Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Kampf.
d. h. des pontifex maximus. Hierin lag zunächst und zuvörderst die
Kraft des römischen Christentums, sowohl gegen Osten, wie gegen
Norden. Dazu kam noch als Weiteres die Thatsache, dass Rom, im
geographischen Mittelpunkte des Völkerchaos gelegen und zudem fast
ausschliesslich weltlich und staatsmännisch beanlagt, den Charakter
und die Bedürfnisse der Mestizenbevölkerung genau kannte und durch
keine tiefeingewurzelten nationalen Anlagen und nationalen Gewissens-
postulate (wenn ich mich so ausdrücken darf) daran verhindert war,
nach allen Seiten Entgegenkommen zu zeigen: unter dem einen Vor-
behalt, dass sein Oberherrnrecht unbedingt anerkannt und gewahrt
blieb. Rom war also nicht allein die einzige festgefügte kirchliche
Macht des ersten Jahrtausends, sondern auch die am meisten elastische.
Nichts ist halsstarriger als ein religiöser Fanatiker; selbst der edelste
Religionsenthusiasmus wird sich nicht leicht an eine abweichende Auf-
fassung anpassen. Rom dagegen war streng und wenn es sein musste,
grausam, doch niemals wirklich fanatisch, wenigstens nicht in religiösen
Dingen und in früheren Zeiten. Die Päpste waren so tolerant, so sehr
bestrebt, Alles auszugleichen und die Kirche allen Schattierungen an-
nehmbar zu machen, dass später einige von ihnen, die schon lange
das Zeitliche gesegnet hatten, im Grabe exkommuniziert werden mussten,
der Einheitlichkeit der Doktrin zuliebe!1) Augustinus z. B., hatte seine
Not mit Papst Zosimus, der das Dogma des Peccatum originale nicht
für wichtig genug hielt, um dessentwegen den gefährlichen Kampf
mit den Pelagianern heraufzubeschwören, zumal diese gar nicht
antirömisch gesinnt waren, sondern im Gegenteil dem Papst mehr
Rechte zugestanden als ihre Gegner.2) Und wer von hier an die
Kirchengeschichte verfolgt bis zu dem grossen Streit über die Gnade
zwischen den Jesuiten und den Dominikanern im 17. Jahrhundert (im
Grunde genommen dieselbe Sache wie dort, nur am anderen Ende an-
gefasst und ohne einen Augustinus, um dem Materialismus den Riegel
vorzuschieben), und sieht, wie der Papst den Streit dadurch beizulegen
suchte, "dass er beide Systeme tolerierte (!) und den Anhängern der-
selben verbot, sich gegenseitig zu verketzern",3) wer, sage ich, mit
prüfendem Auge diese Geschichte verfolgt, wird finden, dass Rom von

1) Von mindestens einem Papste, Honorius, ist das nunmehr endgültig er-
wiesen (siehe Hefele, Döllinger u. s. w.).
2) Siehe Hefele: Konziliengeschichte, 2. Aufl. II, 114 ff. und 120 fg.
3) Brück: Lehrbuch der Kirchengeschichte, 6. Aufl., S. 744 (orthodox römisch-
katholisch).

Der Kampf.
d. h. des pontifex maximus. Hierin lag zunächst und zuvörderst die
Kraft des römischen Christentums, sowohl gegen Osten, wie gegen
Norden. Dazu kam noch als Weiteres die Thatsache, dass Rom, im
geographischen Mittelpunkte des Völkerchaos gelegen und zudem fast
ausschliesslich weltlich und staatsmännisch beanlagt, den Charakter
und die Bedürfnisse der Mestizenbevölkerung genau kannte und durch
keine tiefeingewurzelten nationalen Anlagen und nationalen Gewissens-
postulate (wenn ich mich so ausdrücken darf) daran verhindert war,
nach allen Seiten Entgegenkommen zu zeigen: unter dem einen Vor-
behalt, dass sein Oberherrnrecht unbedingt anerkannt und gewahrt
blieb. Rom war also nicht allein die einzige festgefügte kirchliche
Macht des ersten Jahrtausends, sondern auch die am meisten elastische.
