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Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.

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wer aber sehen will, wie lyrisch er aufzunehmen und
wiederzugeben sei, lese, dünkt mich, unsern neuen
dichter, der vom boden menschlicher und irdischer
gefühle aus dem innersten seiner brust ausgehend auf
in geistige höhe klimmt und sich von ihr herabsenkt,
um von seinem fluge zu ruhen und zum aufschwung
neue stärke zu sammeln. diese mit dichterischer be¬
sonnenheit überall gepaarte schwärmerei scheint sein
eigenstes kennzeichen, und steigender funken art ist es
zu schwärmen, ja alle lyrische begeisterung, mag sie
gott, den sieg oder die liebe zum gegenstand haben,
musz schwärmerisch sein.

Des dichters deutschen Christus dürfte man so
nehmen, als ob heimwehvoll und im bewustsein der
ihm ungeschwächt einwohnenden muttersprache er seine
lieder entsende. vielmehr aber ist offenbar die meinung,
dasz er einen Christus in deutschem sinn aufstelle, wie
ihn deutsche gemütsart und gedankenerhebung ge¬
funden, gehegt und erkannt hat, seit durch die reforma¬
tion herz und glaube gelöst und frei gemacht und
jener kalte, allgemeine Christus der katholischen kirche
aufgehoben wurde. als echten protestanten gibt den
verfasser schon seine äuszere stellung kund, und schöne,
warme worte, die jeder finden wird, verbürgen ihn.

Er wählte sich eine der geschmeidigsten italieni¬
schen formen aus, die vollen gedankenreichthum wal¬
ten läszt und in ungezwungne reime einschlieszt; unter
allen würde ich der vierten canzone und der zwölften
den preis zuerkennen, worin er seines sohnes taufe
feiert, den an die hergegebnen weihetropfen dereinst
zu mahnen er alle gewässer lieblich aufruft.

Mir verargt es keiner, wenn ich ein paar wort¬

wer aber sehen will, wie lyrisch er aufzunehmen und
wiederzugeben sei, lese, dünkt mich, unsern neuen
dichter, der vom boden menschlicher und irdischer
gefühle aus dem innersten seiner brust ausgehend auf
in geistige höhe klimmt und sich von ihr herabsenkt,
um von seinem fluge zu ruhen und zum aufschwung
neue stärke zu sammeln. diese mit dichterischer be¬
sonnenheit überall gepaarte schwärmerei scheint sein
eigenstes kennzeichen, und steigender funken art ist es
zu schwärmen, ja alle lyrische begeisterung, mag sie
gott, den sieg oder die liebe zum gegenstand haben,
musz schwärmerisch sein.

Des dichters deutschen Christus dürfte man so
nehmen, als ob heimwehvoll und im bewustsein der
ihm ungeschwächt einwohnenden muttersprache er seine
lieder entsende. vielmehr aber ist offenbar die meinung,
dasz er einen Christus in deutschem sinn aufstelle, wie
ihn deutsche gemütsart und gedankenerhebung ge¬
funden, gehegt und erkannt hat, seit durch die reforma¬
tion herz und glaube gelöst und frei gemacht und
jener kalte, allgemeine Christus der katholischen kirche
aufgehoben wurde. als echten protestanten gibt den
verfasser schon seine äuszere stellung kund, und schöne,
warme worte, die jeder finden wird, verbürgen ihn.

Er wählte sich eine der geschmeidigsten italieni¬
schen formen aus, die vollen gedankenreichthum wal¬
ten läszt und in ungezwungne reime einschlieszt; unter
allen würde ich der vierten canzone und der zwölften
den preis zuerkennen, worin er seines sohnes taufe
feiert, den an die hergegebnen weihetropfen dereinst
zu mahnen er alle gewässer lieblich aufruft.

Mir verargt es keiner, wenn ich ein paar wort¬

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[VII/0013] wer aber sehen will, wie lyrisch er aufzunehmen und wiederzugeben sei, lese, dünkt mich, unsern neuen dichter, der vom boden menschlicher und irdischer gefühle aus dem innersten seiner brust ausgehend auf in geistige höhe klimmt und sich von ihr herabsenkt, um von seinem fluge zu ruhen und zum aufschwung neue stärke zu sammeln. diese mit dichterischer be¬ sonnenheit überall gepaarte schwärmerei scheint sein eigenstes kennzeichen, und steigender funken art ist es zu schwärmen, ja alle lyrische begeisterung, mag sie gott, den sieg oder die liebe zum gegenstand haben, musz schwärmerisch sein. Des dichters deutschen Christus dürfte man so nehmen, als ob heimwehvoll und im bewustsein der ihm ungeschwächt einwohnenden muttersprache er seine lieder entsende. vielmehr aber ist offenbar die meinung, dasz er einen Christus in deutschem sinn aufstelle, wie ihn deutsche gemütsart und gedankenerhebung ge¬ funden, gehegt und erkannt hat, seit durch die reforma¬ tion herz und glaube gelöst und frei gemacht und jener kalte, allgemeine Christus der katholischen kirche aufgehoben wurde. als echten protestanten gibt den verfasser schon seine äuszere stellung kund, und schöne, warme worte, die jeder finden wird, verbürgen ihn. Er wählte sich eine der geschmeidigsten italieni¬ schen formen aus, die vollen gedankenreichthum wal¬ ten läszt und in ungezwungne reime einschlieszt; unter allen würde ich der vierten canzone und der zwölften den preis zuerkennen, worin er seines sohnes taufe feiert, den an die hergegebnen weihetropfen dereinst zu mahnen er alle gewässer lieblich aufruft. Mir verargt es keiner, wenn ich ein paar wort¬

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Zitationshilfe: Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/13>, abgerufen am 18.04.2024.