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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Staat.
hellte ein starker, klarer Geist, politisch und juristisch hochgebildet,
diese Wirrnis geschichtlicher Trugschlüsse und abstrakter Hirngespinste
auf; es geschah gerade an der Grenze der Epoche, von der ich hier
spreche, am Schlusse des 13. Jahrhunderts.1) Schon in seiner Bulle
Ineffabilis hatte Bonifaz VIII. die unbedingte Freiheit der Kirche ge-
fordert: bedingungslose Freiheit heisst unbeschränkte Macht. Doch die
Lehre von den beiden Schwertern hatte schon so arge Verwüstungen
in der Denkkraft der Fürsten angerichtet, dass sie gar nicht mehr
daran dachten, das zweite Schwert sei bestenfalls in der unmittelbaren
Gewalt des Kaisers; nein, jeder einzelne Fürst wollte es unabhängig
führen und die göttliche Monarchie artete dadurch in eine um so
bedenklichere Polyarchie aus, als jeder Principiculus sich die kaiserliche
Theorie angeeignet hatte und sich als einen direkt von Gott eingesetzten
unumschränkten Gewalthaber betrachtete. Man kann mit den Fürsten
sympathisieren, denn sie bereiteten die Nationen, doch ihre Theorie
des "Gottesgnadentums" ist einfach absurd, absurd, wenn sie innerhalb
des römischen Universalsystems, d. h. also in der katholischen Kirche
verblieben, und doppelt absurd, wenn sie sich von dem grossartigen
Gedanken der einen einzigen von Gott gewollten civitas Dei lossagten.
Dieser Konfusion suchte nun Bonifaz VIII. durch seine ewig denk-
würdige Bulle, Unam sanctam, ein Ende zu bereiten. Jeder Laie sollte
sie kennen, denn was auch inzwischen geschehen sein oder in Zukunft
noch geschehen mag, die Logik der universal-theokratischen Idee2) wird
die römische Kirche immer mit Notwendigkeit zu der Auffassung der
unbeschränkten Gewalt der Kirche und ihres geistlichen Oberhauptes
zurückführen. Zuerst setzt Bonifaz auseinander, es könne nur eine Kirche
geben -- dies wäre derjenige Punkt, wo man ihm gleich widersprechen
müsste, denn aus ihm folgt alles Übrige mit logischer Notwendigkeit.
Dann kommt das entscheidende und, wie die Geschichte lehrt, wahre
Wort: "Diese eine Kirche hat nur ein Haupt, nicht zwei Köpfe
gleich einem Monstrum!
" Hat sie aber nur ein Haupt, so müssen ihm
beide Schwerter, das geistliche und das weltliche, unterthan sein: "Beide
Schwerter sind also in der Gewalt der Kirche, das geistliche und das
weltliche; dieses muss für die Kirche, jenes von der Kirche gehandhabt
werden; das eine von der Priesterschaft, das andere von den Königen

1) Dante hat es folglich erlebt, doch, wie es scheint, nicht zu würdigen,
noch daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen gewusst.
2) Nicht zu verwechseln mit dem National-Theokratismus, für den die Ge-
schichte manche Beispiele (in erster Reihe das Judentum) bietet.

Staat.
hellte ein starker, klarer Geist, politisch und juristisch hochgebildet,
diese Wirrnis geschichtlicher Trugschlüsse und abstrakter Hirngespinste
auf; es geschah gerade an der Grenze der Epoche, von der ich hier
spreche, am Schlusse des 13. Jahrhunderts.1) Schon in seiner Bulle
Ineffabilis hatte Bonifaz VIII. die unbedingte Freiheit der Kirche ge-
fordert: bedingungslose Freiheit heisst unbeschränkte Macht. Doch die
Lehre von den beiden Schwertern hatte schon so arge Verwüstungen
in der Denkkraft der Fürsten angerichtet, dass sie gar nicht mehr
daran dachten, das zweite Schwert sei bestenfalls in der unmittelbaren
Gewalt des Kaisers; nein, jeder einzelne Fürst wollte es unabhängig
führen und die göttliche Monarchie artete dadurch in eine um so
bedenklichere Polyarchie aus, als jeder Principiculus sich die kaiserliche
Theorie angeeignet hatte und sich als einen direkt von Gott eingesetzten
unumschränkten Gewalthaber betrachtete. Man kann mit den Fürsten
sympathisieren, denn sie bereiteten die Nationen, doch ihre Theorie
des »Gottesgnadentums« ist einfach absurd, absurd, wenn sie innerhalb
des römischen Universalsystems, d. h. also in der katholischen Kirche
verblieben, und doppelt absurd, wenn sie sich von dem grossartigen
Gedanken der einen einzigen von Gott gewollten civitas Dei lossagten.
Dieser Konfusion suchte nun Bonifaz VIII. durch seine ewig denk-
würdige Bulle, Unam sanctam, ein Ende zu bereiten. Jeder Laie sollte
sie kennen, denn was auch inzwischen geschehen sein oder in Zukunft
noch geschehen mag, die Logik der universal-theokratischen Idee2) wird
die römische Kirche immer mit Notwendigkeit zu der Auffassung der
unbeschränkten Gewalt der Kirche und ihres geistlichen Oberhauptes
zurückführen. Zuerst setzt Bonifaz auseinander, es könne nur eine Kirche
geben — dies wäre derjenige Punkt, wo man ihm gleich widersprechen
müsste, denn aus ihm folgt alles Übrige mit logischer Notwendigkeit.
Dann kommt das entscheidende und, wie die Geschichte lehrt, wahre
Wort: »Diese eine Kirche hat nur ein Haupt, nicht zwei Köpfe
gleich einem Monstrum!
« Hat sie aber nur ein Haupt, so müssen ihm
beide Schwerter, das geistliche und das weltliche, unterthan sein: »Beide
Schwerter sind also in der Gewalt der Kirche, das geistliche und das
weltliche; dieses muss für die Kirche, jenes von der Kirche gehandhabt
werden; das eine von der Priesterschaft, das andere von den Königen

