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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
der Rechtsstreit so abspielt, wird allerdings die Diplomatie nichts
damit zu tun bekommen; aber die völkerrechtlichen Fragen sind
damit als schon beantwortet vorausgesetzt. Denkt man sich
nämlich das Völkerrecht und die Verpflichtungen von Staat, in
concreto der Schweiz zu Amerika, weg, so ist es, rechtlich, d. h.
grundsätzlich gesprochen, ein Zufall, wenn ein Amerikaner in
Bern klagen kann und wenn sein Anspruch ohne Ansehen der
Person und der Staatsangehörigkeit vielleicht nach seinem eigenen
Recht beurteilt wird. Es geschieht heute so, zweifellos, hundert-
und tausendfach. Aber muß es so geschehen? Welche Gewähr
besteht dafür, daß es so geschehe? Wenn das bernische Gericht
die Klage nicht angenommen hätte, welchen Rechtsgrundsatz
hätte es verletzt? Vielleicht einen Grundsatz des schweizerischen
Zivil- oder Prozeßrechts. Aber daß im schweizerischen Gesetz
der richtige Grundsatz steht, ist doch für einen Amerikaner ein
Zufall (die Schweiz könnte ihr Recht jederzeit ändern); und stünde
er nicht darin, so wäre der Amerikaner um sein Recht verfroren.
Wenn dem Ausländer sein Recht werden soll, wenn er darauf soll
zählen können, so kann es nur sein auf Grund und kraft des Völker-
rechts; denn der Fremde als Einzelperson kann offenbar von einem
Staate, dem er nicht angehört, nicht fordern, so oder anders
behandelt zu werden; nur der Staat, dem er angehört, kann es
fordern, und das ist eben ein völkerrechtlicher Anspruch. Es mag
sein, daß der Anspruch des Amerikaners schon nach schweizerischem
Gesetz, in den für Schweizer geltenden Formen des Privatrechts-
schutzes zu erledigen war, aber das schließt nicht aus, daß diese
Erledigung auch einer Pflicht der Schweiz gegenüber Nord-
amerika entspricht, und daß diese Pflicht logisch sogar die not-
wendige Voraussetzung jener Erledigung war. Denn wenn die
schweizerische Gesetzgebung den Amerikaner als grundsätzlich
gleichberechtigt behandelt wie die Schweizer, so kann es doch
nur sein, weil sie diese Behandlung für begründet hält und sie
auch rechtlich festlegen will1, weil es dem richtigen Verhalten
der Schweiz gegenüber anderen zivilisierten Staaten entspricht.

Ein Staat kann allerdings aus eigener Entschließung, kraft
seiner eigenen Rechtsordnung einen Staatsfremden als rechts-

1 Vgl. Hatscheck, Völkerrecht (1923) 357.

III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung.
der Rechtsstreit so abspielt, wird allerdings die Diplomatie nichts
damit zu tun bekommen; aber die völkerrechtlichen Fragen sind
damit als schon beantwortet vorausgesetzt. Denkt man sich
nämlich das Völkerrecht und die Verpflichtungen von Staat, in
concreto der Schweiz zu Amerika, weg, so ist es, rechtlich, d. h.
grundsätzlich gesprochen, ein Zufall, wenn ein Amerikaner in
Bern klagen kann und wenn sein Anspruch ohne Ansehen der
Person und der Staatsangehörigkeit vielleicht nach seinem eigenen
Recht beurteilt wird. Es geschieht heute so, zweifellos, hundert-
und tausendfach. Aber muß es so geschehen? Welche Gewähr
besteht dafür, daß es so geschehe? Wenn das bernische Gericht
die Klage nicht angenommen hätte, welchen Rechtsgrundsatz
hätte es verletzt? Vielleicht einen Grundsatz des schweizerischen
Zivil- oder Prozeßrechts. Aber daß im schweizerischen Gesetz
der richtige Grundsatz steht, ist doch für einen Amerikaner ein
Zufall (die Schweiz könnte ihr Recht jederzeit ändern); und stünde
er nicht darin, so wäre der Amerikaner um sein Recht verfroren.
Wenn dem Ausländer sein Recht werden soll, wenn er darauf soll
zählen können, so kann es nur sein auf Grund und kraft des Völker-
rechts; denn der Fremde als Einzelperson kann offenbar von einem
Staate, dem er nicht angehört, nicht fordern, so oder anders
behandelt zu werden; nur der Staat, dem er angehört, kann es
fordern, und das ist eben ein völkerrechtlicher Anspruch. Es mag
sein, daß der Anspruch des Amerikaners schon nach schweizerischem
Gesetz, in den für Schweizer geltenden Formen des Privatrechts-
schutzes zu erledigen war, aber das schließt nicht aus, daß diese
Erledigung auch einer Pflicht der Schweiz gegenüber Nord-
amerika entspricht, und daß diese Pflicht logisch sogar die not-
wendige Voraussetzung jener Erledigung war. Denn wenn die
schweizerische Gesetzgebung den Amerikaner als grundsätzlich
gleichberechtigt behandelt wie die Schweizer, so kann es doch
nur sein, weil sie diese Behandlung für begründet hält und sie
auch rechtlich festlegen will1, weil es dem richtigen Verhalten
der Schweiz gegenüber anderen zivilisierten Staaten entspricht.

