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Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.

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Obgleich weniger gewöhnlich in Frankreich, ist die Trunksucht doch auch einer der größten moralischen Flecke der dortigen Arbeiter-Classen. Nach Herrn Villerme verbraucht die Einwohnerschaft von Amiens allein täglich 36,000 Gläschen Branntwein.

Von 45,600 Todesfällen, welche im Verlaufe von sieben Jahren, von 1835-1841, in Frankreich, als durch zufällige Ursachen herbeigeführt, sich amtlich herausgestellt haben, konnten 1622 allein nur der Trunksucht zugeschrieben werden. Auch ist erwiesen, daß die Cholera stets mehr unter den Trunkenbolden, als unter Denen, welche sich der Mäßigkeit befleißigen, ihre Opfer gesucht hat. Dasselbe findet auch bezüglich der andern Epidemieen Statt. Auch hat sich seit langer Zeit schon erwiesen, daß, wegen der sonn- und montäglichen Ausschweifungen, die Aufnahme in die Spitäler der großen Städte an den Montagen und Dienstagen weit zahlreicher beansprucht wird, als an den andern Tagen. Von den Selbstmorden, welche Herr Descurets in den Jahren 1818-1838 von Amtswegen constatirt hat, ist der sechste Theil in der Trunkenheit geschehen.

Um endlich denen meiner Leser, welche ich hier im Auge habe, noch eindringlicher in's Gemüth zu reden, halte ich es für nützlich, ihnen eine Statistik, welche ich über die bloß aus der Trunksucht in dem Canton Vierzon während eines zehnjährigen Zeitraumes hervorgegangenen Unglücksfälle mit möglichster Genauigkeit aufgestellt habe, hiermit vorzulegen.

Es ergiebt sich nämlich aus meinen bei einer Bevölkerung von 10,000 Seelen angestellten Nachforschungen:

1) daß durch den mißbräuchlichen Genuß von Getränken 47 Selbstmorde Statt gefunden haben;

2) daß die alkoholischen Getränke 200 Individuen, sowohl mittelbar als unmittelbar, getödtet haben;

3) daß sie den Bestand von 140 Wittwen und

4) von 210 Waisen verschuldet haben;

5) daß jeden Morgen durchschnittlich, und zwar nur in den vier bedeutendsten Gewürzläden, wo Schnaps

Obgleich weniger gewöhnlich in Frankreich, ist die Trunksucht doch auch einer der größten moralischen Flecke der dortigen Arbeiter-Classen. Nach Herrn Villermé verbraucht die Einwohnerschaft von Amiens allein täglich 36,000 Gläschen Branntwein.

Von 45,600 Todesfällen, welche im Verlaufe von sieben Jahren, von 1835–1841, in Frankreich, als durch zufällige Ursachen herbeigeführt, sich amtlich herausgestellt haben, konnten 1622 allein nur der Trunksucht zugeschrieben werden. Auch ist erwiesen, daß die Cholera stets mehr unter den Trunkenbolden, als unter Denen, welche sich der Mäßigkeit befleißigen, ihre Opfer gesucht hat. Dasselbe findet auch bezüglich der andern Epidemieen Statt. Auch hat sich seit langer Zeit schon erwiesen, daß, wegen der sonn- und montäglichen Ausschweifungen, die Aufnahme in die Spitäler der großen Städte an den Montagen und Dienstagen weit zahlreicher beansprucht wird, als an den andern Tagen. Von den Selbstmorden, welche Herr Descurets in den Jahren 1818–1838 von Amtswegen constatirt hat, ist der sechste Theil in der Trunkenheit geschehen.

Um endlich denen meiner Leser, welche ich hier im Auge habe, noch eindringlicher in’s Gemüth zu reden, halte ich es für nützlich, ihnen eine Statistik, welche ich über die bloß aus der Trunksucht in dem Canton Vierzon während eines zehnjährigen Zeitraumes hervorgegangenen Unglücksfälle mit möglichster Genauigkeit aufgestellt habe, hiermit vorzulegen.

Es ergiebt sich nämlich aus meinen bei einer Bevölkerung von 10,000 Seelen angestellten Nachforschungen:

1) daß durch den mißbräuchlichen Genuß von Getränken 47 Selbstmorde Statt gefunden haben;

2) daß die alkoholischen Getränke 200 Individuen, sowohl mittelbar als unmittelbar, getödtet haben;

3) daß sie den Bestand von 140 Wittwen und

4) von 210 Waisen verschuldet haben;

5) daß jeden Morgen durchschnittlich, und zwar nur in den vier bedeutendsten Gewürzläden, wo Schnaps

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[5/0015] Obgleich weniger gewöhnlich in Frankreich, ist die Trunksucht doch auch einer der größten moralischen Flecke der dortigen Arbeiter-Classen. Nach Herrn Villermé verbraucht die Einwohnerschaft von Amiens allein täglich 36,000 Gläschen Branntwein. Von 45,600 Todesfällen, welche im Verlaufe von sieben Jahren, von 1835–1841, in Frankreich, als durch zufällige Ursachen herbeigeführt, sich amtlich herausgestellt haben, konnten 1622 allein nur der Trunksucht zugeschrieben werden. Auch ist erwiesen, daß die Cholera stets mehr unter den Trunkenbolden, als unter Denen, welche sich der Mäßigkeit befleißigen, ihre Opfer gesucht hat. Dasselbe findet auch bezüglich der andern Epidemieen Statt. Auch hat sich seit langer Zeit schon erwiesen, daß, wegen der sonn- und montäglichen Ausschweifungen, die Aufnahme in die Spitäler der großen Städte an den Montagen und Dienstagen weit zahlreicher beansprucht wird, als an den andern Tagen. Von den Selbstmorden, welche Herr Descurets in den Jahren 1818–1838 von Amtswegen constatirt hat, ist der sechste Theil in der Trunkenheit geschehen. Um endlich denen meiner Leser, welche ich hier im Auge habe, noch eindringlicher in’s Gemüth zu reden, halte ich es für nützlich, ihnen eine Statistik, welche ich über die bloß aus der Trunksucht in dem Canton Vierzon während eines zehnjährigen Zeitraumes hervorgegangenen Unglücksfälle mit möglichster Genauigkeit aufgestellt habe, hiermit vorzulegen. Es ergiebt sich nämlich aus meinen bei einer Bevölkerung von 10,000 Seelen angestellten Nachforschungen: 1) daß durch den mißbräuchlichen Genuß von Getränken 47 Selbstmorde Statt gefunden haben; 2) daß die alkoholischen Getränke 200 Individuen, sowohl mittelbar als unmittelbar, getödtet haben; 3) daß sie den Bestand von 140 Wittwen und 4) von 210 Waisen verschuldet haben; 5) daß jeden Morgen durchschnittlich, und zwar nur in den vier bedeutendsten Gewürzläden, wo Schnaps

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Zitationshilfe: Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdel_trunksucht_1855/15>, abgerufen am 28.03.2024.