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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Staat.
den Akten des Wiener Kongresses hat sie ihre Zustimmung ver-
sagt. -- -- -- Auch über die aussereuropäische Welt hat die Kirche
mit lobenswerter Konsequenz die alleinige Verfügung beansprucht und
z. B. Spanien durch zwei Bullen vom 3. und 4. Mai 1493 "im
Namen Gottes" alle entdeckten oder noch zu entdeckenden Länder
westlich des 25. Längengrades (westlich von Greenwich) auf ewige
Zeiten geschenkt, den Portugiesen Afrika, u. s. w.1)

Mit Absicht beschränke ich mich auf diese wenigen Andeutungen
und Citate, den Büchern entnommen, die meine bescheidene Bücher-
sammlung umfasst; ich brauchte nur in eine öffentliche Bibliothek zu
gehen, um hunderten von vielleicht noch treffenderen Belegen auf die
Spur zu kommen; so entsinne ich mich z. B., dass in späteren Bullen
der Satz, der Papst besitze "über alle Völker, Reiche und Fürsten die
Fülle der Gewalt", mit geringen Abweichungen in fast formelhafter
Weise wiederkehrt; doch bin ich weit entfernt, einen wissenschaftlichen
Beweis erbringen zu wollen, ganz im Gegenteil möchte ich dem Leser
die Überzeugung geben, dass es hier gar nicht darauf ankommt, was

Worten, der Kaiser blieb der römisch-universalistischen Vorstellung treu. (Man lese
hierüber die Ausführungen in Siegel: Deutsche Rechtsgeschichte, § 100.)
1) Papst Alexander VI. sagt in diesen Bullen, die Schenkung geschehe "aus
reiner Freigebigkeit" und "kraft der Autorität des allmächtigen Gottes, ihm durch
den heiligen Petrus übergeben". (Vergl. die Anmerkung auf S. 653.) Weiter kann
die unbedingte Verfügung über alles Zeitliche nicht gehen, es sei denn, dass
Jemand sich die Allgewalt beilegte, auch den Mond zu verschenken. -- Die Bulle
Inter Cetera vom 4. Mai 1493 findet man abgedruckt in extenso in Fiske's Discovery
of America
, 1892, II, 580 fg. Daselbst im ersten Bande, S. 454 fg., findet man
eine ausführliche Darlegung der begleitenden Umstände u. s. w., zugleich eine
eingehende Erörterung der durch die Undeutlichkeit des päpstlichen Textes ent-
standenen Schwierigkeiten. Der Pontifex maximus nämlich, obwohl er erklärt "ex
certa scientia"
zu reden, verleiht den Spaniern alle entdeckten und noch zu ent-
deckenden Länder (omnes insulas et terras firmas inventas et inveniendas, detectas et
detegendas),
welche westlich und südlich (versus Occidentem et Meridiem) eines be-
stimmten Längengrades liegen; nun hat aber bisher kein Mathematiker entdecken
können, welche geographische Gegend "südlich" von einem "Längengrad" liegt;
und dass der Papst wirklich einen Längengrad meint, kann nicht in Frage gestellt
werden, da er mit naiver Umständlichkeit sagt: "fabricando et construendo unam
lineam a polo Arctico ad polum Antarcticum".
Diese von einer krass unwissenden
Kurie verfügte Schenkung übte übrigens eine von ihr gar nicht vorhergesehene
Wirkung aus, indem sie die Spanier zwang, immer weiter nach Westen zu suchen,
bis sie die Magalhanesstrasse fanden, die Portugiesen aber nötigte, den Ostweg nach
Indien um das Kap der guten Hoffnung herum zu entdecken. Näheres hierüber in
dem Abschnitt "Entdeckung" des folgenden Kapitels.

Staat.
den Akten des Wiener Kongresses hat sie ihre Zustimmung ver-
sagt. — — — Auch über die aussereuropäische Welt hat die Kirche
mit lobenswerter Konsequenz die alleinige Verfügung beansprucht und
z. B. Spanien durch zwei Bullen vom 3. und 4. Mai 1493 »im
Namen Gottes« alle entdeckten oder noch zu entdeckenden Länder
westlich des 25. Längengrades (westlich von Greenwich) auf ewige
Zeiten geschenkt, den Portugiesen Afrika, u. s. w.1)

Mit Absicht beschränke ich mich auf diese wenigen Andeutungen
und Citate, den Büchern entnommen, die meine bescheidene Bücher-
sammlung umfasst; ich brauchte nur in eine öffentliche Bibliothek zu
gehen, um hunderten von vielleicht noch treffenderen Belegen auf die
Spur zu kommen; so entsinne ich mich z. B., dass in späteren Bullen
der Satz, der Papst besitze »über alle Völker, Reiche und Fürsten die
Fülle der Gewalt«, mit geringen Abweichungen in fast formelhafter
Weise wiederkehrt; doch bin ich weit entfernt, einen wissenschaftlichen
Beweis erbringen zu wollen, ganz im Gegenteil möchte ich dem Leser
die Überzeugung geben, dass es hier gar nicht darauf ankommt, was

