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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Staaten als Personen des Völkerrechts.
Begriff des Staates entsprechenden Gemeinschaften nehmen,
wie sie sind1. Ihm ist die absolute Monarchie so gut ein Staat
wie die Sovietrepublik, der manchesterliche so gut wie der soziali-
sierte, der kleine so gut wie der große und der eine große so gut
wie die zehn kleinen, die aus dem einen Gebiete gebildet werden
könnten. Das Völkerrecht sieht eine Mehrheit von Staaten voraus;
aber es enthält keine Regeln darüber, ob und wie sie zu bilden
seien2; ihre Individualität ist ihm gleichgültig.

Jeder Staat, sagten wir, der dem Begriffe des Staates ent-
spricht, wird vom Völkerrecht als Person der zwischenstaatlichen
Ordnung anerkannt. Aber nur der Staat, weil nur im Verhältnis
von Gebietskörperschaften, welche die oberste rechtliche Ent-
scheidungsgewalt ausüben, eine letzte rechtliche Ordnung not-
wendig ist. Körperschaften, welche noch einer staatlichen Ordnung
unterstellt sind, bedürfen dieser Ordnung nicht und sind auch
nicht fähig, daran teilzunehmen; denn wer nicht endgültig über
das, was in einer Gemeinschaft Recht sein soll, entscheiden kann,
kann auch nicht anderen Gemeinschaften gegenüber für das Ver-
halten dieser Gemeinschaft einstehen und verantwortlich ge-
macht werden. Noch viel weniger kann der einzelne Staatsan-
gehörige an der Völkerrechtsgemeinschaft teilnehmen3. Das ist
im Grundsatz leicht einzusehen; wie die Abweichungen, die die

1 Der Begriff des Staates ist mit dem des Völkerrechts selbst gegeben:
weil es mehrere Staaten gibt, ist das Völkerrecht notwendig. Deshalb
kann das Völkerrecht diesen Begriff nicht nachträglich wieder (so oder
anders) bestimmen. Er ist bestimmt für denjenigen, der den Begriff des
Völkerrechts erfaßt hat. Der Staat ist nicht ein Tatbestand des Völker-
rechts, wie Kelsen, Allgemeine Staatslehre 126, sagt, sondern eine begriff-
liche Voraussetzung des Völkerrechts.
2 Vgl. meine Vorträge "Über die Selbstbestimmung der Völker"
(Bern 1919) und "Über die Unvollkommenheit des Völkerrechts" (Bern 1923).
Mit der erwähnten Unvollkommenheit des Völkerrechts hängt auch die Ver-
worrenheit der Lehre von der Anerkennung eines neuen Staates zusammen:
Einerseits ist jeder Staat, sobald er sich auf besonderem Gebiete konstituiert
hat, eine Person des Völkerrechts und als solche anzuerkennen; anderer-
seits, da sich das Völkerrecht nicht darüber ausspricht, welche Neubildungen
rechtmäßig seien, kann es einem bestehenden Staate nicht zumuten, einen
Staat, der sich von seinem Gebiet gewaltsam losgerissen hat oder der ihm
nachteilige Verfassungsgrundsätze eingeführt hat, anzuerkennen.
3 Vgl. unten S. 446.

Die Staaten als Personen des Völkerrechts.
Begriff des Staates entsprechenden Gemeinschaften nehmen,
wie sie sind1. Ihm ist die absolute Monarchie so gut ein Staat
wie die Sovietrepublik, der manchesterliche so gut wie der soziali-
sierte, der kleine so gut wie der große und der eine große so gut
wie die zehn kleinen, die aus dem einen Gebiete gebildet werden
könnten. Das Völkerrecht sieht eine Mehrheit von Staaten voraus;
aber es enthält keine Regeln darüber, ob und wie sie zu bilden
seien2; ihre Individualität ist ihm gleichgültig.

Jeder Staat, sagten wir, der dem Begriffe des Staates ent-
spricht, wird vom Völkerrecht als Person der zwischenstaatlichen
Ordnung anerkannt. Aber nur der Staat, weil nur im Verhältnis
von Gebietskörperschaften, welche die oberste rechtliche Ent-
scheidungsgewalt ausüben, eine letzte rechtliche Ordnung not-
wendig ist. Körperschaften, welche noch einer staatlichen Ordnung
unterstellt sind, bedürfen dieser Ordnung nicht und sind auch
nicht fähig, daran teilzunehmen; denn wer nicht endgültig über
das, was in einer Gemeinschaft Recht sein soll, entscheiden kann,
kann auch nicht anderen Gemeinschaften gegenüber für das Ver-
halten dieser Gemeinschaft einstehen und verantwortlich ge-
macht werden. Noch viel weniger kann der einzelne Staatsan-
gehörige an der Völkerrechtsgemeinschaft teilnehmen3. Das ist
im Grundsatz leicht einzusehen; wie die Abweichungen, die die

