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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.

Es muß jedenfalls eine rechtliche, in Rechtsbegriffen faßbare
Beziehung sein: es mag, wie die einen behaupten, notwendiger
Bestandteil der Staatspersönlichkeit sein1, wie der Körper Bestand-
teil der menschlichen Person oder das Bett Bestandteil des Ge-
wässers ist, oder es mag Gegenstand staatlicher Berechtigung sein,
wie andere meinen2, oder Grenze obrigkeitlicher Zuständigkeit,
wie eine andere Formulierung lautet3. Aber welche dieser Bestim-
mungen ist wohl die richtige? So anschaulich das Gebiet dem Laien
sich darbietet, so schwer ist der Begriff für den Juristen zu fassen.

Von Gebiet spricht man, wenn man ein Stück Erdoberfläche
in Beziehung zum Staate bringt, nicht etwa zu den einzelnen
Staatsangehörigen. Das Gebiet ist deshalb Gegenstand eines dem
Staate eigentümlichen Rechtsverhältnisses, und nicht eines Rechts-
verhältnisses, das, wie das Eigentum, auch einer Privatperson
gegenüber bestehen kann; es ist Gegenstand der Gebietshoheit;
Gebietshoheit und Eigentum können nebeneinander am selben
Stück Erde bestehen. Was ist aber die spezifische Gebietshoheit?

Gebiet und Gebietshoheit sind nicht staatsrechtliche Begriffe,
sondern völkerrechtliche. Wenn man einen Staat für sich betrach-
tet und von allen anderen Staaten absieht, d. h. sie als nicht
bestehend und den betrachteten als den einzigen ansieht, so ver-
liert der Begriff des Gebietes seine rechtliche Erheblichkeit. Dem
Staat ein Gebiet als das seinige zusprechen, wenn es der einzige
Staat ist, hat keinen Sinn; seiner Zuständigkeit Grenzen zu setzen,
ist unverständlich, wenn es keine anderen Zuständigkeiten gibt, die
gegen die des einen Staates abzugrenzen wären. Wenn dieser eine

1 Fricker, Gebiet und Gebietshoheit (1901); Preuß, Gemeinde,
Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889); G. Jellinek, Allgemeine
Staatslehre, 3. A., 398.
2 Z. B. Gerber, Grundzüge des Staatsrechts (1869); Laband,
Staatsrecht, 5. A., I 190 ff.; Donati, Stato e Territorio (1924), und viele
Völkerrechtslehrer: Oppenheim, International Law, 3. A., I (1920) 305;
Fauchille, Traite de droit international public I, 2eme partie (1925) 1;
Ullmann, Völkerrecht (1908) 287: "Die Behandlung des Gebiets als Ob-
jekt der Gebietshoheit ist im Völkerrecht im Hinblick auf die Okkupation,
Zession, Tausch, Verpachtung, Verpfändung von Staatsgebiet wohl kaum
abzulehnen."
3 Radnitzky im Archiv für öffentliches Recht 28 454 ff.; Henrich,
Die Theorie des Staatsgebietes (1922).
III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.

Es muß jedenfalls eine rechtliche, in Rechtsbegriffen faßbare
Beziehung sein: es mag, wie die einen behaupten, notwendiger
Bestandteil der Staatspersönlichkeit sein1, wie der Körper Bestand-
teil der menschlichen Person oder das Bett Bestandteil des Ge-
wässers ist, oder es mag Gegenstand staatlicher Berechtigung sein,
wie andere meinen2, oder Grenze obrigkeitlicher Zuständigkeit,
wie eine andere Formulierung lautet3. Aber welche dieser Bestim-
mungen ist wohl die richtige? So anschaulich das Gebiet dem Laien
sich darbietet, so schwer ist der Begriff für den Juristen zu fassen.

Von Gebiet spricht man, wenn man ein Stück Erdoberfläche
in Beziehung zum Staate bringt, nicht etwa zu den einzelnen
Staatsangehörigen. Das Gebiet ist deshalb Gegenstand eines dem
Staate eigentümlichen Rechtsverhältnisses, und nicht eines Rechts-
verhältnisses, das, wie das Eigentum, auch einer Privatperson
gegenüber bestehen kann; es ist Gegenstand der Gebietshoheit;
Gebietshoheit und Eigentum können nebeneinander am selben
Stück Erde bestehen. Was ist aber die spezifische Gebietshoheit?

