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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Staat.
Idee anzugehören; die Kaiser hatten es bei strengster Strafe befohlen.
Auf diese Art erweiterte sich der frühere, grundsätzlich beschränkte
römische Gedanke zu dem eines Universalimperiums; und da zwar die
Politik den Organismus abgab, die Kirche aber die gebieterische Idee
der Universalität, so ist es wohl nur natürlich, dass nach und nach aus
dem Imperium eine Theokratie wurde und der Hohepriester bald sich
das Diadema imperii aufs Haupt setzte.1)

Worauf ich nun gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit lenken
möchte, ist, dass es doch nicht angeht, in irgend einem Kaiser -- und
sei er auch ein Heinrich IV. -- den Vertreter und Verfechter der welt-
lichen Gewalt im Gegensatz zur kirchlichen zu erblicken. Die Essenz
des christlich-römischen Kaisertums ist die Idee der Universalgewalt.
Nun stammt aber, wie wir sahen, diese Idee nicht vom alten Rom;
die Religion war es, die das neue Prinzip gebracht hatte: die offenbarte
Wahrheit, das Reich Gottes auf Erden, eine rein ideale, nämlich auf
Ideen gegründete, durch Ideen die Menschen beherrschende Gewalt.
Freilich hatten die Kaiser dieses Prinzip im Interesse ihrer Herrschaft
gewissermassen säkularisiert, doch sobald sie es überhaupt aufnahmen,
hatten sie sich ihm zugleich verdungen. Ein Kaiser, der nicht ein
Angehöriger der römischen Kirche, der nicht ein Haupt und Hort
des Universalismus der Religion gewesen wäre, wäre kein Kaiser ge-
wesen. Ein Streit zwischen Kaiser und Papst ist also immer ein Streit
innerhalb der Kirche; der eine will dem Regnum, der andere dem
Sacerdotium mehr Einfluss eingeräumt wissen; doch bleibt der Traum
des Universalismus ihnen beiden gemeinsam, ebenso die Treue gegen
jene kaiserlich-römische Kirche, welche berufen sein sollte, den allver-
bindenden Seelenkitt des Weltreiches abzugeben. Einmal ernennt der
Kaiser den Papst "aus kaiserlicher Machtvollkommenheit" (wie 999
Otto III. Sylvester II.), ist also er unbestrittener Autokrat; ein anderes
Mal krönt der Papst den Kaiser "aus der Fülle päpstlicher Macht" (wie
1131 Innocenz II. Lothar); ursprünglich ernennen die Kaiser (resp.
die Landesfürsten) alle Bischöfe, später beanspruchen die Päpste dieses

1) Welcher Papst den Doppelreifen zuerst um die Tiara geschlungen hat,
ist noch eine strittige Frage; jedenfalls geschah es im 11. oder 12. Jahrhundert.
Der eine Ring trug die Inschrift: Corona regni de manu Dei, der andere: Diadema
imperii de manu Petri.
Heute trägt die päpstliche Krone einen dritten Goldreifen;
nach dem strengkatholischen Wolfgang Menzel (Christliche Symbolik, 1854, I, 531)
wird durch diese drei Reifen die Herrschaft der römischen Kirche über Erde, Hölle
und Himmel symbolisiert. Weiter kann kein Imperialismus reichen.

Staat.
Idee anzugehören; die Kaiser hatten es bei strengster Strafe befohlen.
Auf diese Art erweiterte sich der frühere, grundsätzlich beschränkte
römische Gedanke zu dem eines Universalimperiums; und da zwar die
Politik den Organismus abgab, die Kirche aber die gebieterische Idee
der Universalität, so ist es wohl nur natürlich, dass nach und nach aus
dem Imperium eine Theokratie wurde und der Hohepriester bald sich
das Diadema imperii aufs Haupt setzte.1)

Worauf ich nun gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit lenken
möchte, ist, dass es doch nicht angeht, in irgend einem Kaiser — und
sei er auch ein Heinrich IV. — den Vertreter und Verfechter der welt-
lichen Gewalt im Gegensatz zur kirchlichen zu erblicken. Die Essenz
des christlich-römischen Kaisertums ist die Idee der Universalgewalt.
Nun stammt aber, wie wir sahen, diese Idee nicht vom alten Rom;
die Religion war es, die das neue Prinzip gebracht hatte: die offenbarte
Wahrheit, das Reich Gottes auf Erden, eine rein ideale, nämlich auf
Ideen gegründete, durch Ideen die Menschen beherrschende Gewalt.
Freilich hatten die Kaiser dieses Prinzip im Interesse ihrer Herrschaft
gewissermassen säkularisiert, doch sobald sie es überhaupt aufnahmen,
hatten sie sich ihm zugleich verdungen. Ein Kaiser, der nicht ein
Angehöriger der römischen Kirche, der nicht ein Haupt und Hort
des Universalismus der Religion gewesen wäre, wäre kein Kaiser ge-
wesen. Ein Streit zwischen Kaiser und Papst ist also immer ein Streit
innerhalb der Kirche; der eine will dem Regnum, der andere dem
Sacerdotium mehr Einfluss eingeräumt wissen; doch bleibt der Traum
des Universalismus ihnen beiden gemeinsam, ebenso die Treue gegen
jene kaiserlich-römische Kirche, welche berufen sein sollte, den allver-
bindenden Seelenkitt des Weltreiches abzugeben. Einmal ernennt der
Kaiser den Papst »aus kaiserlicher Machtvollkommenheit« (wie 999
Otto III. Sylvester II.), ist also er unbestrittener Autokrat; ein anderes
Mal krönt der Papst den Kaiser »aus der Fülle päpstlicher Macht« (wie
1131 Innocenz II. Lothar); ursprünglich ernennen die Kaiser (resp.
die Landesfürsten) alle Bischöfe, später beanspruchen die Päpste dieses

