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Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

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die zukünftigen unregelmäßigen Ereignisse wenigstens
einigermaßen vorhergesehen haben müsse, als inconsequent
erscheinen. -- Es liegen endlich aber auch bedenkliche Wider-
sprüche in dieser Richtung vor. Nachdem in § 3 mit bloßem
Accommodiren an die praktische Nothwendigkeit erörtert worden
ist, daß die Zwischenursachen -- regelmäßige wie unregelmäßige
-- nicht zur Ursache zugerechnet werden sollen, wenn sie sich
nicht vorher im Bewußtsein des Handelnden wenigstens
einigermaßen reflectirt hatten, wird daselbst weiter behauptet:
da weder Nothwendigkeit des Causalzusammenhangs noch die
bloße Möglichkeit desselben entscheidend sein könne, so bleibe
nur übrig, eine gewisse Wahrscheinlichkeit als Norm anzu-
nehmen, oder, was genauer sei, zu sagen: alle Folgen seien
auf den Handelnden als Ursache zu beziehen, welche in dem
regelmäßigen Verlauf der Dinge lägen. Diese rein objective
Schlußfolgerung steht jedoch in diametralem Gegensatz zu
den Vordersätzen, weil hiernach der Handelnde die regel-
mäßigen Zwischenursachen nicht vorausgesehen zu haben
braucht. Aber sofort wird dann wieder in die Subjectivität
übergesprungen. Denn wenn der Handelnde auf eine regel-
widrige Zwischenursache gerechnet hat, so soll er auch für sie
einstehen. Müssen aber unregelmäßige Zwischenursachen zur
Ursache zugerechnet werden, wenn sie nur mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit vorausgesehen worden sind, so liegt hierin
der Beweis, daß der Causalzusammenhang nicht durch seine
Regelmäßigkeit bedingt wird. v. B. behauptet darum k. H.
(S. 21), die in Aussicht genommenen unregelmäßigen Zwischen-
ursachen seien in Wahrheit nicht als unregelmäßige anzu-
sehen. Aber wie kann denn eine Erscheinung, welche, wenn
sie nicht vorausgesehen wird, eine regelwidrige ist, diese
objective Qualität abstreifen und sich zu einer regelmäßigen
gestalten, im Falle auf sie gerechnet worden war -- also

die zukünftigen unregelmäßigen Ereigniſſe wenigſtens
einigermaßen vorhergeſehen haben müſſe, als inconſequent
erſcheinen. — Es liegen endlich aber auch bedenkliche Wider-
ſprüche in dieſer Richtung vor. Nachdem in § 3 mit bloßem
Accommodiren an die praktiſche Nothwendigkeit erörtert worden
iſt, daß die Zwiſchenurſachen — regelmäßige wie unregelmäßige
— nicht zur Urſache zugerechnet werden ſollen, wenn ſie ſich
nicht vorher im Bewußtſein des Handelnden wenigſtens
einigermaßen reflectirt hatten, wird daſelbſt weiter behauptet:
da weder Nothwendigkeit des Cauſalzuſammenhangs noch die
bloße Möglichkeit deſſelben entſcheidend ſein könne, ſo bleibe
nur übrig, eine gewiſſe Wahrſcheinlichkeit als Norm anzu-
nehmen, oder, was genauer ſei, zu ſagen: alle Folgen ſeien
auf den Handelnden als Urſache zu beziehen, welche in dem
regelmäßigen Verlauf der Dinge lägen. Dieſe rein objective
Schlußfolgerung ſteht jedoch in diametralem Gegenſatz zu
den Vorderſätzen, weil hiernach der Handelnde die regel-
mäßigen Zwiſchenurſachen nicht vorausgeſehen zu haben
braucht. Aber ſofort wird dann wieder in die Subjectivität
übergeſprungen. Denn wenn der Handelnde auf eine regel-
widrige Zwiſchenurſache gerechnet hat, ſo ſoll er auch für ſie
einſtehen. Müſſen aber unregelmäßige Zwiſchenurſachen zur
Urſache zugerechnet werden, wenn ſie nur mit einer gewiſſen
Wahrſcheinlichkeit vorausgeſehen worden ſind, ſo liegt hierin
der Beweis, daß der Cauſalzuſammenhang nicht durch ſeine
Regelmäßigkeit bedingt wird. v. B. behauptet darum k. H.
(S. 21), die in Ausſicht genommenen unregelmäßigen Zwiſchen-
urſachen ſeien in Wahrheit nicht als unregelmäßige anzu-
ſehen. Aber wie kann denn eine Erſcheinung, welche, wenn
ſie nicht vorausgeſehen wird, eine regelwidrige iſt, dieſe
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[8/0012] die zukünftigen unregelmäßigen Ereigniſſe wenigſtens einigermaßen vorhergeſehen haben müſſe, als inconſequent erſcheinen. — Es liegen endlich aber auch bedenkliche Wider- ſprüche in dieſer Richtung vor. Nachdem in § 3 mit bloßem Accommodiren an die praktiſche Nothwendigkeit erörtert worden iſt, daß die Zwiſchenurſachen — regelmäßige wie unregelmäßige — nicht zur Urſache zugerechnet werden ſollen, wenn ſie ſich nicht vorher im Bewußtſein des Handelnden wenigſtens einigermaßen reflectirt hatten, wird daſelbſt weiter behauptet: da weder Nothwendigkeit des Cauſalzuſammenhangs noch die bloße Möglichkeit deſſelben entſcheidend ſein könne, ſo bleibe nur übrig, eine gewiſſe Wahrſcheinlichkeit als Norm anzu- nehmen, oder, was genauer ſei, zu ſagen: alle Folgen ſeien auf den Handelnden als Urſache zu beziehen, welche in dem regelmäßigen Verlauf der Dinge lägen. Dieſe rein objective Schlußfolgerung ſteht jedoch in diametralem Gegenſatz zu den Vorderſätzen, weil hiernach der Handelnde die regel- mäßigen Zwiſchenurſachen nicht vorausgeſehen zu haben braucht. Aber ſofort wird dann wieder in die Subjectivität übergeſprungen. Denn wenn der Handelnde auf eine regel- widrige Zwiſchenurſache gerechnet hat, ſo ſoll er auch für ſie einſtehen. Müſſen aber unregelmäßige Zwiſchenurſachen zur Urſache zugerechnet werden, wenn ſie nur mit einer gewiſſen Wahrſcheinlichkeit vorausgeſehen worden ſind, ſo liegt hierin der Beweis, daß der Cauſalzuſammenhang nicht durch ſeine Regelmäßigkeit bedingt wird. v. B. behauptet darum k. H. (S. 21), die in Ausſicht genommenen unregelmäßigen Zwiſchen- urſachen ſeien in Wahrheit nicht als unregelmäßige anzu- ſehen. Aber wie kann denn eine Erſcheinung, welche, wenn ſie nicht vorausgeſehen wird, eine regelwidrige iſt, dieſe objective Qualität abſtreifen und ſich zu einer regelmäßigen geſtalten, im Falle auf ſie gerechnet worden war — alſo

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Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/12>, abgerufen am 19.04.2024.