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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
dass er die Stimme des römischen Bischofs als ausschlaggebend be-
zeichnete, und der wahre Begründer des römischen Christentums als
Weltmacht ist nicht irgend ein Papst oder Kirchenvater oder ein
Concilium, sondern Kaiser Theodosius. Theodosius war es, der aus
eigener Machtvollkommenheit durch sein Edikt vom 10. Januar 381
verordnete, alle Sekten ausser der von ihm zur Staatsreligion erhobenen
seien untersagt, und der sämtliche Kirchen zu Gunsten Roms kon-
fiszierte; er war es, der das Amt eines "Reichsinquisitors" gründete,
und jede Abweichung von der von ihm dekretierten Orthodoxie mit
dem Tode bestrafte. Wie sehr aber die ganze Auffassung des Theo-
dosius eine "imperiale", nicht eine religiöse oder gar apostolische war,
geht zur Genüge aus der einen Thatsache hervor, dass Irrglaube und
Heidentum juristisch als Majestätsverbrechen bezeichnet wurden.1)
Die volle Bedeutung dieses Sachverhalts versteht man erst, wenn man
zurückblickt und gewahrt, dass zwei Jahrhunderte früher selbst ein so
feuriger Geist wie Tertullian allgemeine Toleranz gefordert hatte, indem
er meinte: ein Jeder solle Gott seiner eigenen Überzeugung gemäss
verehren, eine Religion könne der anderen nichts schaden, und wenn
man ferner sieht, dass hundertundfünfzig Jahre vor Theodosius Clemens
von Alexandrien das griechische "hairesis" noch im alten Sinne gebraucht,
nämlich zur Bezeichnung einer besonderen Schule im Gegensatz zu
anderen Schulen, ohne dass diesem Begriff ein Tadel innegewohnt
hätte.2) Die Häresie als Verbrechen ist, wie man sieht, ein Erbstück
des römischen Imperialsystems; der Gedanke kam erst auf, als die
Kaiser Christen geworden waren und er beruht, ich wiederhole es,
nicht auf religiösen Voraussetzungen, sondern auf der Vorstellung, es
sei Majestätsbeleidigung, anders zu glauben als der Kaiser glaubt.
Dieses kaiserliche Ansehen erbte später der pontifex maximus.

Sowohl über die Gewalt des echten römischen Staatsgedankens, wie
ihn die Geschichte des nur zu früh entschwundenen unvergleichlichen
Volkes klar hinstellt, wie auch über die tief eingreifenden Modifikationen,
welche diese Idee gewissermassen in ihr Gegenteil verkehrten, sobald
ihr Schöpfer, das Volk der Römer, verschwunden war, habe ich aus-

1) Ich nenne Theodosius, weil er neben dem Willen die Macht besass;
doch sein Vorgänger Gratian war es, der den Begriff der "Orthodoxie" zuerst auf-
gestellt hatte und zwar ebenfalls als rein staatliche Angelegenheit; wer nicht recht-
gläubig war, verlor sein Staatsbürgerrecht.
2) Tertullian: Ad. Scap. 2; Clemens: Stromata 7, 15 (beides nach Hatch:
a. a. O., S. 329).
40*

Religion.
dass er die Stimme des römischen Bischofs als ausschlaggebend be-
zeichnete, und der wahre Begründer des römischen Christentums als
Weltmacht ist nicht irgend ein Papst oder Kirchenvater oder ein
Concilium, sondern Kaiser Theodosius. Theodosius war es, der aus
eigener Machtvollkommenheit durch sein Edikt vom 10. Januar 381
verordnete, alle Sekten ausser der von ihm zur Staatsreligion erhobenen
seien untersagt, und der sämtliche Kirchen zu Gunsten Roms kon-
fiszierte; er war es, der das Amt eines »Reichsinquisitors« gründete,
und jede Abweichung von der von ihm dekretierten Orthodoxie mit
dem Tode bestrafte. Wie sehr aber die ganze Auffassung des Theo-
dosius eine »imperiale«, nicht eine religiöse oder gar apostolische war,
geht zur Genüge aus der einen Thatsache hervor, dass Irrglaube und
Heidentum juristisch als Majestätsverbrechen bezeichnet wurden.1)
Die volle Bedeutung dieses Sachverhalts versteht man erst, wenn man
zurückblickt und gewahrt, dass zwei Jahrhunderte früher selbst ein so
feuriger Geist wie Tertullian allgemeine Toleranz gefordert hatte, indem
er meinte: ein Jeder solle Gott seiner eigenen Überzeugung gemäss
verehren, eine Religion könne der anderen nichts schaden, und wenn
man ferner sieht, dass hundertundfünfzig Jahre vor Theodosius Clemens
von Alexandrien das griechische »hairesis« noch im alten Sinne gebraucht,
nämlich zur Bezeichnung einer besonderen Schule im Gegensatz zu
anderen Schulen, ohne dass diesem Begriff ein Tadel innegewohnt
hätte.2) Die Häresie als Verbrechen ist, wie man sieht, ein Erbstück
des römischen Imperialsystems; der Gedanke kam erst auf, als die
Kaiser Christen geworden waren und er beruht, ich wiederhole es,
nicht auf religiösen Voraussetzungen, sondern auf der Vorstellung, es
sei Majestätsbeleidigung, anders zu glauben als der Kaiser glaubt.
Dieses kaiserliche Ansehen erbte später der pontifex maximus.

