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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
Buddhismus, und versteht es, allen Charakteren, allen Geistes- und
Herzensanlagen eine Heimat, eine civitas Dei zu bereiten, in welcher
der Skeptiker, der (gleich manchem Papste) kaum Christ zu nennen
ist,1) Hand in Hand geht mit dem in heidnischen Superstitionen be-
fangenen Durchschnittsgeist und mit dem innigsten Schwärmer, z. B.
einem Bernard von Clairvaux, "dessen Seele sich berauscht in der Fülle
des Hauses Gottes und neuen Wein mit Christo im Reiche seines Vaters
trinkt".2) Wozu dann noch der verführerisch hinreissende Welt- und
Staatsgedanke kommt, der schwer in die Wagschale fällt; denn als organi-
satorisches System, als Macht der Tradition, als Kenner des Menschen-
herzens ist Rom gross und bewundernswert, mehr fast als man in
Worten sagen kann. Selbst ein Luther soll erklärt haben (Tischreden):
"Was das äusserliche Regiment anbelangt, ist des Papstes Reich am
besten für die Welt". Ein einzelner David -- stark in der unschuldig-
reinen Empörung eines echten Indoeuropäers gegen die unserem
Menschenstamme angethane Schmach -- könnte vielleicht solchen
Goliath zu Boden strecken, doch nicht ein ganzes Heer von philoso-
phierenden Liliputanern. Auch wäre sein Tod auf keinen Fall zu
wünschen; denn unser germanisches Christentum wird und kann nicht
die Religion des Völkerchaos sein; der Wahngedanke einer Weltreligion
ist schon an und für sich chronistischer und sakramentaler Materialismus;
er haftet der protestantischen Kirche aus ihrer römischen Vergangenheit
wie ein Siechtum an; nur in der Beschränkung können wir zum Voll-
besitz unserer idealisierenden Kraft erwachsen.

Ein klares Verständnis der folgenschweren Kämpfe auf dem Ge-
biete der Religion in unserem Jahrhundert und in der heraneilenden
Zukunft ist unmöglich, wenn der Vorstellung nicht ein in seinen

1) In dem posthumen Prozess gegen Bonifaz VIII. wurde von vielen kirch-
lichen Würdenträgern eidlich erhärtet, dieser mächtigste aller Päpste habe über die
Vorstellung von Himmel und Hölle gelacht und von Jesus Christus gesagt, er sei
ein sehr kluger Mensch gewesen, weiter nichts. Hefele ist geneigt, gerade diese
Beschuldigungen für nicht unbegründet zu halten (siehe a. a. O., VI, 461 und die
vorangehende Darstellung). Und dennoch -- oder vielmehr deswegen -- hat gerade
Bonifaz VIII. so klar wie fast Keiner vor oder nach ihm den Kern des römischen
Gedankens erfasst und in seiner berühmten Bulle Unam sanctam, auf welcher der
heutige Katholizismus wie auf einem Grundstein ruht, zum Ausdruck gebracht.
(Über diese Bulle Näheres im folgenden Kapitel). Übrigens weist Sainte-Beuve in
seinem Port-Royal (livre III, ch. 3) überzeugend nach, man könne "ein sehr guter
Katholik und zugleich kaum ein Christ ein".
2) Helfferich: Christliche Mystik, 1842, II, 231.

Der Kampf.
Buddhismus, und versteht es, allen Charakteren, allen Geistes- und
Herzensanlagen eine Heimat, eine civitas Dei zu bereiten, in welcher
der Skeptiker, der (gleich manchem Papste) kaum Christ zu nennen
ist,1) Hand in Hand geht mit dem in heidnischen Superstitionen be-
fangenen Durchschnittsgeist und mit dem innigsten Schwärmer, z. B.
einem Bernard von Clairvaux, »dessen Seele sich berauscht in der Fülle
des Hauses Gottes und neuen Wein mit Christo im Reiche seines Vaters
trinkt«.2) Wozu dann noch der verführerisch hinreissende Welt- und
Staatsgedanke kommt, der schwer in die Wagschale fällt; denn als organi-
satorisches System, als Macht der Tradition, als Kenner des Menschen-
herzens ist Rom gross und bewundernswert, mehr fast als man in
Worten sagen kann. Selbst ein Luther soll erklärt haben (Tischreden):
»Was das äusserliche Regiment anbelangt, ist des Papstes Reich am
besten für die Welt«. Ein einzelner David — stark in der unschuldig-
reinen Empörung eines echten Indoeuropäers gegen die unserem
Menschenstamme angethane Schmach — könnte vielleicht solchen
Goliath zu Boden strecken, doch nicht ein ganzes Heer von philoso-
phierenden Liliputanern. Auch wäre sein Tod auf keinen Fall zu
wünschen; denn unser germanisches Christentum wird und kann nicht
die Religion des Völkerchaos sein; der Wahngedanke einer Weltreligion
ist schon an und für sich chronistischer und sakramentaler Materialismus;
er haftet der protestantischen Kirche aus ihrer römischen Vergangenheit
wie ein Siechtum an; nur in der Beschränkung können wir zum Voll-
besitz unserer idealisierenden Kraft erwachsen.

