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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Rechtsnorm hat Geltung ohne eine hinter ihr stehende Orga-
nisation1.

Der Gesichtspunkt, unter welchem der hier betrachtete
Gegensatz steht, ist also im Grunde der der Geltung des Rechts,
während der Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Recht,
wie wir ihn in dieser Untersuchung sonst verstehen, die (als geltend
gedachten) Rechtssätze nach einem inhaltlichen Kriterium ein-
teilt2. Er muß also dem inhaltlichen Gesichtspunkt der Einteilung
ein öffentliches und privates Recht vorgehen.

Allerdings kann sich die Unterscheidung zwischen öffentlichem
und privatem Recht nur auf das (staatliche) Verhaltungs-
recht
beziehen; denn das Recht der staatlichen, objektiv-rechtlichen
Organisation ist notwendig öffentliches (zwingendes) Recht; nur
Verhaltungsregeln können privates Recht sein. Oder besser: auf
dem Gebiet des Privatrechts wiederholt sich die Zweiteilung von
organisatorischem (Verfassungs-) Recht und materiellem (Ver-
haltungs-) Recht; aber nicht für objektive, allgemeinverbindliche

1 Auch in diesem Sinne kann man mit E. Huber sagen: "Keine Ge-
meinschaft besteht ohne Recht und kein Recht ohne Gemeinschaft." Ein-
tritt und Austritt von Mitgliedern einer Gemeinschaft, in ZschwR 62 (1921)
35; Recht und Rechtsverwirklichung 202 ff., 217; Schuppe, Gewohnheits-
recht 29.
2 Oder besser gesagt: auch der zweitgenannte Gegensatz ist in ge-
wissem Sinne formal. Denn derselbe Rechtssatz (mit demselben Inhalt)
kann als zwingend oder nachgiebig gemeint sein; die Unterscheidung zwi-
schen zwingendem und nachgiebigem (d. h. öffentlichem und privatem
Recht, wie gleich ausgeführt werden soll) Recht geht also den inhaltlichen
Einteilungen vor, ist im Verhältnis zu ihnen formell. Aber "formell"
und "materiell" bezeichnen überhaupt einen relativen Gegensatz, wie
F. Kaufmann, Logik und Rechtswissenschaft (1922) 22, richtig bemerkt;
im Verhältnis zu dieser Unterscheidung ist wiederum die andere formell,
die sich darauf bezieht, welche Rechtssätze überhaupt gelten. Denn für
eine praktische Untersuchung ist diese Frage nach der Geltung zuerst zu
beantworten und dann erst, ob er als zwingendes oder nachgiebiges Recht
gemeint sei, und schließlich, was er "inhaltlich" vorschriebe. Binder,
Philosophie des Rechts 437, unterscheidet die beiden Bedeutungen von
öffentlichem und privatem Recht nicht genügend, indem er sagt, öffent-
liches Recht sei das Recht, welches den Bestand des Gemeinwesens
begründe. In einem Sinn, gewiß; aber nur in einem. Auch Sarwey
a. a. O. 107, Gierke, Genossenschaftstheorie, 10, 151, 155 ff., unterschei-
den dies nicht.

Zwingendes und nichtzwingendes Recht.
Rechtsnorm hat Geltung ohne eine hinter ihr stehende Orga-
nisation1.

Der Gesichtspunkt, unter welchem der hier betrachtete
Gegensatz steht, ist also im Grunde der der Geltung des Rechts,
während der Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Recht,
wie wir ihn in dieser Untersuchung sonst verstehen, die (als geltend
gedachten) Rechtssätze nach einem inhaltlichen Kriterium ein-
teilt2. Er muß also dem inhaltlichen Gesichtspunkt der Einteilung
ein öffentliches und privates Recht vorgehen.

Allerdings kann sich die Unterscheidung zwischen öffentlichem
und privatem Recht nur auf das (staatliche) Verhaltungs-
recht
beziehen; denn das Recht der staatlichen, objektiv-rechtlichen
Organisation ist notwendig öffentliches (zwingendes) Recht; nur
Verhaltungsregeln können privates Recht sein. Oder besser: auf
dem Gebiet des Privatrechts wiederholt sich die Zweiteilung von
organisatorischem (Verfassungs-) Recht und materiellem (Ver-
haltungs-) Recht; aber nicht für objektive, allgemeinverbindliche