1) Welcher Papst den Doppelreifen zuerst um die Tiara geschlungen hat,
ist noch eine strittige Frage; jedenfalls geschah es im 11. oder 12. Jahrhundert.
Der eine Ring trug die Inschrift: Corona regni de manu Dei, der andere: Diadema
imperii de manu Petri.
Heute trägt die päpstliche Krone einen dritten Goldreifen;
nach dem strengkatholischen Wolfgang Menzel (Christliche Symbolik, 1854, I, 531)
wird durch diese drei Reifen die Herrschaft der römischen Kirche über Erde, Hölle
und Himmel symbolisiert. Weiter kann kein Imperialismus reichen.
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[653/0132] Staat. Idee anzugehören; die Kaiser hatten es bei strengster Strafe befohlen. Auf diese Art erweiterte sich der frühere, grundsätzlich beschränkte römische Gedanke zu dem eines Universalimperiums; und da zwar die Politik den Organismus abgab, die Kirche aber die gebieterische Idee der Universalität, so ist es wohl nur natürlich, dass nach und nach aus dem Imperium eine Theokratie wurde und der Hohepriester bald sich das Diadema imperii aufs Haupt setzte. 1) Worauf ich nun gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist, dass es doch nicht angeht, in irgend einem Kaiser — und sei er auch ein Heinrich IV. — den Vertreter und Verfechter der welt- lichen Gewalt im Gegensatz zur kirchlichen zu erblicken. Die Essenz des christlich-römischen Kaisertums ist die Idee der Universalgewalt. Nun stammt aber, wie wir sahen, diese Idee nicht vom alten Rom; die Religion war es, die das neue Prinzip gebracht hatte: die offenbarte Wahrheit, das Reich Gottes auf Erden, eine rein ideale, nämlich auf Ideen gegründete, durch Ideen die Menschen beherrschende Gewalt. Freilich hatten die Kaiser dieses Prinzip im Interesse ihrer Herrschaft gewissermassen säkularisiert, doch sobald sie es überhaupt aufnahmen, hatten sie sich ihm zugleich verdungen. Ein Kaiser, der nicht ein Angehöriger der römischen Kirche, der nicht ein Haupt und Hort des Universalismus der Religion gewesen wäre, wäre kein Kaiser ge- wesen. Ein Streit zwischen Kaiser und Papst ist also immer ein Streit innerhalb der Kirche; der eine will dem Regnum, der andere dem Sacerdotium mehr Einfluss eingeräumt wissen; doch bleibt der Traum des Universalismus ihnen beiden gemeinsam, ebenso die Treue gegen jene kaiserlich-römische Kirche, welche berufen sein sollte, den allver- bindenden Seelenkitt des Weltreiches abzugeben. Einmal ernennt der Kaiser den Papst »aus kaiserlicher Machtvollkommenheit« (wie 999 Otto III. Sylvester II.), ist also er unbestrittener Autokrat; ein anderes Mal krönt der Papst den Kaiser »aus der Fülle päpstlicher Macht« (wie 1131 Innocenz II. Lothar); ursprünglich ernennen die Kaiser (resp. die Landesfürsten) alle Bischöfe, später beanspruchen die Päpste dieses 1) Welcher Papst den Doppelreifen zuerst um die Tiara geschlungen hat, ist noch eine strittige Frage; jedenfalls geschah es im 11. oder 12. Jahrhundert. Der eine Ring trug die Inschrift: Corona regni de manu Dei, der andere: Diadema imperii de manu Petri. Heute trägt die päpstliche Krone einen dritten Goldreifen; nach dem strengkatholischen Wolfgang Menzel (Christliche Symbolik, 1854, I, 531) wird durch diese drei Reifen die Herrschaft der römischen Kirche über Erde, Hölle und Himmel symbolisiert. Weiter kann kein Imperialismus reichen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/132>, abgerufen am 25.04.2024.