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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
drückt, der Unedle wurde Herr und schaltete nach seinem Sinn. Der
Galgen Arnold's von Brescia, die Scheiterhaufen Savonarola's und
Bruno's, die Folterzangen Campanella's und Galilei's sind nur sichtbare
Symbole eines täglichen, allseitigen Kampfes gegen das Germanische,
einer systematischen Ausrottung der Freiheit des Individuums. Die
Dominikaner, eheweilig von Amtswegen Inquisitoren, waren nun Kirchen-
reformatoren und Philosophen geworden; bei den Jesuiten war gegen
derartige Verirrungen gut vorgesorgt; wer auch nur einiges über ihre
Thätigkeit in Italien, gleich vom 16. Jahrhundert ab, erfährt -- etwa
aus der Geschichte ihres Ordens von ihrem Bewunderer, Buss --
wird sich nicht mehr über das plötzliche Verschwinden alles Genies
wundern, d. h. alles Germanischen. Raffael hatte noch die Kühnheit
gehabt, dem von ihm glühend verehrten Savonarola mitten im Vatikan
(im "Abendmahlstreit") ein ewiges Denkmal zu setzen: Ignatius da-
gegen verbot, den Namen des Toskaners auch nur zu nennen!1)
Wer könnte heute in Italien weilen und mit seinen liebenswürdigen,
reich begabten Bewohnern verkehren, ohne mit Schmerz zu empfinden,
dass hier eine Nation verloren ist und zwar rettungslos verloren, weil
ihr die innere treibende Kraft, die Seelengrösse, welche ihrem Talent
entspräche, mangelt? Diese Kraft verleiht eben nur Rasse. Italien
hatte sie, so lange es Germanen besass; ja, noch heute entwickelt
seine Bevölkerung in jenen Teilen, wo früher Kelten, Deutsche und
Normannen das Land besonders reich besetzt hielten, den echtger-
manischen Bienenfleiss und bringt Männer hervor, welche mit ver-
zweifelter Energie bestrebt sind, das Land zusammenzuhalten und es
in rühmliche Bahnen zu lenken: Cavour, der Begründer des neuen
Reiches, stammt aus dem äussersten Norden, Crispi, der es durch ge-
fährliche Klippen zu steuern verstand, aus dem äussersten Süden. Doch,
wie soll man ein Volk wieder aufrichten, wenn die Quelle seiner

1) Für die Feststellung der Rassenangehörigkeit ist die begeisterte Ver-
ehrung Savonarola's seitens Raffael's, sowie seines Meisters Perugino und seines
Freundes Bartolommeo (siehe Eug. Müntz: Raphael 1881, S. 133) fast ebenso be-
deutungsvoll, wie die Thatsache, dass Michelangelo niemals die Madonna und nur
ein einziges Mal im Scherze einen Heiligen erwähnt, so dass einer seiner genauesten
Kenner ihn einen "unbewussten Protestanten" hat nennen können. In einem seiner
Sonette warnt Michelangelo den Heiland, er möge nur ja nicht in eigener Person
nach Rom kommen, wo man mit seinem göttlichen Blute Handel treibe
E'l sangue di Cristo si vend' a giumelle
und wo die Priester ihm die Haut abziehen würden, um sie zu Markte zu tragen.

Die Entstehung einer neuen Welt.
drückt, der Unedle wurde Herr und schaltete nach seinem Sinn. Der
Galgen Arnold’s von Brescia, die Scheiterhaufen Savonarola’s und
Bruno’s, die Folterzangen Campanella’s und Galilei’s sind nur sichtbare
Symbole eines täglichen, allseitigen Kampfes gegen das Germanische,
einer systematischen Ausrottung der Freiheit des Individuums. Die
Dominikaner, eheweilig von Amtswegen Inquisitoren, waren nun Kirchen-
reformatoren und Philosophen geworden; bei den Jesuiten war gegen
derartige Verirrungen gut vorgesorgt; wer auch nur einiges über ihre
Thätigkeit in Italien, gleich vom 16. Jahrhundert ab, erfährt — etwa
aus der Geschichte ihres Ordens von ihrem Bewunderer, Buss —
wird sich nicht mehr über das plötzliche Verschwinden alles Genies
wundern, d. h. alles Germanischen. Raffael hatte noch die Kühnheit
gehabt, dem von ihm glühend verehrten Savonarola mitten im Vatikan
(im »Abendmahlstreit«) ein ewiges Denkmal zu setzen: Ignatius da-
gegen verbot, den Namen des Toskaners auch nur zu nennen!1)
Wer könnte heute in Italien weilen und mit seinen liebenswürdigen,
reich begabten Bewohnern verkehren, ohne mit Schmerz zu empfinden,
dass hier eine Nation verloren ist und zwar rettungslos verloren, weil
ihr die innere treibende Kraft, die Seelengrösse, welche ihrem Talent
entspräche, mangelt? Diese Kraft verleiht eben nur Rasse. Italien
hatte sie, so lange es Germanen besass; ja, noch heute entwickelt
seine Bevölkerung in jenen Teilen, wo früher Kelten, Deutsche und
Normannen das Land besonders reich besetzt hielten, den echtger-
manischen Bienenfleiss und bringt Männer hervor, welche mit ver-
zweifelter Energie bestrebt sind, das Land zusammenzuhalten und es
in rühmliche Bahnen zu lenken: Cavour, der Begründer des neuen
Reiches, stammt aus dem äussersten Norden, Crispi, der es durch ge-
fährliche Klippen zu steuern verstand, aus dem äussersten Süden. Doch,
wie soll man ein Volk wieder aufrichten, wenn die Quelle seiner

