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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Das Völkerrecht.
jenes Staates gilt und gerade so, wie sie nach dem Willen jenes
Staates gilt. Und wenn dann das Gericht den Fall nach dem in-
ländischen oder einem ausländischen Recht entscheidet, so kann das
nur in der Meinung geschehen, daß seine Entscheidung, die auf
der richtigen Abgrenzung der Geltungsbereiche der nationalen
Privatrechte beruhe, internationale Anerkennung verdiene, auch im
Ausland. Ein inländischer Richter kann die im Ausland nach
dortigem Recht begründeten Privatrechte nicht anerkennen,
ohne die Geltung der dortigen Rechtsordnung anzuerkennen;
und wenn er die dortige Rechtsordnung nicht mehr anerkennt,
wird er auch die danach begründeten Privatrechte nicht mehr
anerkennen können, wie es im letzten Weltkrieg von seiten Eng-
lands und seiner Verbündeten gegenüber den Zentralstaaten ge-
schehen ist. Erkennt man aber, wie gewöhnlich, die ausländischen
Rechtsordnungen im Grundsatz als geltend an, so müssen sie
auch irgend ein Geltungsgebiet haben (S. 176) und man muß sich
darüber schlüssig machen, wieweit sich ihr Geltungsbereich erstrecke;
das eine ist eine völkerrechtliche Frage wie das andere, wenn-
gleich die unmittelbar an der einzelnen Entscheidung Beteiligten
Private sind.



Das Völkerrecht muß die Staaten nehmen wie sie sind; es
kann sie und ihr Recht nicht werten und nicht ändern. Deshalb
wird es sowohl formell als inhaltlich immer unvollkommen bleiben;
widerspruchsvoll und ungerecht. Solange man das nicht einsieht,
wird man immer nach seiner Vervollkommnung rufen und den
Fortschritt voraussagen. Aber der Fortschritt, nämlich die ge-
rechtere und folgerichtigere Ordnung der zwischenstaatlichen Be-
ziehungen, wird nicht vom Völkerrecht, von der Ausgestaltung
einer folgerichtigen objektiven Völkerrechtsordnung kommen
(wie so viele Logiker meinen), sondern von der Einsicht und dem
guten Willen der einzelnen Staaten in freier Betätigung, in der
Rechtsform, in welcher sich die private Willkür betätigt, dem
Vertrag, nicht in der Form des objektiven Rechtssatzes. Dieses
vereinbarte Recht wird nur gerecht sein, wenn die Staaten, die
es beliebig feststellen können, auch gerecht sein wollen und nicht
der Starke den Schwachen erdrückt, der Schlaue den Unbe-

Das Völkerrecht.
jenes Staates gilt und gerade so, wie sie nach dem Willen jenes
Staates gilt. Und wenn dann das Gericht den Fall nach dem in-
ländischen oder einem ausländischen Recht entscheidet, so kann das
nur in der Meinung geschehen, daß seine Entscheidung, die auf
der richtigen Abgrenzung der Geltungsbereiche der nationalen
Privatrechte beruhe, internationale Anerkennung verdiene, auch im
Ausland. Ein inländischer Richter kann die im Ausland nach
dortigem Recht begründeten Privatrechte nicht anerkennen,
ohne die Geltung der dortigen Rechtsordnung anzuerkennen;
und wenn er die dortige Rechtsordnung nicht mehr anerkennt,
wird er auch die danach begründeten Privatrechte nicht mehr
anerkennen können, wie es im letzten Weltkrieg von seiten Eng-
lands und seiner Verbündeten gegenüber den Zentralstaaten ge-
schehen ist. Erkennt man aber, wie gewöhnlich, die ausländischen
Rechtsordnungen im Grundsatz als geltend an, so müssen sie
auch irgend ein Geltungsgebiet haben (S. 176) und man muß sich
darüber schlüssig machen, wieweit sich ihr Geltungsbereich erstrecke;
das eine ist eine völkerrechtliche Frage wie das andere, wenn-
gleich die unmittelbar an der einzelnen Entscheidung Beteiligten
Private sind.



