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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Allgemeine Einleitung.
ich, dass wir geneigt sind, unsere eigenen Kräfte in dieser Beziehung
sehr zu unterschätzen und den jüdischen Einfluss sehr zu überschätzen.
Hand in Hand damit geht die geradezu lächerliche und empörende
Neigung, den Juden zum allgemeinen Sündenbock für alle Laster
unserer Zeit zu machen. In Wahrheit liegt die "jüdische Gefahr"
viel tiefer; der Jude trägt keine Verantwortung für sie; wir haben
sie selbst erzeugt und müssen sie selbst überwinden. Keine Seelen
dürsten mehr nach Religion als die der Slaven, der Kelten und der
Teutonen: ihre Geschichte beweist es; an dem Mangel einer wahren
Religion krankt unsere ganze germanische Kultur (wie ich das im neunten
Kapitel zeige), daran wird sie noch, wenn nicht bei Zeiten Hilfe
kommt, zu Grunde gehen. Den in unserem eigenen Herzen sprudelnden
Quell haben wir nun verstopft und uns abhängig gemacht von dem
spärlichen, brackigen Wasser, das die Wüstenbeduinen aus ihren Brunnen
ziehen. Keine Menschen der Welt sind so bettelarm an echter Religion
wie die Semiten und wie speziell ihre Halbbrüder, die Juden; und
wir, die wir auserkoren waren, die tiefste und erhabenste religiöse
Weltanschauung als Licht und Leben und atmende Luft unserer
gesamten Kultur zu entwickeln, wir haben uns mit eigenen Händen
die Lebensader unterbunden und hinken als verkrüppelte Judenknechte
hinter Jahve's Bundeslade her! -- Daher die Ausführlichkeit meines
Kapitels über die Juden; es handelte sich darum, eine breite und
sichere Grundlage für diese folgenschwere Erkenntnis zu gewinnen.

Der zweite Teil -- Die allmähliche Entstehung einer
neuen Welt
-- hat in diesem ersten Band nur ein einziges Kapitel:
"Vom Jahre 1200 bis zum Jahre 1800". Hier befand ich mich auf
einem selbst dem ungelehrten Leser ziemlich geläufigen Gebiete, und
es wäre durchaus überflüssig gewesen, aus politischen Geschichten und
Kulturgeschichten, die Jedem zugänglich sind, abzuschreiben. Meine
Aufgabe beschränkte sich also darauf, den so überreichlich vorhandenen
Stoff, den ich -- eben als "Stoff" -- als bekannt voraussetzen durfte,
übersichtlicher zu gestalten, als dies gewöhnlich geschieht, und zwar
natürlich, wiederum mit einziger Berücksichtigung des Gegenstandes
dieses Werkes, nämlich des 19. Jahrhunderts. Dieses Kapitel steht
auf der Grenze zwischen den beiden Bänden des Werkes: Manches,
was in den vorangehenden Kapiteln nur angedeutet, nicht systematisch
ausgeführt werden konnte, so z. B. die prinzipielle Bedeutung des
Germanentums für unsere neue Welt und der Wert der Vorstel-
lungen des Fortschrittes und der Entartung für das Verständnis der Ge-

Allgemeine Einleitung.
ich, dass wir geneigt sind, unsere eigenen Kräfte in dieser Beziehung
sehr zu unterschätzen und den jüdischen Einfluss sehr zu überschätzen.
Hand in Hand damit geht die geradezu lächerliche und empörende
Neigung, den Juden zum allgemeinen Sündenbock für alle Laster
unserer Zeit zu machen. In Wahrheit liegt die »jüdische Gefahr«
viel tiefer; der Jude trägt keine Verantwortung für sie; wir haben
sie selbst erzeugt und müssen sie selbst überwinden. Keine Seelen
dürsten mehr nach Religion als die der Slaven, der Kelten und der
Teutonen: ihre Geschichte beweist es; an dem Mangel einer wahren
Religion krankt unsere ganze germanische Kultur (wie ich das im neunten
Kapitel zeige), daran wird sie noch, wenn nicht bei Zeiten Hilfe
kommt, zu Grunde gehen. Den in unserem eigenen Herzen sprudelnden
Quell haben wir nun verstopft und uns abhängig gemacht von dem
spärlichen, brackigen Wasser, das die Wüstenbeduinen aus ihren Brunnen
ziehen. Keine Menschen der Welt sind so bettelarm an echter Religion
wie die Semiten und wie speziell ihre Halbbrüder, die Juden; und
wir, die wir auserkoren waren, die tiefste und erhabenste religiöse
Weltanschauung als Licht und Leben und atmende Luft unserer
gesamten Kultur zu entwickeln, wir haben uns mit eigenen Händen
die Lebensader unterbunden und hinken als verkrüppelte Judenknechte
hinter Jahve’s Bundeslade her! — Daher die Ausführlichkeit meines
Kapitels über die Juden; es handelte sich darum, eine breite und
sichere Grundlage für diese folgenschwere Erkenntnis zu gewinnen.

