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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
getreuer Nachahmung römischer Auffassung -- Luther im Gegensatz
zu Erasmus die prinzipielle Unduldsamkeit gelehrt und Calvin eine
Schrift veröffentlicht, um darzuthun, "jure gladii coercendos esse
haereticos
", der Laie, der in einem rein weltlichen Staate lebt, wird
das nie verstehen, nie zugeben, gleichviel welcher Konfession er an-
gehört. Unsere Vorfahren waren nicht intolerant, wir sind es auch
nicht, -- nicht von Natur. Die Intoleranz ergiebt sich nur aus dem
Universalismus: wer ein äusserlich Unbegrenztes erstrebt, muss inner-
lich die Grenzen immer enger ziehen. Dem Juden -- den man einen
geborenen Freidenker nennen möchte -- war eingeredet worden, er
besitze die ganze unteilbare Wahrheit und mit ihr ein Anrecht auf
Weltherrschaft: dafür musste er seine persönliche Freiheit zum Opfer
bringen, seine Begabung knebeln lassen und Hass statt Liebe im Herzen
grossziehen. Friedrich II., vielleicht der wenigst orthodoxe Kaiser,
der je gelebt hat, musste dennoch, von dem Traum eines römischen
Universalreiches dazu verleitet, verordnen: alle Häretiker seien für
infam und in die Acht zu erklären, ihre Güter sollten konfisziert, sie
selbst verbrannt oder, im Falle des Widerrufs, mit lebenslänglichem
Kerker bestraft werden; zugleich hiess er die Fürsten, die gegen seine
vermeintliche imperiale Gerechtsame sich vergangen hatten, blenden
und lebendig begraben.

Der Wahn des
Unbegrenzten.

Wenn ich nun für den Kampf zwischen Nationalismus und
Universalismus, für den Kampf gegen das spätrömische Erbe -- welcher
über ein Jahrtausend ausfüllt, um erst dann dem Kampf um die innere
Gestaltung des Staates freien Spielraum zu lassen -- wenn ich für
diesen Kampf einen allgemeineren Ausdruck gesucht habe, so geschah
das hauptsächlich mit Rücksicht auf unser Jahrhundert. Und wenn
es auch hier noch nicht der Ort ist, näher auf unser Säculum einzu-
gehen, so möchte ich doch wenigstens auf diesen Zusammenhang
hindeuten. Es wäre nämlich ein verhängnisvoller Irrtum, zu wähnen,
der Kampf habe damit aufgehört, dass das alte politische Ideal in die
Brüche ging. Wohl werden die Gegner des Universalismus nicht
mehr lebendig begraben, noch wird man heute dafür verbrannt, wenn
man mit Hus (im Anschluss an Augustinus) behauptet: Petrus war
nicht und ist nicht das Haupt der Kirche; Fürst Bismarck konnte
auch Gesetze erlassen und Gesetze wieder zurückziehen, ohne that-

Vereinigten Staaten Nordamerika's, trotz der beständigen Einwanderung von Katho-
liken und der Zunahme ihrer Gesamtzahl, doch ihre Relativzahl rapid abnimmt.
Meine obige Schätzung ist also eine äusserst vorsichtige.

Der Kampf.
getreuer Nachahmung römischer Auffassung — Luther im Gegensatz
zu Erasmus die prinzipielle Unduldsamkeit gelehrt und Calvin eine
Schrift veröffentlicht, um darzuthun, »jure gladii coërcendos esse
haereticos
«, der Laie, der in einem rein weltlichen Staate lebt, wird
das nie verstehen, nie zugeben, gleichviel welcher Konfession er an-
gehört. Unsere Vorfahren waren nicht intolerant, wir sind es auch
nicht, — nicht von Natur. Die Intoleranz ergiebt sich nur aus dem
Universalismus: wer ein äusserlich Unbegrenztes erstrebt, muss inner-
lich die Grenzen immer enger ziehen. Dem Juden — den man einen
geborenen Freidenker nennen möchte — war eingeredet worden, er
besitze die ganze unteilbare Wahrheit und mit ihr ein Anrecht auf
Weltherrschaft: dafür musste er seine persönliche Freiheit zum Opfer
bringen, seine Begabung knebeln lassen und Hass statt Liebe im Herzen
grossziehen. Friedrich II., vielleicht der wenigst orthodoxe Kaiser,
der je gelebt hat, musste dennoch, von dem Traum eines römischen
Universalreiches dazu verleitet, verordnen: alle Häretiker seien für
infam und in die Acht zu erklären, ihre Güter sollten konfisziert, sie
selbst verbrannt oder, im Falle des Widerrufs, mit lebenslänglichem
Kerker bestraft werden; zugleich hiess er die Fürsten, die gegen seine
vermeintliche imperiale Gerechtsame sich vergangen hatten, blenden
und lebendig begraben.

