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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.haben. 1) Wären die Kaiser etwas nütze gewesen, so hätten
sie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen lassen, -- so
lautete die Logik des unwissenden Menschenverstandes. Seit
dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiser in Italien nur
noch den ohne sie entstandenen Gewaltzustand sanctionirt,
ohne ihn jedoch im Geringsten anders als durch Urkunden
garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien
ist eine der schmählichsten politischen Comödien; man mag
im Matteo Villani 2) nachlesen, wie ihn die Visconti in
ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren,
wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald
für seine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten,
wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne
einen Schwertstreich gethan zu haben, mit seinem vollen
Geldsack wieder über die Alpen zieht. 3) Sigismund kam

1) Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. "Die Be-
"lehnung durch einen Mann der in Deutschland wohnt und von
"einem römischen Kaiser nichts als den eiteln Namen hat, ist nicht
"im Stande einen Bösewicht zum wahren Signore einer Stadt zu
"machen."
2) M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92; V, 1, 2. 21, 36, 54.
3) Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI.,
cap. 5,
um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug
nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle ist eine der
besten in dem betreffenden Gedichte und auch sonst bezeichnend. Der
Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab
weggewiesen:
Coi passi lunghi e con la testa bassa
Oltre passai e dissi: ecco vergogna
Del cristian che'l saracin qui lassa!
Poscia al pastor (den Papst) mi volsi per rampogna:
E tu ti stai, che sei vicar di Cristo
Co' frati tuoi a ingrassar la carogna?
Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.)
Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi,
E che non cura di si caro acquisto:

1. Abſchnitt.haben. 1) Wären die Kaiſer etwas nütze geweſen, ſo hätten
ſie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen laſſen, — ſo
lautete die Logik des unwiſſenden Menſchenverſtandes. Seit
dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiſer in Italien nur
noch den ohne ſie entſtandenen Gewaltzuſtand ſanctionirt,
ohne ihn jedoch im Geringſten anders als durch Urkunden
garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien
iſt eine der ſchmählichſten politiſchen Comödien; man mag
im Matteo Villani 2) nachleſen, wie ihn die Visconti in
ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren,
wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald
für ſeine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten,
wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne
einen Schwertſtreich gethan zu haben, mit ſeinem vollen
Geldſack wieder über die Alpen zieht. 3) Sigismund kam

1) Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. „Die Be-
„lehnung durch einen Mann der in Deutſchland wohnt und von
„einem römiſchen Kaiſer nichts als den eiteln Namen hat, iſt nicht
„im Stande einen Böſewicht zum wahren Signore einer Stadt zu
„machen.“
2) M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92; V, 1, 2. 21, 36, 54.
3) Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI.,
cap. 5,
um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug
nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle iſt eine der
beſten in dem betreffenden Gedichte und auch ſonſt bezeichnend. Der
Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab
weggewieſen:
Coi passi lunghi e con la testa bassa
Oltre passai e dissi: ecco vergogna
Del cristian che'l saracin quì lassa!
Poscia al pastor (den Papſt) mi volsi per rampogna:
E tu ti stai, che sei vicar di Cristo
Co' frati tuoi a ingrassar la carogna?
Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.)
Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi,
E che non cura di sì caro acquisto:
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[16/0026] haben. 1) Wären die Kaiſer etwas nütze geweſen, ſo hätten ſie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen laſſen, — ſo lautete die Logik des unwiſſenden Menſchenverſtandes. Seit dem Römerzuge Carls IV. haben die Kaiſer in Italien nur noch den ohne ſie entſtandenen Gewaltzuſtand ſanctionirt, ohne ihn jedoch im Geringſten anders als durch Urkunden garantiren zu können. Carls ganzes Auftreten in Italien iſt eine der ſchmählichſten politiſchen Comödien; man mag im Matteo Villani 2) nachleſen, wie ihn die Visconti in ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg escortiren, wie er eilt gleich einem Meßkaufmann, um nur recht bald für ſeine Waare (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten, wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich ohne einen Schwertſtreich gethan zu haben, mit ſeinem vollen Geldſack wieder über die Alpen zieht. 3) Sigismund kam 1. Abſchnitt. 1) Hierüber Franc. Vettori, arch. stor. VI, p. 293, s. „Die Be- „lehnung durch einen Mann der in Deutſchland wohnt und von „einem römiſchen Kaiſer nichts als den eiteln Namen hat, iſt nicht „im Stande einen Böſewicht zum wahren Signore einer Stadt zu „machen.“ 2) M. Villani, IV, 38. 39. 56. 77. 78. 92; V, 1, 2. 21, 36, 54. 3) Ein Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI., cap. 5, um d. J. 1360) welcher Carl IV. noch einen Kreuzzug nach dem heiligen Lande zumuthen wollte. Die Stelle iſt eine der beſten in dem betreffenden Gedichte und auch ſonſt bezeichnend. Der Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab weggewieſen: Coi passi lunghi e con la testa bassa Oltre passai e dissi: ecco vergogna Del cristian che'l saracin quì lassa! Poscia al pastor (den Papſt) mi volsi per rampogna: E tu ti stai, che sei vicar di Cristo Co' frati tuoi a ingrassar la carogna? Similimente dissi a quel sofisto (Carl IV.) Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi, E che non cura di sì caro acquisto:

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/26>, abgerufen am 19.04.2024.