1 Der Begriff des Staates ist mit dem des Völkerrechts selbst gegeben:
weil es mehrere Staaten gibt, ist das Völkerrecht notwendig. Deshalb
kann das Völkerrecht diesen Begriff nicht nachträglich wieder (so oder
anders) bestimmen. Er ist bestimmt für denjenigen, der den Begriff des
Völkerrechts erfaßt hat. Der Staat ist nicht ein Tatbestand des Völker-
rechts, wie Kelsen, Allgemeine Staatslehre 126, sagt, sondern eine begriff-
liche Voraussetzung des Völkerrechts.
2 Vgl. meine Vorträge „Über die Selbstbestimmung der Völker“
(Bern 1919) und „Über die Unvollkommenheit des Völkerrechts“ (Bern 1923).
Mit der erwähnten Unvollkommenheit des Völkerrechts hängt auch die Ver-
worrenheit der Lehre von der Anerkennung eines neuen Staates zusammen:
Einerseits ist jeder Staat, sobald er sich auf besonderem Gebiete konstituiert
hat, eine Person des Völkerrechts und als solche anzuerkennen; anderer-
seits, da sich das Völkerrecht nicht darüber ausspricht, welche Neubildungen
rechtmäßig seien, kann es einem bestehenden Staate nicht zumuten, einen
Staat, der sich von seinem Gebiet gewaltsam losgerissen hat oder der ihm
nachteilige Verfassungsgrundsätze eingeführt hat, anzuerkennen.
3 Vgl. unten S. 446.
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[359/0374] Die Staaten als Personen des Völkerrechts. Begriff des Staates entsprechenden Gemeinschaften nehmen, wie sie sind 1. Ihm ist die absolute Monarchie so gut ein Staat wie die Sovietrepublik, der manchesterliche so gut wie der soziali- sierte, der kleine so gut wie der große und der eine große so gut wie die zehn kleinen, die aus dem einen Gebiete gebildet werden könnten. Das Völkerrecht sieht eine Mehrheit von Staaten voraus; aber es enthält keine Regeln darüber, ob und wie sie zu bilden seien 2; ihre Individualität ist ihm gleichgültig. Jeder Staat, sagten wir, der dem Begriffe des Staates ent- spricht, wird vom Völkerrecht als Person der zwischenstaatlichen Ordnung anerkannt. Aber nur der Staat, weil nur im Verhältnis von Gebietskörperschaften, welche die oberste rechtliche Ent- scheidungsgewalt ausüben, eine letzte rechtliche Ordnung not- wendig ist. Körperschaften, welche noch einer staatlichen Ordnung unterstellt sind, bedürfen dieser Ordnung nicht und sind auch nicht fähig, daran teilzunehmen; denn wer nicht endgültig über das, was in einer Gemeinschaft Recht sein soll, entscheiden kann, kann auch nicht anderen Gemeinschaften gegenüber für das Ver- halten dieser Gemeinschaft einstehen und verantwortlich ge- macht werden. Noch viel weniger kann der einzelne Staatsan- gehörige an der Völkerrechtsgemeinschaft teilnehmen 3. Das ist im Grundsatz leicht einzusehen; wie die Abweichungen, die die 1 Der Begriff des Staates ist mit dem des Völkerrechts selbst gegeben: weil es mehrere Staaten gibt, ist das Völkerrecht notwendig. Deshalb kann das Völkerrecht diesen Begriff nicht nachträglich wieder (so oder anders) bestimmen. Er ist bestimmt für denjenigen, der den Begriff des Völkerrechts erfaßt hat. Der Staat ist nicht ein Tatbestand des Völker- rechts, wie Kelsen, Allgemeine Staatslehre 126, sagt, sondern eine begriff- liche Voraussetzung des Völkerrechts. 2 Vgl. meine Vorträge „Über die Selbstbestimmung der Völker“ (Bern 1919) und „Über die Unvollkommenheit des Völkerrechts“ (Bern 1923). Mit der erwähnten Unvollkommenheit des Völkerrechts hängt auch die Ver- worrenheit der Lehre von der Anerkennung eines neuen Staates zusammen: Einerseits ist jeder Staat, sobald er sich auf besonderem Gebiete konstituiert hat, eine Person des Völkerrechts und als solche anzuerkennen; anderer- seits, da sich das Völkerrecht nicht darüber ausspricht, welche Neubildungen rechtmäßig seien, kann es einem bestehenden Staate nicht zumuten, einen Staat, der sich von seinem Gebiet gewaltsam losgerissen hat oder der ihm nachteilige Verfassungsgrundsätze eingeführt hat, anzuerkennen. 3 Vgl. unten S. 446.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/374>, abgerufen am 18.04.2024.