1 Auch in diesem Sinne kann man mit E. Huber sagen: „Keine Ge-
meinschaft besteht ohne Recht und kein Recht ohne Gemeinschaft.“ Ein-
tritt und Austritt von Mitgliedern einer Gemeinschaft, in ZschwR 62 (1921)
35; Recht und Rechtsverwirklichung 202 ff., 217; Schuppe, Gewohnheits-
recht 29.
2 Oder besser gesagt: auch der zweitgenannte Gegensatz ist in ge-
wissem Sinne formal. Denn derselbe Rechtssatz (mit demselben Inhalt)
kann als zwingend oder nachgiebig gemeint sein; die Unterscheidung zwi-
schen zwingendem und nachgiebigem (d. h. öffentlichem und privatem
Recht, wie gleich ausgeführt werden soll) Recht geht also den inhaltlichen
Einteilungen vor, ist im Verhältnis zu ihnen formell. Aber „formell“
und „materiell“ bezeichnen überhaupt einen relativen Gegensatz, wie
F. Kaufmann, Logik und Rechtswissenschaft (1922) 22, richtig bemerkt;
im Verhältnis zu dieser Unterscheidung ist wiederum die andere formell,
die sich darauf bezieht, welche Rechtssätze überhaupt gelten. Denn für
eine praktische Untersuchung ist diese Frage nach der Geltung zuerst zu
beantworten und dann erst, ob er als zwingendes oder nachgiebiges Recht
gemeint sei, und schließlich, was er „inhaltlich“ vorschriebe. Binder,
Philosophie des Rechts 437, unterscheidet die beiden Bedeutungen von
öffentlichem und privatem Recht nicht genügend, indem er sagt, öffent-
liches Recht sei das Recht, welches den Bestand des Gemeinwesens
begründe. In einem Sinn, gewiß; aber nur in einem. Auch Sarwey
a. a. O. 107, Gierke, Genossenschaftstheorie, 10, 151, 155 ff., unterschei-
den dies nicht.
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[19/0034] Zwingendes und nichtzwingendes Recht. Rechtsnorm hat Geltung ohne eine hinter ihr stehende Orga- nisation 1. Der Gesichtspunkt, unter welchem der hier betrachtete Gegensatz steht, ist also im Grunde der der Geltung des Rechts, während der Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Recht, wie wir ihn in dieser Untersuchung sonst verstehen, die (als geltend gedachten) Rechtssätze nach einem inhaltlichen Kriterium ein- teilt 2. Er muß also dem inhaltlichen Gesichtspunkt der Einteilung ein öffentliches und privates Recht vorgehen. Allerdings kann sich die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht nur auf das (staatliche) Verhaltungs- recht beziehen; denn das Recht der staatlichen, objektiv-rechtlichen Organisation ist notwendig öffentliches (zwingendes) Recht; nur Verhaltungsregeln können privates Recht sein. Oder besser: auf dem Gebiet des Privatrechts wiederholt sich die Zweiteilung von organisatorischem (Verfassungs-) Recht und materiellem (Ver- haltungs-) Recht; aber nicht für objektive, allgemeinverbindliche 1 Auch in diesem Sinne kann man mit E. Huber sagen: „Keine Ge- meinschaft besteht ohne Recht und kein Recht ohne Gemeinschaft.“ Ein- tritt und Austritt von Mitgliedern einer Gemeinschaft, in ZschwR 62 (1921) 35; Recht und Rechtsverwirklichung 202 ff., 217; Schuppe, Gewohnheits- recht 29. 2 Oder besser gesagt: auch der zweitgenannte Gegensatz ist in ge- wissem Sinne formal. Denn derselbe Rechtssatz (mit demselben Inhalt) kann als zwingend oder nachgiebig gemeint sein; die Unterscheidung zwi- schen zwingendem und nachgiebigem (d. h. öffentlichem und privatem Recht, wie gleich ausgeführt werden soll) Recht geht also den inhaltlichen Einteilungen vor, ist im Verhältnis zu ihnen formell. Aber „formell“ und „materiell“ bezeichnen überhaupt einen relativen Gegensatz, wie F. Kaufmann, Logik und Rechtswissenschaft (1922) 22, richtig bemerkt; im Verhältnis zu dieser Unterscheidung ist wiederum die andere formell, die sich darauf bezieht, welche Rechtssätze überhaupt gelten. Denn für eine praktische Untersuchung ist diese Frage nach der Geltung zuerst zu beantworten und dann erst, ob er als zwingendes oder nachgiebiges Recht gemeint sei, und schließlich, was er „inhaltlich“ vorschriebe. Binder, Philosophie des Rechts 437, unterscheidet die beiden Bedeutungen von öffentlichem und privatem Recht nicht genügend, indem er sagt, öffent- liches Recht sei das Recht, welches den Bestand des Gemeinwesens begründe. In einem Sinn, gewiß; aber nur in einem. Auch Sarwey a. a. O. 107, Gierke, Genossenschaftstheorie, 10, 151, 155 ff., unterschei- den dies nicht.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/34>, abgerufen am 25.04.2024.