Das Völkerrecht muß die Staaten nehmen wie sie sind; es
kann sie und ihr Recht nicht werten und nicht ändern. Deshalb
wird es sowohl formell als inhaltlich immer unvollkommen bleiben;
widerspruchsvoll und ungerecht. Solange man das nicht einsieht,
wird man immer nach seiner Vervollkommnung rufen und den
Fortschritt voraussagen. Aber der Fortschritt, nämlich die ge-
rechtere und folgerichtigere Ordnung der zwischenstaatlichen Be-
ziehungen, wird nicht vom Völkerrecht, von der Ausgestaltung
einer folgerichtigen objektiven Völkerrechtsordnung kommen
(wie so viele Logiker meinen), sondern von der Einsicht und dem
guten Willen der einzelnen Staaten in freier Betätigung, in der
Rechtsform, in welcher sich die private Willkür betätigt, dem
Vertrag, nicht in der Form des objektiven Rechtssatzes. Dieses
vereinbarte Recht wird nur gerecht sein, wenn die Staaten, die
es beliebig feststellen können, auch gerecht sein wollen und nicht
der Starke den Schwachen erdrückt, der Schlaue den Unbe-

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[415/0430] Das Völkerrecht. jenes Staates gilt und gerade so, wie sie nach dem Willen jenes Staates gilt. Und wenn dann das Gericht den Fall nach dem in- ländischen oder einem ausländischen Recht entscheidet, so kann das nur in der Meinung geschehen, daß seine Entscheidung, die auf der richtigen Abgrenzung der Geltungsbereiche der nationalen Privatrechte beruhe, internationale Anerkennung verdiene, auch im Ausland. Ein inländischer Richter kann die im Ausland nach dortigem Recht begründeten Privatrechte nicht anerkennen, ohne die Geltung der dortigen Rechtsordnung anzuerkennen; und wenn er die dortige Rechtsordnung nicht mehr anerkennt, wird er auch die danach begründeten Privatrechte nicht mehr anerkennen können, wie es im letzten Weltkrieg von seiten Eng- lands und seiner Verbündeten gegenüber den Zentralstaaten ge- schehen ist. Erkennt man aber, wie gewöhnlich, die ausländischen Rechtsordnungen im Grundsatz als geltend an, so müssen sie auch irgend ein Geltungsgebiet haben (S. 176) und man muß sich darüber schlüssig machen, wieweit sich ihr Geltungsbereich erstrecke; das eine ist eine völkerrechtliche Frage wie das andere, wenn- gleich die unmittelbar an der einzelnen Entscheidung Beteiligten Private sind. Das Völkerrecht muß die Staaten nehmen wie sie sind; es kann sie und ihr Recht nicht werten und nicht ändern. Deshalb wird es sowohl formell als inhaltlich immer unvollkommen bleiben; widerspruchsvoll und ungerecht. Solange man das nicht einsieht, wird man immer nach seiner Vervollkommnung rufen und den Fortschritt voraussagen. Aber der Fortschritt, nämlich die ge- rechtere und folgerichtigere Ordnung der zwischenstaatlichen Be- ziehungen, wird nicht vom Völkerrecht, von der Ausgestaltung einer folgerichtigen objektiven Völkerrechtsordnung kommen (wie so viele Logiker meinen), sondern von der Einsicht und dem guten Willen der einzelnen Staaten in freier Betätigung, in der Rechtsform, in welcher sich die private Willkür betätigt, dem Vertrag, nicht in der Form des objektiven Rechtssatzes. Dieses vereinbarte Recht wird nur gerecht sein, wenn die Staaten, die es beliebig feststellen können, auch gerecht sein wollen und nicht der Starke den Schwachen erdrückt, der Schlaue den Unbe-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/430>, abgerufen am 29.03.2024.