Worten, der Kaiser blieb der römisch-universalistischen Vorstellung treu. (Man lese
hierüber die Ausführungen in Siegel: Deutsche Rechtsgeschichte, § 100.)
1) Papst Alexander VI. sagt in diesen Bullen, die Schenkung geschehe »aus
reiner Freigebigkeit« und »kraft der Autorität des allmächtigen Gottes, ihm durch
den heiligen Petrus übergeben«. (Vergl. die Anmerkung auf S. 653.) Weiter kann
die unbedingte Verfügung über alles Zeitliche nicht gehen, es sei denn, dass
Jemand sich die Allgewalt beilegte, auch den Mond zu verschenken. — Die Bulle
Inter Cetera vom 4. Mai 1493 findet man abgedruckt in extenso in Fiske’s Discovery
of America
, 1892, II, 580 fg. Daselbst im ersten Bande, S. 454 fg., findet man
eine ausführliche Darlegung der begleitenden Umstände u. s. w., zugleich eine
eingehende Erörterung der durch die Undeutlichkeit des päpstlichen Textes ent-
standenen Schwierigkeiten. Der Pontifex maximus nämlich, obwohl er erklärt »ex
certa scientia«
zu reden, verleiht den Spaniern alle entdeckten und noch zu ent-
deckenden Länder (omnes insulas et terras firmas inventas et inveniendas, detectas et
detegendas),
welche westlich und südlich (versus Occidentem et Meridiem) eines be-
stimmten Längengrades liegen; nun hat aber bisher kein Mathematiker entdecken
können, welche geographische Gegend »südlich« von einem »Längengrad« liegt;
und dass der Papst wirklich einen Längengrad meint, kann nicht in Frage gestellt
werden, da er mit naiver Umständlichkeit sagt: »fabricando et construendo unam
lineam a polo Arctico ad polum Antarcticum«.
Diese von einer krass unwissenden
Kurie verfügte Schenkung übte übrigens eine von ihr gar nicht vorhergesehene
Wirkung aus, indem sie die Spanier zwang, immer weiter nach Westen zu suchen,
bis sie die Magalhãesstrasse fanden, die Portugiesen aber nötigte, den Ostweg nach
Indien um das Kap der guten Hoffnung herum zu entdecken. Näheres hierüber in
dem Abschnitt »Entdeckung« des folgenden Kapitels.
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[675/0154] Staat. den Akten des Wiener Kongresses hat sie ihre Zustimmung ver- sagt. — — — Auch über die aussereuropäische Welt hat die Kirche mit lobenswerter Konsequenz die alleinige Verfügung beansprucht und z. B. Spanien durch zwei Bullen vom 3. und 4. Mai 1493 »im Namen Gottes« alle entdeckten oder noch zu entdeckenden Länder westlich des 25. Längengrades (westlich von Greenwich) auf ewige Zeiten geschenkt, den Portugiesen Afrika, u. s. w. 1) Mit Absicht beschränke ich mich auf diese wenigen Andeutungen und Citate, den Büchern entnommen, die meine bescheidene Bücher- sammlung umfasst; ich brauchte nur in eine öffentliche Bibliothek zu gehen, um hunderten von vielleicht noch treffenderen Belegen auf die Spur zu kommen; so entsinne ich mich z. B., dass in späteren Bullen der Satz, der Papst besitze »über alle Völker, Reiche und Fürsten die Fülle der Gewalt«, mit geringen Abweichungen in fast formelhafter Weise wiederkehrt; doch bin ich weit entfernt, einen wissenschaftlichen Beweis erbringen zu wollen, ganz im Gegenteil möchte ich dem Leser die Überzeugung geben, dass es hier gar nicht darauf ankommt, was 5) 1) Papst Alexander VI. sagt in diesen Bullen, die Schenkung geschehe »aus reiner Freigebigkeit« und »kraft der Autorität des allmächtigen Gottes, ihm durch den heiligen Petrus übergeben«. (Vergl. die Anmerkung auf S. 653.) Weiter kann die unbedingte Verfügung über alles Zeitliche nicht gehen, es sei denn, dass Jemand sich die Allgewalt beilegte, auch den Mond zu verschenken. — Die Bulle Inter Cetera vom 4. Mai 1493 findet man abgedruckt in extenso in Fiske’s Discovery of America, 1892, II, 580 fg. Daselbst im ersten Bande, S. 454 fg., findet man eine ausführliche Darlegung der begleitenden Umstände u. s. w., zugleich eine eingehende Erörterung der durch die Undeutlichkeit des päpstlichen Textes ent- standenen Schwierigkeiten. Der Pontifex maximus nämlich, obwohl er erklärt »ex certa scientia« zu reden, verleiht den Spaniern alle entdeckten und noch zu ent- deckenden Länder (omnes insulas et terras firmas inventas et inveniendas, detectas et detegendas), welche westlich und südlich (versus Occidentem et Meridiem) eines be- stimmten Längengrades liegen; nun hat aber bisher kein Mathematiker entdecken können, welche geographische Gegend »südlich« von einem »Längengrad« liegt; und dass der Papst wirklich einen Längengrad meint, kann nicht in Frage gestellt werden, da er mit naiver Umständlichkeit sagt: »fabricando et construendo unam lineam a polo Arctico ad polum Antarcticum«. Diese von einer krass unwissenden Kurie verfügte Schenkung übte übrigens eine von ihr gar nicht vorhergesehene Wirkung aus, indem sie die Spanier zwang, immer weiter nach Westen zu suchen, bis sie die Magalhãesstrasse fanden, die Portugiesen aber nötigte, den Ostweg nach Indien um das Kap der guten Hoffnung herum zu entdecken. Näheres hierüber in dem Abschnitt »Entdeckung« des folgenden Kapitels. 5) Worten, der Kaiser blieb der römisch-universalistischen Vorstellung treu. (Man lese hierüber die Ausführungen in Siegel: Deutsche Rechtsgeschichte, § 100.)

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/154>, abgerufen am 25.04.2024.