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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
entstehen, gibt es für denjenigen, der den Widerspruch vom Stand-
punkt eines nationalen Rechtes lösen will, keine Lösung.

Nun müssen aber die Menschen nach irgend einem Kriterium
den bestehenden Staaten zugeteilt werden. Es wäre an sich denk-
bar, daß das Unterscheidungsmerkmal der Anthropologie ent-
nommen würde, daß etwa nach gewissen Rassenmerkmalen, die
einen diesem, die anderen jenem Staate zugeteilt würden. Allein
da das Völkerrecht die anthropologische Einheit des Volkes nicht
zum begrifflichen Merkmal des Staates machen kann1, wäre es
ein Widerspruch, in allgemeingültiger Weise hierauf abzustellen,
d. h. einem Staate zu verbieten, andere Menschen als die einer
bestimmten Art seine eigenen zu nennen. Die Zuteilung kann nur
nach einem Merkmal stattfinden, das jedem Staate notwendig zu-
kommt, aber jedem in individueller Differenzierung, und dieses
Merkmal ist das Gebiet. Die Zugehörigkeit zu einem Staate muß
stets durch irgendwelche Bezugnahme auf sein Gebiet bestimmt
werden. Das ist offenbar der Fall, wenn etwa bestimmt wird: der
Ort der Geburt solle entscheiden. Aber es trifft nicht weniger zu,
wenn man die Abstammung entscheiden läßt; denn es wird doch
immer die Abstammung von Personen gemeint sein, die mit dem
Gebiet des betreffenden Staates irgend einen örtlichen Zusammen-
hang haben oder gehabt haben, sei es durch ihren Aufenthalt,
ihre Geburt oder sonst einen das Gebiet betreffenden Umstand.
Auch das Nationalitätsprinzip verfährt so. Die Burckhardt sind
Basler, weil ihre Vorfahren Basler waren; die Vorfahren waren
aber Basler, weil sie einmal mit der Stadt Basel in eine bestimmte
Beziehung getreten sind, etwa dort über Jahr und Tag gewohnt
haben. Hätten sie in Heidelberg gewohnt, so wären sie und auch
ihre Nachkommen jure sanguinis Heidelberger gewesen.

Welche Beziehung zum Gebiete aber entscheiden solle, das
kann allgemeinverbindlich, wir wiederholen es, durch Völkerrechts-
satz nicht bestimmt werden. Der Staat muß es also selbst be-
stimmen; aber wie er es auch bestimme, seine Zuteilungsnorm wird
stets, unmittelbar oder mittelbar, auf das Gebiet Bezug nehmen.

Obschon also die Umschreibung des Staatsvolkes, wie sie in
der einmal geltenden Ordnung des Bürgerrechts vorliegt, zu einem

1 Vgl. z. B. Oppenheim, International Law, 3. A., I (1920) 306.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
entstehen, gibt es für denjenigen, der den Widerspruch vom Stand-
punkt eines nationalen Rechtes lösen will, keine Lösung.

Nun müssen aber die Menschen nach irgend einem Kriterium
den bestehenden Staaten zugeteilt werden. Es wäre an sich denk-
bar, daß das Unterscheidungsmerkmal der Anthropologie ent-
nommen würde, daß etwa nach gewissen Rassenmerkmalen, die
einen diesem, die anderen jenem Staate zugeteilt würden. Allein
da das Völkerrecht die anthropologische Einheit des Volkes nicht
zum begrifflichen Merkmal des Staates machen kann1, wäre es
ein Widerspruch, in allgemeingültiger Weise hierauf abzustellen,
d. h. einem Staate zu verbieten, andere Menschen als die einer
bestimmten Art seine eigenen zu nennen. Die Zuteilung kann nur
nach einem Merkmal stattfinden, das jedem Staate notwendig zu-
kommt, aber jedem in individueller Differenzierung, und dieses
Merkmal ist das Gebiet. Die Zugehörigkeit zu einem Staate muß
stets durch irgendwelche Bezugnahme auf sein Gebiet bestimmt
werden. Das ist offenbar der Fall, wenn etwa bestimmt wird: der
Ort der Geburt solle entscheiden. Aber es trifft nicht weniger zu,
wenn man die Abstammung entscheiden läßt; denn es wird doch
immer die Abstammung von Personen gemeint sein, die mit dem
Gebiet des betreffenden Staates irgend einen örtlichen Zusammen-
hang haben oder gehabt haben, sei es durch ihren Aufenthalt,
ihre Geburt oder sonst einen das Gebiet betreffenden Umstand.
Auch das Nationalitätsprinzip verfährt so. Die Burckhardt sind
Basler, weil ihre Vorfahren Basler waren; die Vorfahren waren
aber Basler, weil sie einmal mit der Stadt Basel in eine bestimmte
Beziehung getreten sind, etwa dort über Jahr und Tag gewohnt
haben. Hätten sie in Heidelberg gewohnt, so wären sie und auch
ihre Nachkommen jure sanguinis Heidelberger gewesen.