Der zweite Teil — Die allmähliche Entstehung einer
neuen Welt
— hat in diesem ersten Band nur ein einziges Kapitel:
»Vom Jahre 1200 bis zum Jahre 1800«. Hier befand ich mich auf
einem selbst dem ungelehrten Leser ziemlich geläufigen Gebiete, und
es wäre durchaus überflüssig gewesen, aus politischen Geschichten und
Kulturgeschichten, die Jedem zugänglich sind, abzuschreiben. Meine
Aufgabe beschränkte sich also darauf, den so überreichlich vorhandenen
Stoff, den ich — eben als »Stoff« — als bekannt voraussetzen durfte,
übersichtlicher zu gestalten, als dies gewöhnlich geschieht, und zwar
natürlich, wiederum mit einziger Berücksichtigung des Gegenstandes
dieses Werkes, nämlich des 19. Jahrhunderts. Dieses Kapitel steht
auf der Grenze zwischen den beiden Bänden des Werkes: Manches,
was in den vorangehenden Kapiteln nur angedeutet, nicht systematisch
ausgeführt werden konnte, so z. B. die prinzipielle Bedeutung des
Germanentums für unsere neue Welt und der Wert der Vorstel-
lungen des Fortschrittes und der Entartung für das Verständnis der Ge-

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[18/0041] Allgemeine Einleitung. ich, dass wir geneigt sind, unsere eigenen Kräfte in dieser Beziehung sehr zu unterschätzen und den jüdischen Einfluss sehr zu überschätzen. Hand in Hand damit geht die geradezu lächerliche und empörende Neigung, den Juden zum allgemeinen Sündenbock für alle Laster unserer Zeit zu machen. In Wahrheit liegt die »jüdische Gefahr« viel tiefer; der Jude trägt keine Verantwortung für sie; wir haben sie selbst erzeugt und müssen sie selbst überwinden. Keine Seelen dürsten mehr nach Religion als die der Slaven, der Kelten und der Teutonen: ihre Geschichte beweist es; an dem Mangel einer wahren Religion krankt unsere ganze germanische Kultur (wie ich das im neunten Kapitel zeige), daran wird sie noch, wenn nicht bei Zeiten Hilfe kommt, zu Grunde gehen. Den in unserem eigenen Herzen sprudelnden Quell haben wir nun verstopft und uns abhängig gemacht von dem spärlichen, brackigen Wasser, das die Wüstenbeduinen aus ihren Brunnen ziehen. Keine Menschen der Welt sind so bettelarm an echter Religion wie die Semiten und wie speziell ihre Halbbrüder, die Juden; und wir, die wir auserkoren waren, die tiefste und erhabenste religiöse Weltanschauung als Licht und Leben und atmende Luft unserer gesamten Kultur zu entwickeln, wir haben uns mit eigenen Händen die Lebensader unterbunden und hinken als verkrüppelte Judenknechte hinter Jahve’s Bundeslade her! — Daher die Ausführlichkeit meines Kapitels über die Juden; es handelte sich darum, eine breite und sichere Grundlage für diese folgenschwere Erkenntnis zu gewinnen. Der zweite Teil — Die allmähliche Entstehung einer neuen Welt — hat in diesem ersten Band nur ein einziges Kapitel: »Vom Jahre 1200 bis zum Jahre 1800«. Hier befand ich mich auf einem selbst dem ungelehrten Leser ziemlich geläufigen Gebiete, und es wäre durchaus überflüssig gewesen, aus politischen Geschichten und Kulturgeschichten, die Jedem zugänglich sind, abzuschreiben. Meine Aufgabe beschränkte sich also darauf, den so überreichlich vorhandenen Stoff, den ich — eben als »Stoff« — als bekannt voraussetzen durfte, übersichtlicher zu gestalten, als dies gewöhnlich geschieht, und zwar natürlich, wiederum mit einziger Berücksichtigung des Gegenstandes dieses Werkes, nämlich des 19. Jahrhunderts. Dieses Kapitel steht auf der Grenze zwischen den beiden Bänden des Werkes: Manches, was in den vorangehenden Kapiteln nur angedeutet, nicht systematisch ausgeführt werden konnte, so z. B. die prinzipielle Bedeutung des Germanentums für unsere neue Welt und der Wert der Vorstel- lungen des Fortschrittes und der Entartung für das Verständnis der Ge-

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/41>, abgerufen am 24.04.2024.