher Unterschied bestehe mit einem privatrechtlichen Vertrag; L. Kraft, Die juristische und sozio- logische Bedeutung der Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, in Zeitschrift des öffentlichen Rechts 3 566; Felix Somlò, Ju- ristische Grundlehre (1917) 485—487.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/27>, abgerufen am 25.04.2024.