Welche Beziehung zum Gebiete aber entscheiden solle, das
kann allgemeinverbindlich, wir wiederholen es, durch Völkerrechts-
satz nicht bestimmt werden. Der Staat muß es also selbst be-
stimmen; aber wie er es auch bestimme, seine Zuteilungsnorm wird
stets, unmittelbar oder mittelbar, auf das Gebiet Bezug nehmen.

Obschon also die Umschreibung des Staatsvolkes, wie sie in
der einmal geltenden Ordnung des Bürgerrechts vorliegt, zu einem

1 Vgl. z. B. Oppenheim, International Law, 3. A., I (1920) 306.
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[364/0379] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. entstehen, gibt es für denjenigen, der den Widerspruch vom Stand- punkt eines nationalen Rechtes lösen will, keine Lösung. Nun müssen aber die Menschen nach irgend einem Kriterium den bestehenden Staaten zugeteilt werden. Es wäre an sich denk- bar, daß das Unterscheidungsmerkmal der Anthropologie ent- nommen würde, daß etwa nach gewissen Rassenmerkmalen, die einen diesem, die anderen jenem Staate zugeteilt würden. Allein da das Völkerrecht die anthropologische Einheit des Volkes nicht zum begrifflichen Merkmal des Staates machen kann 1, wäre es ein Widerspruch, in allgemeingültiger Weise hierauf abzustellen, d. h. einem Staate zu verbieten, andere Menschen als die einer bestimmten Art seine eigenen zu nennen. Die Zuteilung kann nur nach einem Merkmal stattfinden, das jedem Staate notwendig zu- kommt, aber jedem in individueller Differenzierung, und dieses Merkmal ist das Gebiet. Die Zugehörigkeit zu einem Staate muß stets durch irgendwelche Bezugnahme auf sein Gebiet bestimmt werden. Das ist offenbar der Fall, wenn etwa bestimmt wird: der Ort der Geburt solle entscheiden. Aber es trifft nicht weniger zu, wenn man die Abstammung entscheiden läßt; denn es wird doch immer die Abstammung von Personen gemeint sein, die mit dem Gebiet des betreffenden Staates irgend einen örtlichen Zusammen- hang haben oder gehabt haben, sei es durch ihren Aufenthalt, ihre Geburt oder sonst einen das Gebiet betreffenden Umstand. Auch das Nationalitätsprinzip verfährt so. Die Burckhardt sind Basler, weil ihre Vorfahren Basler waren; die Vorfahren waren aber Basler, weil sie einmal mit der Stadt Basel in eine bestimmte Beziehung getreten sind, etwa dort über Jahr und Tag gewohnt haben. Hätten sie in Heidelberg gewohnt, so wären sie und auch ihre Nachkommen jure sanguinis Heidelberger gewesen. Welche Beziehung zum Gebiete aber entscheiden solle, das kann allgemeinverbindlich, wir wiederholen es, durch Völkerrechts- satz nicht bestimmt werden. Der Staat muß es also selbst be- stimmen; aber wie er es auch bestimme, seine Zuteilungsnorm wird stets, unmittelbar oder mittelbar, auf das Gebiet Bezug nehmen. Obschon also die Umschreibung des Staatsvolkes, wie sie in der einmal geltenden Ordnung des Bürgerrechts vorliegt, zu einem 1 Vgl. z. B. Oppenheim, International Law, 3. A., I (1920) 306.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/379>, abgerufen am 19.03.2024.