Nichts ist halsstarriger als ein religiöser Fanatiker; selbst der edelste
Religionsenthusiasmus wird sich nicht leicht an eine abweichende Auf-
fassung anpassen. Rom dagegen war streng und wenn es sein musste,
grausam, doch niemals wirklich fanatisch, wenigstens nicht in religiösen
Dingen und in früheren Zeiten. Die Päpste waren so tolerant, so sehr
bestrebt, Alles auszugleichen und die Kirche allen Schattierungen an-
nehmbar zu machen, dass später einige von ihnen, die schon lange
das Zeitliche gesegnet hatten, im Grabe exkommuniziert werden mussten,
der Einheitlichkeit der Doktrin zuliebe!1) Augustinus z. B., hatte seine
Not mit Papst Zosimus, der das Dogma des Peccatum originale nicht
für wichtig genug hielt, um dessentwegen den gefährlichen Kampf
mit den Pelagianern heraufzubeschwören, zumal diese gar nicht
antirömisch gesinnt waren, sondern im Gegenteil dem Papst mehr
Rechte zugestanden als ihre Gegner.2) Und wer von hier an die
Kirchengeschichte verfolgt bis zu dem grossen Streit über die Gnade
zwischen den Jesuiten und den Dominikanern im 17. Jahrhundert (im
Grunde genommen dieselbe Sache wie dort, nur am anderen Ende an-
gefasst und ohne einen Augustinus, um dem Materialismus den Riegel
vorzuschieben), und sieht, wie der Papst den Streit dadurch beizulegen
suchte, »dass er beide Systeme tolerierte (!) und den Anhängern der-
selben verbot, sich gegenseitig zu verketzern«,3) wer, sage ich, mit
prüfendem Auge diese Geschichte verfolgt, wird finden, dass Rom von

1) Von mindestens einem Papste, Honorius, ist das nunmehr endgültig er-
wiesen (siehe Hefele, Döllinger u. s. w.).
2) Siehe Hefele: Konziliengeschichte, 2. Aufl. II, 114 ff. und 120 fg.
3) Brück: Lehrbuch der Kirchengeschichte, 6. Aufl., S. 744 (orthodox römisch-
katholisch).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="632"/><fw place="top" type="header">Der Kampf.</fw><lb/>
d. h. des <hi rendition="#i">pontifex maximus.</hi> Hierin lag zunächst und zuvörderst die<lb/>
Kraft des römischen Christentums, sowohl gegen Osten, wie gegen<lb/>
Norden. Dazu kam noch als Weiteres die Thatsache, dass Rom, im<lb/>
geographischen Mittelpunkte des Völkerchaos gelegen und zudem fast<lb/>
ausschliesslich weltlich und staatsmännisch beanlagt, den Charakter<lb/>
und die Bedürfnisse der Mestizenbevölkerung genau kannte und durch<lb/>
keine tiefeingewurzelten nationalen Anlagen und nationalen Gewissens-<lb/>
postulate (wenn ich mich so ausdrücken darf) daran verhindert war,<lb/>
nach allen Seiten Entgegenkommen zu zeigen: unter dem einen Vor-<lb/>
behalt, dass sein Oberherrnrecht unbedingt anerkannt und gewahrt<lb/>
blieb. Rom war also nicht allein die einzige festgefügte kirchliche<lb/>
Macht des ersten Jahrtausends, sondern auch die am meisten elastische.<lb/>
Nichts ist halsstarriger als ein religiöser Fanatiker; selbst der edelste<lb/>
Religionsenthusiasmus wird sich nicht leicht an eine abweichende Auf-<lb/>
fassung anpassen. Rom dagegen war streng und wenn es sein musste,<lb/>
grausam, doch niemals wirklich fanatisch, wenigstens nicht in religiösen<lb/>
Dingen und in früheren Zeiten. Die Päpste waren so tolerant, so sehr<lb/>
bestrebt, Alles auszugleichen und die Kirche allen Schattierungen an-<lb/>
nehmbar zu machen, dass später einige von ihnen, die schon lange<lb/>
das Zeitliche gesegnet hatten, im Grabe exkommuniziert werden mussten,<lb/>
der Einheitlichkeit der Doktrin zuliebe!<note place="foot" n="1)">Von mindestens einem Papste, Honorius, ist das nunmehr endgültig er-<lb/>
wiesen (siehe Hefele, Döllinger u. s. w.).</note> Augustinus z. B., hatte seine<lb/>
Not mit Papst Zosimus, der das Dogma des <hi rendition="#i">Peccatum originale</hi> nicht<lb/>
für wichtig genug hielt, um dessentwegen den gefährlichen Kampf<lb/>
mit den Pelagianern heraufzubeschwören, zumal diese gar nicht<lb/>