Sowohl über die Gewalt des echten römischen Staatsgedankens, wie
ihn die Geschichte des nur zu früh entschwundenen unvergleichlichen
Volkes klar hinstellt, wie auch über die tief eingreifenden Modifikationen,
welche diese Idee gewissermassen in ihr Gegenteil verkehrten, sobald
ihr Schöpfer, das Volk der Römer, verschwunden war, habe ich aus-

1) Ich nenne Theodosius, weil er neben dem Willen die Macht besass;
doch sein Vorgänger Gratian war es, der den Begriff der »Orthodoxie« zuerst auf-
gestellt hatte und zwar ebenfalls als rein staatliche Angelegenheit; wer nicht recht-
gläubig war, verlor sein Staatsbürgerrecht.
2) Tertullian: Ad. Scap. 2; Clemens: Stromata 7, 15 (beides nach Hatch:
a. a. O., S. 329).
40*
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[627/0106] Religion. dass er die Stimme des römischen Bischofs als ausschlaggebend be- zeichnete, und der wahre Begründer des römischen Christentums als Weltmacht ist nicht irgend ein Papst oder Kirchenvater oder ein Concilium, sondern Kaiser Theodosius. Theodosius war es, der aus eigener Machtvollkommenheit durch sein Edikt vom 10. Januar 381 verordnete, alle Sekten ausser der von ihm zur Staatsreligion erhobenen seien untersagt, und der sämtliche Kirchen zu Gunsten Roms kon- fiszierte; er war es, der das Amt eines »Reichsinquisitors« gründete, und jede Abweichung von der von ihm dekretierten Orthodoxie mit dem Tode bestrafte. Wie sehr aber die ganze Auffassung des Theo- dosius eine »imperiale«, nicht eine religiöse oder gar apostolische war, geht zur Genüge aus der einen Thatsache hervor, dass Irrglaube und Heidentum juristisch als Majestätsverbrechen bezeichnet wurden. 1) Die volle Bedeutung dieses Sachverhalts versteht man erst, wenn man zurückblickt und gewahrt, dass zwei Jahrhunderte früher selbst ein so feuriger Geist wie Tertullian allgemeine Toleranz gefordert hatte, indem er meinte: ein Jeder solle Gott seiner eigenen Überzeugung gemäss verehren, eine Religion könne der anderen nichts schaden, und wenn man ferner sieht, dass hundertundfünfzig Jahre vor Theodosius Clemens von Alexandrien das griechische »hairesis« noch im alten Sinne gebraucht, nämlich zur Bezeichnung einer besonderen Schule im Gegensatz zu anderen Schulen, ohne dass diesem Begriff ein Tadel innegewohnt hätte. 2) Die Häresie als Verbrechen ist, wie man sieht, ein Erbstück des römischen Imperialsystems; der Gedanke kam erst auf, als die Kaiser Christen geworden waren und er beruht, ich wiederhole es, nicht auf religiösen Voraussetzungen, sondern auf der Vorstellung, es sei Majestätsbeleidigung, anders zu glauben als der Kaiser glaubt. Dieses kaiserliche Ansehen erbte später der pontifex maximus. Sowohl über die Gewalt des echten römischen Staatsgedankens, wie ihn die Geschichte des nur zu früh entschwundenen unvergleichlichen Volkes klar hinstellt, wie auch über die tief eingreifenden Modifikationen, welche diese Idee gewissermassen in ihr Gegenteil verkehrten, sobald ihr Schöpfer, das Volk der Römer, verschwunden war, habe ich aus- 1) Ich nenne Theodosius, weil er neben dem Willen die Macht besass; doch sein Vorgänger Gratian war es, der den Begriff der »Orthodoxie« zuerst auf- gestellt hatte und zwar ebenfalls als rein staatliche Angelegenheit; wer nicht recht- gläubig war, verlor sein Staatsbürgerrecht. 2) Tertullian: Ad. Scap. 2; Clemens: Stromata 7, 15 (beides nach Hatch: a. a. O., S. 329). 40*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/106>, abgerufen am 23.04.2024.