1) Für die Feststellung der Rassenangehörigkeit ist die begeisterte Ver-
ehrung Savonarola’s seitens Raffael’s, sowie seines Meisters Perugino und seines
Freundes Bartolommeo (siehe Eug. Müntz: Raphaël 1881, S. 133) fast ebenso be-
deutungsvoll, wie die Thatsache, dass Michelangelo niemals die Madonna und nur
ein einziges Mal im Scherze einen Heiligen erwähnt, so dass einer seiner genauesten
Kenner ihn einen »unbewussten Protestanten« hat nennen können. In einem seiner
Sonette warnt Michelangelo den Heiland, er möge nur ja nicht in eigener Person
nach Rom kommen, wo man mit seinem göttlichen Blute Handel treibe
E’l sangue di Cristo si vend’ a giumelle
und wo die Priester ihm die Haut abziehen würden, um sie zu Markte zu tragen.
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[698/0177] Die Entstehung einer neuen Welt. drückt, der Unedle wurde Herr und schaltete nach seinem Sinn. Der Galgen Arnold’s von Brescia, die Scheiterhaufen Savonarola’s und Bruno’s, die Folterzangen Campanella’s und Galilei’s sind nur sichtbare Symbole eines täglichen, allseitigen Kampfes gegen das Germanische, einer systematischen Ausrottung der Freiheit des Individuums. Die Dominikaner, eheweilig von Amtswegen Inquisitoren, waren nun Kirchen- reformatoren und Philosophen geworden; bei den Jesuiten war gegen derartige Verirrungen gut vorgesorgt; wer auch nur einiges über ihre Thätigkeit in Italien, gleich vom 16. Jahrhundert ab, erfährt — etwa aus der Geschichte ihres Ordens von ihrem Bewunderer, Buss — wird sich nicht mehr über das plötzliche Verschwinden alles Genies wundern, d. h. alles Germanischen. Raffael hatte noch die Kühnheit gehabt, dem von ihm glühend verehrten Savonarola mitten im Vatikan (im »Abendmahlstreit«) ein ewiges Denkmal zu setzen: Ignatius da- gegen verbot, den Namen des Toskaners auch nur zu nennen! 1) Wer könnte heute in Italien weilen und mit seinen liebenswürdigen, reich begabten Bewohnern verkehren, ohne mit Schmerz zu empfinden, dass hier eine Nation verloren ist und zwar rettungslos verloren, weil ihr die innere treibende Kraft, die Seelengrösse, welche ihrem Talent entspräche, mangelt? Diese Kraft verleiht eben nur Rasse. Italien hatte sie, so lange es Germanen besass; ja, noch heute entwickelt seine Bevölkerung in jenen Teilen, wo früher Kelten, Deutsche und Normannen das Land besonders reich besetzt hielten, den echtger- manischen Bienenfleiss und bringt Männer hervor, welche mit ver- zweifelter Energie bestrebt sind, das Land zusammenzuhalten und es in rühmliche Bahnen zu lenken: Cavour, der Begründer des neuen Reiches, stammt aus dem äussersten Norden, Crispi, der es durch ge- fährliche Klippen zu steuern verstand, aus dem äussersten Süden. Doch, wie soll man ein Volk wieder aufrichten, wenn die Quelle seiner 1) Für die Feststellung der Rassenangehörigkeit ist die begeisterte Ver- ehrung Savonarola’s seitens Raffael’s, sowie seines Meisters Perugino und seines Freundes Bartolommeo (siehe Eug. Müntz: Raphaël 1881, S. 133) fast ebenso be- deutungsvoll, wie die Thatsache, dass Michelangelo niemals die Madonna und nur ein einziges Mal im Scherze einen Heiligen erwähnt, so dass einer seiner genauesten Kenner ihn einen »unbewussten Protestanten« hat nennen können. In einem seiner Sonette warnt Michelangelo den Heiland, er möge nur ja nicht in eigener Person nach Rom kommen, wo man mit seinem göttlichen Blute Handel treibe E’l sangue di Cristo si vend’ a giumelle und wo die Priester ihm die Haut abziehen würden, um sie zu Markte zu tragen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/177>, abgerufen am 29.03.2024.