antirömisch gesinnt waren, sondern im Gegenteil dem Papst mehr<lb/>
Rechte zugestanden als ihre Gegner.<note place="foot" n="2)">Siehe Hefele: <hi rendition="#i">Konziliengeschichte</hi>, 2. Aufl. II, 114 ff. und 120 fg.</note> Und wer von hier an die<lb/>
Kirchengeschichte verfolgt bis zu dem grossen Streit über die Gnade<lb/>
zwischen den Jesuiten und den Dominikanern im 17. Jahrhundert (im<lb/>
Grunde genommen dieselbe Sache wie dort, nur am anderen Ende an-<lb/>
gefasst und ohne einen Augustinus, um dem Materialismus den Riegel<lb/>
vorzuschieben), und sieht, wie der Papst den Streit dadurch beizulegen<lb/>
suchte, »dass er beide Systeme tolerierte (!) und den Anhängern der-<lb/>
selben verbot, sich gegenseitig zu verketzern«,<note place="foot" n="3)">Brück: <hi rendition="#i">Lehrbuch der Kirchengeschichte,</hi> 6. Aufl., S. 744 (orthodox römisch-<lb/>
katholisch).</note> wer, sage ich, mit<lb/>
prüfendem Auge diese Geschichte verfolgt, wird finden, dass Rom von<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[632/0111] Der Kampf. d. h. des pontifex maximus. Hierin lag zunächst und zuvörderst die Kraft des römischen Christentums, sowohl gegen Osten, wie gegen Norden. Dazu kam noch als Weiteres die Thatsache, dass Rom, im geographischen Mittelpunkte des Völkerchaos gelegen und zudem fast ausschliesslich weltlich und staatsmännisch beanlagt, den Charakter und die Bedürfnisse der Mestizenbevölkerung genau kannte und durch keine tiefeingewurzelten nationalen Anlagen und nationalen Gewissens- postulate (wenn ich mich so ausdrücken darf) daran verhindert war, nach allen Seiten Entgegenkommen zu zeigen: unter dem einen Vor- behalt, dass sein Oberherrnrecht unbedingt anerkannt und gewahrt blieb. Rom war also nicht allein die einzige festgefügte kirchliche Macht des ersten Jahrtausends, sondern auch die am meisten elastische. Nichts ist halsstarriger als ein religiöser Fanatiker; selbst der edelste Religionsenthusiasmus wird sich nicht leicht an eine abweichende Auf- fassung anpassen. Rom dagegen war streng und wenn es sein musste, grausam, doch niemals wirklich fanatisch, wenigstens nicht in religiösen Dingen und in früheren Zeiten. Die Päpste waren so tolerant, so sehr bestrebt, Alles auszugleichen und die Kirche allen Schattierungen an- nehmbar zu machen, dass später einige von ihnen, die schon lange das Zeitliche gesegnet hatten, im Grabe exkommuniziert werden mussten, der Einheitlichkeit der Doktrin zuliebe! 1) Augustinus z. B., hatte seine Not mit Papst Zosimus, der das Dogma des Peccatum originale nicht für wichtig genug hielt, um dessentwegen den gefährlichen Kampf mit den Pelagianern heraufzubeschwören, zumal diese gar nicht antirömisch gesinnt waren, sondern im Gegenteil dem Papst mehr Rechte zugestanden als ihre Gegner. 2) Und wer von hier an die Kirchengeschichte verfolgt bis zu dem grossen Streit über die Gnade zwischen den Jesuiten und den Dominikanern im 17. Jahrhundert (im Grunde genommen dieselbe Sache wie dort, nur am anderen Ende an- gefasst und ohne einen Augustinus, um dem Materialismus den Riegel vorzuschieben), und sieht, wie der Papst den Streit dadurch beizulegen suchte, »dass er beide Systeme tolerierte (!) und den Anhängern der- selben verbot, sich gegenseitig zu verketzern«, 3) wer, sage ich, mit prüfendem Auge diese Geschichte verfolgt, wird finden, dass Rom von 1) Von mindestens einem Papste, Honorius, ist das nunmehr endgültig er- wiesen (siehe Hefele, Döllinger u. s. w.). 2) Siehe Hefele: Konziliengeschichte, 2. Aufl. II, 114 ff. und 120 fg. 3) Brück: Lehrbuch der Kirchengeschichte, 6. Aufl., S. 744 (orthodox römisch- katholisch).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/111
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/111>, abgerufen am 19.04.2024.