1) Dante hat es folglich erlebt, doch, wie es scheint, nicht zu würdigen,
noch daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen gewusst.
2) Nicht zu verwechseln mit dem National-Theokratismus, für den die Ge-
schichte manche Beispiele (in erster Reihe das Judentum) bietet.
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[657/0136] Staat. hellte ein starker, klarer Geist, politisch und juristisch hochgebildet, diese Wirrnis geschichtlicher Trugschlüsse und abstrakter Hirngespinste auf; es geschah gerade an der Grenze der Epoche, von der ich hier spreche, am Schlusse des 13. Jahrhunderts. 1) Schon in seiner Bulle Ineffabilis hatte Bonifaz VIII. die unbedingte Freiheit der Kirche ge- fordert: bedingungslose Freiheit heisst unbeschränkte Macht. Doch die Lehre von den beiden Schwertern hatte schon so arge Verwüstungen in der Denkkraft der Fürsten angerichtet, dass sie gar nicht mehr daran dachten, das zweite Schwert sei bestenfalls in der unmittelbaren Gewalt des Kaisers; nein, jeder einzelne Fürst wollte es unabhängig führen und die göttliche Monarchie artete dadurch in eine um so bedenklichere Polyarchie aus, als jeder Principiculus sich die kaiserliche Theorie angeeignet hatte und sich als einen direkt von Gott eingesetzten unumschränkten Gewalthaber betrachtete. Man kann mit den Fürsten sympathisieren, denn sie bereiteten die Nationen, doch ihre Theorie des »Gottesgnadentums« ist einfach absurd, absurd, wenn sie innerhalb des römischen Universalsystems, d. h. also in der katholischen Kirche verblieben, und doppelt absurd, wenn sie sich von dem grossartigen Gedanken der einen einzigen von Gott gewollten civitas Dei lossagten. Dieser Konfusion suchte nun Bonifaz VIII. durch seine ewig denk- würdige Bulle, Unam sanctam, ein Ende zu bereiten. Jeder Laie sollte sie kennen, denn was auch inzwischen geschehen sein oder in Zukunft noch geschehen mag, die Logik der universal-theokratischen Idee 2) wird die römische Kirche immer mit Notwendigkeit zu der Auffassung der unbeschränkten Gewalt der Kirche und ihres geistlichen Oberhauptes zurückführen. Zuerst setzt Bonifaz auseinander, es könne nur eine Kirche geben — dies wäre derjenige Punkt, wo man ihm gleich widersprechen müsste, denn aus ihm folgt alles Übrige mit logischer Notwendigkeit. Dann kommt das entscheidende und, wie die Geschichte lehrt, wahre Wort: »Diese eine Kirche hat nur ein Haupt, nicht zwei Köpfe gleich einem Monstrum!« Hat sie aber nur ein Haupt, so müssen ihm beide Schwerter, das geistliche und das weltliche, unterthan sein: »Beide Schwerter sind also in der Gewalt der Kirche, das geistliche und das weltliche; dieses muss für die Kirche, jenes von der Kirche gehandhabt werden; das eine von der Priesterschaft, das andere von den Königen 1) Dante hat es folglich erlebt, doch, wie es scheint, nicht zu würdigen, noch daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen gewusst. 2) Nicht zu verwechseln mit dem National-Theokratismus, für den die Ge- schichte manche Beispiele (in erster Reihe das Judentum) bietet.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/136>, abgerufen am 29.03.2024.