Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

1 Abschnitt.gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und
zog die Erbschaft an sich. 1)

Spätere Ver-
suche der Con-
dottieren.
Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen
von neuen Condottierenstaaten offenbar als ein nicht mehr
zu duldender Scandal; die vier "Großstaaten" Neapel,
Mailand, Kirche und Venedig schienen ein System des
Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen
mehr vertrug. Im Kirchenstaat, wo es von kleinen Tyran-
nen wimmelte, die zum Theil Condottieren gewesen oder es
noch waren, bemächtigten sich seit Sixtus IV. die Nepoten
des Alleinrechtes auf solche Unternehmungen. Aber die
Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen,
so meldeten sich auch die Condottieren wieder. Unter der
kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe
daran, daß ein früher in burgundischen Diensten gewesener
Hauptmann Boccalino sich mit sammt der Stadt Osimo,
die er für sich genommen, den Türken übergeben hätte; 2)
man mußte froh sein, daß er sich auf Vermittlung des
Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab-
zog. Im Jahr 1495, bei der Erschütterung aller Dinge
in Folge des Krieges Carls VIII. versuchte sich ein Con-
dottiere Vidovero von Brescia; 3) er hatte schon früher die
Stadt Cesena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein-
genommen, aber das Castell hielt sich und er mußte wieder
fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer
böser Bube, Pandolfo Malatesta von Rimini, Sohn des
erwähnten Roberto und venezianischer Condottiere, abgetreten,
nahm er dem Erzbischof von Ravenna die Stadt Castel-
nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres besorgten und
ohnehin vom Papst gedrängt wurden, befahlen dem Pan-

1) Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco.
2) Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII,
Col.
1241.
3) Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407.

1 Abſchnitt.gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und
zog die Erbſchaft an ſich. 1)

Spätere Ver-
ſuche der Con-
dottieren.
Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen
von neuen Condottierenſtaaten offenbar als ein nicht mehr
zu duldender Scandal; die vier „Großſtaaten“ Neapel,
Mailand, Kirche und Venedig ſchienen ein Syſtem des
Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen
mehr vertrug. Im Kirchenſtaat, wo es von kleinen Tyran-
nen wimmelte, die zum Theil Condottieren geweſen oder es
noch waren, bemächtigten ſich ſeit Sixtus IV. die Nepoten
des Alleinrechtes auf ſolche Unternehmungen. Aber die
Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen,
ſo meldeten ſich auch die Condottieren wieder. Unter der
kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe
daran, daß ein früher in burgundiſchen Dienſten geweſener
Hauptmann Boccalino ſich mit ſammt der Stadt Oſimo,
die er für ſich genommen, den Türken übergeben hätte; 2)
man mußte froh ſein, daß er ſich auf Vermittlung des
Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab-
zog. Im Jahr 1495, bei der Erſchütterung aller Dinge
in Folge des Krieges Carls VIII. verſuchte ſich ein Con-
dottiere Vidovero von Brescia; 3) er hatte ſchon früher die
Stadt Ceſena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein-
genommen, aber das Caſtell hielt ſich und er mußte wieder
fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer
böſer Bube, Pandolfo Malateſta von Rimini, Sohn des
erwähnten Roberto und venezianiſcher Condottiere, abgetreten,
nahm er dem Erzbiſchof von Ravenna die Stadt Caſtel-
nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres beſorgten und
ohnehin vom Papſt gedrängt wurden, befahlen dem Pan-

1) Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco.
2) Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII,
Col.
1241.
3) Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="26"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">1 Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und<lb/>
zog die Erb&#x017F;chaft an &#x017F;ich. <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Orationes Philelphi, Fol. 9,</hi> in der Leichenrede auf Francesco.</note></p><lb/>
        <p><note place="left">Spätere Ver-<lb/>
&#x017F;uche der Con-<lb/>
dottieren.</note>Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen<lb/>
von neuen Condottieren&#x017F;taaten offenbar als ein nicht mehr<lb/>
zu duldender Scandal; die vier &#x201E;Groß&#x017F;taaten&#x201C; Neapel,<lb/>
Mailand, Kirche und Venedig &#x017F;chienen ein Sy&#x017F;tem des<lb/>
Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen<lb/>
mehr vertrug. Im Kirchen&#x017F;taat, wo es von kleinen Tyran-<lb/>
nen wimmelte, die zum Theil Condottieren gewe&#x017F;en oder es<lb/>
noch waren, bemächtigten &#x017F;ich &#x017F;eit Sixtus <hi rendition="#aq">IV.</hi> die Nepoten<lb/>
des Alleinrechtes auf &#x017F;olche Unternehmungen. Aber die<lb/>
Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen,<lb/>
&#x017F;o meldeten &#x017F;ich auch die Condottieren wieder. Unter der<lb/>
kläglichen Regierung Innocenz <hi rendition="#aq">VIII.</hi> war es einmal nahe<lb/>
daran, daß ein früher in burgundi&#x017F;chen Dien&#x017F;ten gewe&#x017F;ener<lb/>
Hauptmann Boccalino &#x017F;ich mit &#x017F;ammt der Stadt O&#x017F;imo,<lb/>
die er für &#x017F;ich genommen, den Türken übergeben hätte; <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven.,</hi> bei <hi rendition="#aq">Murat. XXII,<lb/>
Col.</hi> 1241.</note><lb/>
man mußte froh &#x017F;ein, daß er &#x017F;ich auf Vermittlung des<lb/>
Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab-<lb/>
zog. Im Jahr 1495, bei der Er&#x017F;chütterung aller Dinge<lb/>
in Folge des Krieges Carls <hi rendition="#aq">VIII.</hi> ver&#x017F;uchte &#x017F;ich ein Con-<lb/>
dottiere Vidovero von Brescia; <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq">Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p.</hi> 407.</note> er hatte &#x017F;chon früher die<lb/>
Stadt Ce&#x017F;ena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein-<lb/>
genommen, aber das Ca&#x017F;tell hielt &#x017F;ich und er mußte wieder<lb/>
fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer<lb/>&#x017F;er Bube, Pandolfo Malate&#x017F;ta von Rimini, Sohn des<lb/>
erwähnten Roberto und veneziani&#x017F;cher Condottiere, abgetreten,<lb/>
nahm er dem Erzbi&#x017F;chof von Ravenna die Stadt Ca&#x017F;tel-<lb/>
nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres be&#x017F;orgten und<lb/>
ohnehin vom Pap&#x017F;t gedrängt wurden, befahlen dem Pan-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0036] gebar; eine Tante vergiftete die Frau und das Kind und zog die Erbſchaft an ſich. 1) 1 Abſchnitt. Vom Untergang Piccinino's an galt das Aufkommen von neuen Condottierenſtaaten offenbar als ein nicht mehr zu duldender Scandal; die vier „Großſtaaten“ Neapel, Mailand, Kirche und Venedig ſchienen ein Syſtem des Gleichgewichtes zu bilden, welches keine jener Störungen mehr vertrug. Im Kirchenſtaat, wo es von kleinen Tyran- nen wimmelte, die zum Theil Condottieren geweſen oder es noch waren, bemächtigten ſich ſeit Sixtus IV. die Nepoten des Alleinrechtes auf ſolche Unternehmungen. Aber die Dinge brauchten nur irgendwo in's Schwanken zu gerathen, ſo meldeten ſich auch die Condottieren wieder. Unter der kläglichen Regierung Innocenz VIII. war es einmal nahe daran, daß ein früher in burgundiſchen Dienſten geweſener Hauptmann Boccalino ſich mit ſammt der Stadt Oſimo, die er für ſich genommen, den Türken übergeben hätte; 2) man mußte froh ſein, daß er ſich auf Vermittlung des Lorenzo magnifico hin mit Geld abfinden ließ und ab- zog. Im Jahr 1495, bei der Erſchütterung aller Dinge in Folge des Krieges Carls VIII. verſuchte ſich ein Con- dottiere Vidovero von Brescia; 3) er hatte ſchon früher die Stadt Ceſena durch Mord vieler Edeln und Bürger ein- genommen, aber das Caſtell hielt ſich und er mußte wieder fort; jetzt, begleitet von einer Truppe, die ihm ein anderer böſer Bube, Pandolfo Malateſta von Rimini, Sohn des erwähnten Roberto und venezianiſcher Condottiere, abgetreten, nahm er dem Erzbiſchof von Ravenna die Stadt Caſtel- nuovo ab. Die Venezianer, welche Größeres beſorgten und ohnehin vom Papſt gedrängt wurden, befahlen dem Pan- Spätere Ver- ſuche der Con- dottieren. 1) Orationes Philelphi, Fol. 9, in der Leichenrede auf Francesco. 2) Marin Sanudo, vite de' Duchi di Ven., bei Murat. XXII, Col. 1241. 3) Malipiero, Ann. Veneti, Archiv. stor. VII, I, p. 407.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/36
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/36>, abgerufen am 19.04.2024.