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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
Selbst dem Kamel gegenüber ist eine derartige Prätention lächerlich,
und nie könnte es mir einfallen, diese Skizze mit formelhaften Ver-
allgemeinerungen zu schliessen, als wollte ich sagen: Le voila, le juif!
Ist doch das Thema unerschöpflich und unergründlich, habe ich doch
von meinen Aufzeichnungen und Notizen kaum den zwanzigsten Teil
verwendet! Was ich dagegen bestimmt erwarte, ist, dass, wer dieses
Kapitel 5 liest, sich befähigt fühlen wird, ein schärferes, klareres Urteil
als vorher über das Judentum und sein Erzeugnis, den Juden, zu fällen.
Aus diesem Urteil wird sich das Weitere über die Bedeutung des
Eintritts der Juden in die abendländische Geschichte von selbst ergeben.
Diesen Einfluss durch die Jahrhunderte zu verfolgen, ist nicht meine
Aufgabe. Da aber der indirekte Einfluss des Judentums auf das
Christentum ein grosser war und noch ist, und da ausserdem der
direkte Einfluss des Judentums gerade in unserem Jahrhundert (und
erst in unserem Jahrhundert) sich wie ein neues Element in der
Kulturgeschichte fühlbar gemacht hat, so dass die "jüdische Frage"
zu den brennenden unserer Zeit gehört, war ich verpflichtet, hier
die Grundlage zu einem Urteil zu legen. Weder die leidenschaftlichen
Behauptungen der Antisemiten, noch die dogmatischen Plattheiten
der Menschheitsrechtler, selbst nicht die vielen gelehrten Bücher, aus
denen ich in diesem Kapitel so reichlich geschöpft habe (die aber doch
alle nur irgend eine besondere, meist die rein theologische oder die
rein archäologische Seite beleuchten) können uns zum Ziel verhelfen.
Dass ich diese Grundlegung unternahm, war tollkühn, ich weiss es
und ich gestehe es; doch gehorchte ich dem Gebote der Not, und ich
hoffe nach klaren, richtigen Vorstellungen nicht umsonst gerungen zu
haben; denn jene Not ist eine allgemeine. Bei dieser Frage handelt
es sicht nicht allein um unsere Gegenwart, sondern auch um unsere
Zukunft.



Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
Selbst dem Kamel gegenüber ist eine derartige Prätention lächerlich,
und nie könnte es mir einfallen, diese Skizze mit formelhaften Ver-
allgemeinerungen zu schliessen, als wollte ich sagen: Le voilà, le juif!
Ist doch das Thema unerschöpflich und unergründlich, habe ich doch
von meinen Aufzeichnungen und Notizen kaum den zwanzigsten Teil
verwendet! Was ich dagegen bestimmt erwarte, ist, dass, wer dieses
Kapitel 5 liest, sich befähigt fühlen wird, ein schärferes, klareres Urteil
als vorher über das Judentum und sein Erzeugnis, den Juden, zu fällen.
Aus diesem Urteil wird sich das Weitere über die Bedeutung des
Eintritts der Juden in die abendländische Geschichte von selbst ergeben.
Diesen Einfluss durch die Jahrhunderte zu verfolgen, ist nicht meine
Aufgabe. Da aber der indirekte Einfluss des Judentums auf das
Christentum ein grosser war und noch ist, und da ausserdem der
direkte Einfluss des Judentums gerade in unserem Jahrhundert (und
erst in unserem Jahrhundert) sich wie ein neues Element in der
Kulturgeschichte fühlbar gemacht hat, so dass die »jüdische Frage«
zu den brennenden unserer Zeit gehört, war ich verpflichtet, hier
die Grundlage zu einem Urteil zu legen. Weder die leidenschaftlichen
Behauptungen der Antisemiten, noch die dogmatischen Plattheiten
der Menschheitsrechtler, selbst nicht die vielen gelehrten Bücher, aus
denen ich in diesem Kapitel so reichlich geschöpft habe (die aber doch
alle nur irgend eine besondere, meist die rein theologische oder die
rein archäologische Seite beleuchten) können uns zum Ziel verhelfen.
Dass ich diese Grundlegung unternahm, war tollkühn, ich weiss es
und ich gestehe es; doch gehorchte ich dem Gebote der Not, und ich
hoffe nach klaren, richtigen Vorstellungen nicht umsonst gerungen zu
haben; denn jene Not ist eine allgemeine. Bei dieser Frage handelt
es sicht nicht allein um unsere Gegenwart, sondern auch um unsere
Zukunft.



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[459/0482] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. Selbst dem Kamel gegenüber ist eine derartige Prätention lächerlich, und nie könnte es mir einfallen, diese Skizze mit formelhaften Ver- allgemeinerungen zu schliessen, als wollte ich sagen: Le voilà, le juif! Ist doch das Thema unerschöpflich und unergründlich, habe ich doch von meinen Aufzeichnungen und Notizen kaum den zwanzigsten Teil verwendet! Was ich dagegen bestimmt erwarte, ist, dass, wer dieses Kapitel 5 liest, sich befähigt fühlen wird, ein schärferes, klareres Urteil als vorher über das Judentum und sein Erzeugnis, den Juden, zu fällen. Aus diesem Urteil wird sich das Weitere über die Bedeutung des Eintritts der Juden in die abendländische Geschichte von selbst ergeben. Diesen Einfluss durch die Jahrhunderte zu verfolgen, ist nicht meine Aufgabe. Da aber der indirekte Einfluss des Judentums auf das Christentum ein grosser war und noch ist, und da ausserdem der direkte Einfluss des Judentums gerade in unserem Jahrhundert (und erst in unserem Jahrhundert) sich wie ein neues Element in der Kulturgeschichte fühlbar gemacht hat, so dass die »jüdische Frage« zu den brennenden unserer Zeit gehört, war ich verpflichtet, hier die Grundlage zu einem Urteil zu legen. Weder die leidenschaftlichen Behauptungen der Antisemiten, noch die dogmatischen Plattheiten der Menschheitsrechtler, selbst nicht die vielen gelehrten Bücher, aus denen ich in diesem Kapitel so reichlich geschöpft habe (die aber doch alle nur irgend eine besondere, meist die rein theologische oder die rein archäologische Seite beleuchten) können uns zum Ziel verhelfen. Dass ich diese Grundlegung unternahm, war tollkühn, ich weiss es und ich gestehe es; doch gehorchte ich dem Gebote der Not, und ich hoffe nach klaren, richtigen Vorstellungen nicht umsonst gerungen zu haben; denn jene Not ist eine allgemeine. Bei dieser Frage handelt es sicht nicht allein um unsere Gegenwart, sondern auch um unsere Zukunft.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/482>, abgerufen am 18.04.2024.