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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiser2. Abschnitt.
Carl IV. zum "König der italienischen Spaßmacher" er-
klärt hatte, sagte in Ferrara zu ihm: "Ihr werdet die Welt
"besiegen, da Ihr mein und des Papstes Freund seid; Ihr
"kämpft mit dem Schwert, der Papst mit dem Bullensiegel,
"ich mit der Zunge! 1)" Dieß ist kein bloßer Scherz,
sondern eine Vorahnung Pietro Aretino's.

Die beiden berühmtesten Spaßmacher um die MitteArlotto und
Gonnella.

des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe
von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und
der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien.
Es ist bedenklich, ihre Geschichten mit denjenigen des Pfaf-
fen von Kalenberg und des Till Eulenspiegel zu vergleichen;
letztere sind eben auf ganz andere, halbmythische Weise
entstanden, so daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat,
und daß sie mehr auf das Allgemeingültige, Allverständliche
hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella historisch und
local bekannte und bedingte Persönlichkeiten waren. Will
man aber einmal die Vergleichung zulassen und sie auf die
"Schwänke" der außeritalischen Völker überhaupt ausdehnen,
so wird es sich im Ganzen finden, daß der "Schwank" in
den französischen Fabliaux 2) wie bei den Deutschen in erster
Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet ist, während
der Witz des Arlotto, die Possen des Gonnella sich gleich-
sam Selbstzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa-
tisfaction willen vorhanden sind. (Till Eulenspiegel erscheint
dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als
der personificirte, meist ziemlich geistlose Schabernack gegen

1) Franco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. -- Die Facetiae
des Poggio sind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt:
burle, Insolenzen, Mißverständnisse einfacher Menschen gegenüber
der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen
verrathen. -- Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141.
2) Folgerichtig auch in denjenigen Novellen der Italiener, deren Inhalt
von dort entlehnt ist.

wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiſer2. Abſchnitt.
Carl IV. zum „König der italieniſchen Spaßmacher“ er-
klärt hatte, ſagte in Ferrara zu ihm: „Ihr werdet die Welt
„beſiegen, da Ihr mein und des Papſtes Freund ſeid; Ihr
„kämpft mit dem Schwert, der Papſt mit dem Bullenſiegel,
„ich mit der Zunge! 1)“ Dieß iſt kein bloßer Scherz,
ſondern eine Vorahnung Pietro Aretino's.

Die beiden berühmteſten Spaßmacher um die MitteArlotto und
Gonnella.

des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe
von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und
der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien.
Es iſt bedenklich, ihre Geſchichten mit denjenigen des Pfaf-
fen von Kalenberg und des Till Eulenſpiegel zu vergleichen;
letztere ſind eben auf ganz andere, halbmythiſche Weiſe
entſtanden, ſo daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat,
und daß ſie mehr auf das Allgemeingültige, Allverſtändliche
hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella hiſtoriſch und
local bekannte und bedingte Perſönlichkeiten waren. Will
man aber einmal die Vergleichung zulaſſen und ſie auf die
„Schwänke“ der außeritaliſchen Völker überhaupt ausdehnen,
ſo wird es ſich im Ganzen finden, daß der „Schwank“ in
den franzöſiſchen Fabliaux 2) wie bei den Deutſchen in erſter
Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet iſt, während
der Witz des Arlotto, die Poſſen des Gonnella ſich gleich-
ſam Selbſtzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa-
tisfaction willen vorhanden ſind. (Till Eulenſpiegel erſcheint
dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als
der perſonificirte, meiſt ziemlich geiſtloſe Schabernack gegen

1) Franco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. — Die Facetiae
des Poggio ſind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt:
burle, Inſolenzen, Mißverſtändniſſe einfacher Menſchen gegenüber
der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen
verrathen. — Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141.
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[157/0167] wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiſer Carl IV. zum „König der italieniſchen Spaßmacher“ er- klärt hatte, ſagte in Ferrara zu ihm: „Ihr werdet die Welt „beſiegen, da Ihr mein und des Papſtes Freund ſeid; Ihr „kämpft mit dem Schwert, der Papſt mit dem Bullenſiegel, „ich mit der Zunge! 1)“ Dieß iſt kein bloßer Scherz, ſondern eine Vorahnung Pietro Aretino's. 2. Abſchnitt. Die beiden berühmteſten Spaßmacher um die Mitte des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe von Florenz, Arlotto, für den feinern Witz (facezie), und der Hofnarr von Ferrara, Gonnella für die Buffonerien. Es iſt bedenklich, ihre Geſchichten mit denjenigen des Pfaf- fen von Kalenberg und des Till Eulenſpiegel zu vergleichen; letztere ſind eben auf ganz andere, halbmythiſche Weiſe entſtanden, ſo daß ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat, und daß ſie mehr auf das Allgemeingültige, Allverſtändliche hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella hiſtoriſch und local bekannte und bedingte Perſönlichkeiten waren. Will man aber einmal die Vergleichung zulaſſen und ſie auf die „Schwänke“ der außeritaliſchen Völker überhaupt ausdehnen, ſo wird es ſich im Ganzen finden, daß der „Schwank“ in den franzöſiſchen Fabliaux 2) wie bei den Deutſchen in erſter Linie auf einen Vortheil oder Genuß berechnet iſt, während der Witz des Arlotto, die Poſſen des Gonnella ſich gleich- ſam Selbſtzweck, nämlich um des Triumphes, um der Sa- tisfaction willen vorhanden ſind. (Till Eulenſpiegel erſcheint dann wieder als eine eigenthümliche Nuance, nämlich als der perſonificirte, meiſt ziemlich geiſtloſe Schabernack gegen Arlotto und Gonnella. 1) Franco Sacchetti, Nov. 156; vgl. Nov. 24. — Die Facetiae des Poggio ſind dem Inhalt nach mit Sacchetti nahe verwandt: burle, Inſolenzen, Mißverſtändniſſe einfacher Menſchen gegenüber der raffinirten Zote, dann aber mehr Wortwitze, die den Philologen verrathen. — Ueber L. B. Alberti vgl. S. 141. 2) Folgerichtig auch in denjenigen Novellen der Italiener, deren Inhalt von dort entlehnt iſt.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/167>, abgerufen am 18.04.2024.