Gebiet und Gebietshoheit sind nicht staatsrechtliche Begriffe,
sondern völkerrechtliche. Wenn man einen Staat für sich betrach-
tet und von allen anderen Staaten absieht, d. h. sie als nicht
bestehend und den betrachteten als den einzigen ansieht, so ver-
liert der Begriff des Gebietes seine rechtliche Erheblichkeit. Dem
Staat ein Gebiet als das seinige zusprechen, wenn es der einzige
Staat ist, hat keinen Sinn; seiner Zuständigkeit Grenzen zu setzen,
ist unverständlich, wenn es keine anderen Zuständigkeiten gibt, die
gegen die des einen Staates abzugrenzen wären. Wenn dieser eine

1 Fricker, Gebiet und Gebietshoheit (1901); Preuß, Gemeinde,
Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889); G. Jellinek, Allgemeine
Staatslehre, 3. A., 398.
2 Z. B. Gerber, Grundzüge des Staatsrechts (1869); Laband,
Staatsrecht, 5. A., I 190 ff.; Donati, Stato e Territorio (1924), und viele
Völkerrechtslehrer: Oppenheim, International Law, 3. A., I (1920) 305;
Fauchille, Traité de droit international public I, 2ème partie (1925) 1;
Ullmann, Völkerrecht (1908) 287: „Die Behandlung des Gebiets als Ob-
jekt der Gebietshoheit ist im Völkerrecht im Hinblick auf die Okkupation,
Zession, Tausch, Verpachtung, Verpfändung von Staatsgebiet wohl kaum
abzulehnen.“
3 Radnitzky im Archiv für öffentliches Recht 28 454 ff.; Henrich,
Die Theorie des Staatsgebietes (1922).
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[366/0381] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. Es muß jedenfalls eine rechtliche, in Rechtsbegriffen faßbare Beziehung sein: es mag, wie die einen behaupten, notwendiger Bestandteil der Staatspersönlichkeit sein 1, wie der Körper Bestand- teil der menschlichen Person oder das Bett Bestandteil des Ge- wässers ist, oder es mag Gegenstand staatlicher Berechtigung sein, wie andere meinen 2, oder Grenze obrigkeitlicher Zuständigkeit, wie eine andere Formulierung lautet 3. Aber welche dieser Bestim- mungen ist wohl die richtige? So anschaulich das Gebiet dem Laien sich darbietet, so schwer ist der Begriff für den Juristen zu fassen. Von Gebiet spricht man, wenn man ein Stück Erdoberfläche in Beziehung zum Staate bringt, nicht etwa zu den einzelnen Staatsangehörigen. Das Gebiet ist deshalb Gegenstand eines dem Staate eigentümlichen Rechtsverhältnisses, und nicht eines Rechts- verhältnisses, das, wie das Eigentum, auch einer Privatperson gegenüber bestehen kann; es ist Gegenstand der Gebietshoheit; Gebietshoheit und Eigentum können nebeneinander am selben Stück Erde bestehen. Was ist aber die spezifische Gebietshoheit? Gebiet und Gebietshoheit sind nicht staatsrechtliche Begriffe, sondern völkerrechtliche. Wenn man einen Staat für sich betrach- tet und von allen anderen Staaten absieht, d. h. sie als nicht bestehend und den betrachteten als den einzigen ansieht, so ver- liert der Begriff des Gebietes seine rechtliche Erheblichkeit. Dem Staat ein Gebiet als das seinige zusprechen, wenn es der einzige Staat ist, hat keinen Sinn; seiner Zuständigkeit Grenzen zu setzen, ist unverständlich, wenn es keine anderen Zuständigkeiten gibt, die gegen die des einen Staates abzugrenzen wären. Wenn dieser eine 1 Fricker, Gebiet und Gebietshoheit (1901); Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889); G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. A., 398. 2 Z. B. Gerber, Grundzüge des Staatsrechts (1869); Laband, Staatsrecht, 5. A., I 190 ff.; Donati, Stato e Territorio (1924), und viele Völkerrechtslehrer: Oppenheim, International Law, 3. A., I (1920) 305; Fauchille, Traité de droit international public I, 2ème partie (1925) 1; Ullmann, Völkerrecht (1908) 287: „Die Behandlung des Gebiets als Ob- jekt der Gebietshoheit ist im Völkerrecht im Hinblick auf die Okkupation, Zession, Tausch, Verpachtung, Verpfändung von Staatsgebiet wohl kaum abzulehnen.“ 3 Radnitzky im Archiv für öffentliches Recht 28 454 ff.; Henrich, Die Theorie des Staatsgebietes (1922).

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/381>, abgerufen am 19.03.2024.