Ein klares Verständnis der folgenschweren Kämpfe auf dem Ge-
biete der Religion in unserem Jahrhundert und in der heraneilenden
Zukunft ist unmöglich, wenn der Vorstellung nicht ein in seinen

1) In dem posthumen Prozess gegen Bonifaz VIII. wurde von vielen kirch-
lichen Würdenträgern eidlich erhärtet, dieser mächtigste aller Päpste habe über die
Vorstellung von Himmel und Hölle gelacht und von Jesus Christus gesagt, er sei
ein sehr kluger Mensch gewesen, weiter nichts. Hefele ist geneigt, gerade diese
Beschuldigungen für nicht unbegründet zu halten (siehe a. a. O., VI, 461 und die
vorangehende Darstellung). Und dennoch — oder vielmehr deswegen — hat gerade
Bonifaz VIII. so klar wie fast Keiner vor oder nach ihm den Kern des römischen
Gedankens erfasst und in seiner berühmten Bulle Unam sanctam, auf welcher der
heutige Katholizismus wie auf einem Grundstein ruht, zum Ausdruck gebracht.
(Über diese Bulle Näheres im folgenden Kapitel). Übrigens weist Sainte-Beuve in
seinem Port-Royal (livre III, ch. 3) überzeugend nach, man könne »ein sehr guter
Katholik und zugleich kaum ein Christ ein«.
2) Helfferich: Christliche Mystik, 1842, II, 231.
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[646/0125] Der Kampf. Buddhismus, und versteht es, allen Charakteren, allen Geistes- und Herzensanlagen eine Heimat, eine civitas Dei zu bereiten, in welcher der Skeptiker, der (gleich manchem Papste) kaum Christ zu nennen ist, 1) Hand in Hand geht mit dem in heidnischen Superstitionen be- fangenen Durchschnittsgeist und mit dem innigsten Schwärmer, z. B. einem Bernard von Clairvaux, »dessen Seele sich berauscht in der Fülle des Hauses Gottes und neuen Wein mit Christo im Reiche seines Vaters trinkt«. 2) Wozu dann noch der verführerisch hinreissende Welt- und Staatsgedanke kommt, der schwer in die Wagschale fällt; denn als organi- satorisches System, als Macht der Tradition, als Kenner des Menschen- herzens ist Rom gross und bewundernswert, mehr fast als man in Worten sagen kann. Selbst ein Luther soll erklärt haben (Tischreden): »Was das äusserliche Regiment anbelangt, ist des Papstes Reich am besten für die Welt«. Ein einzelner David — stark in der unschuldig- reinen Empörung eines echten Indoeuropäers gegen die unserem Menschenstamme angethane Schmach — könnte vielleicht solchen Goliath zu Boden strecken, doch nicht ein ganzes Heer von philoso- phierenden Liliputanern. Auch wäre sein Tod auf keinen Fall zu wünschen; denn unser germanisches Christentum wird und kann nicht die Religion des Völkerchaos sein; der Wahngedanke einer Weltreligion ist schon an und für sich chronistischer und sakramentaler Materialismus; er haftet der protestantischen Kirche aus ihrer römischen Vergangenheit wie ein Siechtum an; nur in der Beschränkung können wir zum Voll- besitz unserer idealisierenden Kraft erwachsen. Ein klares Verständnis der folgenschweren Kämpfe auf dem Ge- biete der Religion in unserem Jahrhundert und in der heraneilenden Zukunft ist unmöglich, wenn der Vorstellung nicht ein in seinen 1) In dem posthumen Prozess gegen Bonifaz VIII. wurde von vielen kirch- lichen Würdenträgern eidlich erhärtet, dieser mächtigste aller Päpste habe über die Vorstellung von Himmel und Hölle gelacht und von Jesus Christus gesagt, er sei ein sehr kluger Mensch gewesen, weiter nichts. Hefele ist geneigt, gerade diese Beschuldigungen für nicht unbegründet zu halten (siehe a. a. O., VI, 461 und die vorangehende Darstellung). Und dennoch — oder vielmehr deswegen — hat gerade Bonifaz VIII. so klar wie fast Keiner vor oder nach ihm den Kern des römischen Gedankens erfasst und in seiner berühmten Bulle Unam sanctam, auf welcher der heutige Katholizismus wie auf einem Grundstein ruht, zum Ausdruck gebracht. (Über diese Bulle Näheres im folgenden Kapitel). Übrigens weist Sainte-Beuve in seinem Port-Royal (livre III, ch. 3) überzeugend nach, man könne »ein sehr guter Katholik und zugleich kaum ein Christ ein«. 2) Helfferich: Christliche Mystik, 1842, II, 231.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/125>, abgerufen am 25.04.2024.