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Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

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so kann er sich doch selbst hiervon nicht entbinden, weil er
bei Ausmessung der Strafe seine Position innerhalb des ihm
eingeräumten weitschichtigen Strafrahmens nehmen, hierfür
aber mit Nothwendigkeit die Frage, inwieweit die eingetretenen
Erfolge von dem dolosen oder fahrlässigen Willen des
Handelnden umfaßt seien, maßgebend sein muß. -- Jedenfalls
aber haben die besonderen von dem Strafgesetzbuche auf-
gestellten Vorschriften nur gerade Geltung für die besonders
von ihm bezeichneten gemeingefährlichen Handlungen. Die
übrigen gemeingefährlichen Verbrechen müssen daher nach den
allgemein gültigen strafrechtlichen Principien beurtheilt werden.
Darum läßt sich noch weniger einsehen, weshalb denn gerade
für erstere besonders eigenthümliche Bestimmungen haben
aufgestellt werden müssen. Wer eine Orsini'sche Bombe
unter 20 Menschen wirft, begeht gerade so gut eine gemein-
gefährliche Handlung, als wenn er ein Dorf von 20 Häusern
anzündet. Das Object seines Angriffs ist in dem einen Fall
gerade so sehr und beziehungsweise gerade so wenig bestimmt,
wie in dem andern. Wer eine Pulverfabrik nachlässig betreibt,
wer einer größeren Anzahl von Menschen statt des richtigen
Wegs den Weg nach dem Abgrund zeigt, oder sie durch
falsche Signale dahin lockt, handelt gerade so gemeingefährlich,
als wenn er einen Weg abgräbt, oder durch falsche Signale
ein Schiff zum Stranden bringt. -- Es sind die gemein-
gefährlichen Verbrechen im Grunde genommen gar nicht
einmal auf Angriffe auf Leben, Gesundheit und Eigenthum
beschränkt, es kann vielmehr hierher auch jede Störung
des Gemeinfriedens, Hochverrath, Erregung von Aufruhr
u. s. w., vielleicht sogar Verläumdung durch die Presse,
gerechnet werden.

Wenn bei der Tödtung und Körperverletzung für
dolus sowohl wie für culpa ein besonderes Maximum vor-

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ſo kann er ſich doch ſelbſt hiervon nicht entbinden, weil er
bei Ausmeſſung der Strafe ſeine Poſition innerhalb des ihm
eingeräumten weitſchichtigen Strafrahmens nehmen, hierfür
aber mit Nothwendigkeit die Frage, inwieweit die eingetretenen
Erfolge von dem doloſen oder fahrläſſigen Willen des
Handelnden umfaßt ſeien, maßgebend ſein muß. — Jedenfalls
aber haben die beſonderen von dem Strafgeſetzbuche auf-
geſtellten Vorſchriften nur gerade Geltung für die beſonders
von ihm bezeichneten gemeingefährlichen Handlungen. Die
übrigen gemeingefährlichen Verbrechen müſſen daher nach den
allgemein gültigen ſtrafrechtlichen Principien beurtheilt werden.
Darum läßt ſich noch weniger einſehen, weshalb denn gerade
für erſtere beſonders eigenthümliche Beſtimmungen haben
aufgeſtellt werden müſſen. Wer eine Orſini’ſche Bombe
unter 20 Menſchen wirft, begeht gerade ſo gut eine gemein-
gefährliche Handlung, als wenn er ein Dorf von 20 Häuſern
anzündet. Das Object ſeines Angriffs iſt in dem einen Fall
gerade ſo ſehr und beziehungsweiſe gerade ſo wenig beſtimmt,
wie in dem andern. Wer eine Pulverfabrik nachläſſig betreibt,
wer einer größeren Anzahl von Menſchen ſtatt des richtigen
Wegs den Weg nach dem Abgrund zeigt, oder ſie durch
falſche Signale dahin lockt, handelt gerade ſo gemeingefährlich,
als wenn er einen Weg abgräbt, oder durch falſche Signale
ein Schiff zum Stranden bringt. — Es ſind die gemein-
gefährlichen Verbrechen im Grunde genommen gar nicht
einmal auf Angriffe auf Leben, Geſundheit und Eigenthum
beſchränkt, es kann vielmehr hierher auch jede Störung
des Gemeinfriedens, Hochverrath, Erregung von Aufruhr
u. ſ. w., vielleicht ſogar Verläumdung durch die Preſſe,
gerechnet werden.

Wenn bei der Tödtung und Körperverletzung für
dolus ſowohl wie für culpa ein beſonderes Maximum vor-

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[65/0069] ſo kann er ſich doch ſelbſt hiervon nicht entbinden, weil er bei Ausmeſſung der Strafe ſeine Poſition innerhalb des ihm eingeräumten weitſchichtigen Strafrahmens nehmen, hierfür aber mit Nothwendigkeit die Frage, inwieweit die eingetretenen Erfolge von dem doloſen oder fahrläſſigen Willen des Handelnden umfaßt ſeien, maßgebend ſein muß. — Jedenfalls aber haben die beſonderen von dem Strafgeſetzbuche auf- geſtellten Vorſchriften nur gerade Geltung für die beſonders von ihm bezeichneten gemeingefährlichen Handlungen. Die übrigen gemeingefährlichen Verbrechen müſſen daher nach den allgemein gültigen ſtrafrechtlichen Principien beurtheilt werden. Darum läßt ſich noch weniger einſehen, weshalb denn gerade für erſtere beſonders eigenthümliche Beſtimmungen haben aufgeſtellt werden müſſen. Wer eine Orſini’ſche Bombe unter 20 Menſchen wirft, begeht gerade ſo gut eine gemein- gefährliche Handlung, als wenn er ein Dorf von 20 Häuſern anzündet. Das Object ſeines Angriffs iſt in dem einen Fall gerade ſo ſehr und beziehungsweiſe gerade ſo wenig beſtimmt, wie in dem andern. Wer eine Pulverfabrik nachläſſig betreibt, wer einer größeren Anzahl von Menſchen ſtatt des richtigen Wegs den Weg nach dem Abgrund zeigt, oder ſie durch falſche Signale dahin lockt, handelt gerade ſo gemeingefährlich, als wenn er einen Weg abgräbt, oder durch falſche Signale ein Schiff zum Stranden bringt. — Es ſind die gemein- gefährlichen Verbrechen im Grunde genommen gar nicht einmal auf Angriffe auf Leben, Geſundheit und Eigenthum beſchränkt, es kann vielmehr hierher auch jede Störung des Gemeinfriedens, Hochverrath, Erregung von Aufruhr u. ſ. w., vielleicht ſogar Verläumdung durch die Preſſe, gerechnet werden. Wenn bei der Tödtung und Körperverletzung für dolus ſowohl wie für culpa ein beſonderes Maximum vor- 5

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Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/69>, abgerufen am 18.04.2024.