Ein Staat kann allerdings aus eigener Entschließung, kraft
seiner eigenen Rechtsordnung einen Staatsfremden als rechts-

1 Vgl. Hatscheck, Völkerrecht (1923) 357.
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[448/0463] III. Teil. Die rechtsgeschäftliche Verfassung. der Rechtsstreit so abspielt, wird allerdings die Diplomatie nichts damit zu tun bekommen; aber die völkerrechtlichen Fragen sind damit als schon beantwortet vorausgesetzt. Denkt man sich nämlich das Völkerrecht und die Verpflichtungen von Staat, in concreto der Schweiz zu Amerika, weg, so ist es, rechtlich, d. h. grundsätzlich gesprochen, ein Zufall, wenn ein Amerikaner in Bern klagen kann und wenn sein Anspruch ohne Ansehen der Person und der Staatsangehörigkeit vielleicht nach seinem eigenen Recht beurteilt wird. Es geschieht heute so, zweifellos, hundert- und tausendfach. Aber muß es so geschehen? Welche Gewähr besteht dafür, daß es so geschehe? Wenn das bernische Gericht die Klage nicht angenommen hätte, welchen Rechtsgrundsatz hätte es verletzt? Vielleicht einen Grundsatz des schweizerischen Zivil- oder Prozeßrechts. Aber daß im schweizerischen Gesetz der richtige Grundsatz steht, ist doch für einen Amerikaner ein Zufall (die Schweiz könnte ihr Recht jederzeit ändern); und stünde er nicht darin, so wäre der Amerikaner um sein Recht verfroren. Wenn dem Ausländer sein Recht werden soll, wenn er darauf soll zählen können, so kann es nur sein auf Grund und kraft des Völker- rechts; denn der Fremde als Einzelperson kann offenbar von einem Staate, dem er nicht angehört, nicht fordern, so oder anders behandelt zu werden; nur der Staat, dem er angehört, kann es fordern, und das ist eben ein völkerrechtlicher Anspruch. Es mag sein, daß der Anspruch des Amerikaners schon nach schweizerischem Gesetz, in den für Schweizer geltenden Formen des Privatrechts- schutzes zu erledigen war, aber das schließt nicht aus, daß diese Erledigung auch einer Pflicht der Schweiz gegenüber Nord- amerika entspricht, und daß diese Pflicht logisch sogar die not- wendige Voraussetzung jener Erledigung war. Denn wenn die schweizerische Gesetzgebung den Amerikaner als grundsätzlich gleichberechtigt behandelt wie die Schweizer, so kann es doch nur sein, weil sie diese Behandlung für begründet hält und sie auch rechtlich festlegen will 1, weil es dem richtigen Verhalten der Schweiz gegenüber anderen zivilisierten Staaten entspricht. Ein Staat kann allerdings aus eigener Entschließung, kraft seiner eigenen Rechtsordnung einen Staatsfremden als rechts- 1 Vgl. Hatscheck, Völkerrecht (1923) 357.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/463>, abgerufen am 19.04.2024.