Der Wahn des
Unbegrenzten.

Wenn ich nun für den Kampf zwischen Nationalismus und
Universalismus, für den Kampf gegen das spätrömische Erbe — welcher
über ein Jahrtausend ausfüllt, um erst dann dem Kampf um die innere
Gestaltung des Staates freien Spielraum zu lassen — wenn ich für
diesen Kampf einen allgemeineren Ausdruck gesucht habe, so geschah
das hauptsächlich mit Rücksicht auf unser Jahrhundert. Und wenn
es auch hier noch nicht der Ort ist, näher auf unser Säculum einzu-
gehen, so möchte ich doch wenigstens auf diesen Zusammenhang
hindeuten. Es wäre nämlich ein verhängnisvoller Irrtum, zu wähnen,
der Kampf habe damit aufgehört, dass das alte politische Ideal in die
Brüche ging. Wohl werden die Gegner des Universalismus nicht
mehr lebendig begraben, noch wird man heute dafür verbrannt, wenn
man mit Hus (im Anschluss an Augustinus) behauptet: Petrus war
nicht und ist nicht das Haupt der Kirche; Fürst Bismarck konnte
auch Gesetze erlassen und Gesetze wieder zurückziehen, ohne that-

Vereinigten Staaten Nordamerika’s, trotz der beständigen Einwanderung von Katho-
liken und der Zunahme ihrer Gesamtzahl, doch ihre Relativzahl rapid abnimmt.
Meine obige Schätzung ist also eine äusserst vorsichtige.
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[678/0157] Der Kampf. getreuer Nachahmung römischer Auffassung — Luther im Gegensatz zu Erasmus die prinzipielle Unduldsamkeit gelehrt und Calvin eine Schrift veröffentlicht, um darzuthun, »jure gladii coërcendos esse haereticos«, der Laie, der in einem rein weltlichen Staate lebt, wird das nie verstehen, nie zugeben, gleichviel welcher Konfession er an- gehört. Unsere Vorfahren waren nicht intolerant, wir sind es auch nicht, — nicht von Natur. Die Intoleranz ergiebt sich nur aus dem Universalismus: wer ein äusserlich Unbegrenztes erstrebt, muss inner- lich die Grenzen immer enger ziehen. Dem Juden — den man einen geborenen Freidenker nennen möchte — war eingeredet worden, er besitze die ganze unteilbare Wahrheit und mit ihr ein Anrecht auf Weltherrschaft: dafür musste er seine persönliche Freiheit zum Opfer bringen, seine Begabung knebeln lassen und Hass statt Liebe im Herzen grossziehen. Friedrich II., vielleicht der wenigst orthodoxe Kaiser, der je gelebt hat, musste dennoch, von dem Traum eines römischen Universalreiches dazu verleitet, verordnen: alle Häretiker seien für infam und in die Acht zu erklären, ihre Güter sollten konfisziert, sie selbst verbrannt oder, im Falle des Widerrufs, mit lebenslänglichem Kerker bestraft werden; zugleich hiess er die Fürsten, die gegen seine vermeintliche imperiale Gerechtsame sich vergangen hatten, blenden und lebendig begraben. Wenn ich nun für den Kampf zwischen Nationalismus und Universalismus, für den Kampf gegen das spätrömische Erbe — welcher über ein Jahrtausend ausfüllt, um erst dann dem Kampf um die innere Gestaltung des Staates freien Spielraum zu lassen — wenn ich für diesen Kampf einen allgemeineren Ausdruck gesucht habe, so geschah das hauptsächlich mit Rücksicht auf unser Jahrhundert. Und wenn es auch hier noch nicht der Ort ist, näher auf unser Säculum einzu- gehen, so möchte ich doch wenigstens auf diesen Zusammenhang hindeuten. Es wäre nämlich ein verhängnisvoller Irrtum, zu wähnen, der Kampf habe damit aufgehört, dass das alte politische Ideal in die Brüche ging. Wohl werden die Gegner des Universalismus nicht mehr lebendig begraben, noch wird man heute dafür verbrannt, wenn man mit Hus (im Anschluss an Augustinus) behauptet: Petrus war nicht und ist nicht das Haupt der Kirche; Fürst Bismarck konnte auch Gesetze erlassen und Gesetze wieder zurückziehen, ohne that- 3) 3) Vereinigten Staaten Nordamerika’s, trotz der beständigen Einwanderung von Katho- liken und der Zunahme ihrer Gesamtzahl, doch ihre Relativzahl rapid abnimmt. Meine obige Schätzung ist also eine äusserst vorsichtige.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/157>, abgerufen am 16.04.2024.