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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.
zehren.1) Nun bildet aber der ziemlich scharf abgegrenzte Völker-
komplex der arischen Inder eine absolut einzige Erscheinung unter
den Menschen, mit Gaben, wie sie keine andere Rasse ähnlich besessen
hat und welche zu unvergänglichen, unvergleichlichen Leistungen
führten, dabei mit so eigentümlichen Beschränkungen, dass ihre Indivi-
dualität ihr Schicksal schon enthielt; warum hat das Hauptnahrungs-
mittel des grössten Teils des Menschengeschlechtes nur das eine Mal
so gewirkt? im Raume an dem einen Ort, in der Zeit zu der einen
Epoche? Und wollten wir den ganz genauen Antipoden des arischen
Inders bezeichnen, so müssten wir den Chinesen nennen: den egalitären
Sozialisten im Gegensatze zum unbedingten Aristokraten, den unkriege-
rischen Bauern im Gegensatz zum geborenen Waffenhelden, den Utilitarier
par excellence im Gegensatz zum Idealisten, den Positivisten, der or-
ganisch unfähig scheint, sich auch nur bis zur Vorstellung des meta-
physischen Denkens zu erheben, im Gegensatze zu jenem geborenen
Metaphysiker, dem wir Europäer nachstaunen, ohne wähnen zu dürfen,
dass wir ihn jemals erreichen könnten. Und dabei isst der Chinese,
wie gesagt, noch mehr Reis als der Indoarier!

Doch, habe ich hier die unter uns so verbreitete Denkart bis ins
Absurde verfolgt, so geschah das nur, um an den Fällen extremster
Verirrung handgreiflich darzuthun, wohin sie führt; das erwachte Miss-
trauen wird aber nun rückschauend gewahr werden, dass auch die
vernünftigsten und sichersten Beobachtungen in Bezug auf derartige
Urphänomene, wie die Menschenrassen es sind, nicht den Wert von Er-
klärungen haben, sondern lediglich eine Erweiterung des Gesichtskreises
bedeuten, wogegen das Phänomen selbst, in seiner konkreten Realität,
nach wie vor die einzige Quelle alles gesunden Urteilens und jedes wahren
Verständnisses bleibt. Ich möchte die Überzeugung hervorgerufen
haben, dass es eine Hierarchie der Thatsachen giebt, und dass wir
Luftschlösser bauen, sobald wir sie umkehren. So z. B. ist der Begriff
"Indoeuropäer" oder "Arier" ein zulässiger und fördernder, wenn wir
ihn aus den sicheren, gut erforschten, unbestreitbaren Thatsachen des
Indertums, des Eraniertums, des Hellenentums, des Römertums, des
Germanentums aufbauen; damit verlassen wir nämlich keinen Augen-
blick den Boden der Wirklichkeit, verpflichten wir uns zu keiner
Hypothese, überbrücken wir nicht die Kluft der unbekannten Ursachen

1) Ranke: Der Mensch, 2. Aufl. I, 315 u. 334. Eine humoristische Erklärung
der Hypothese, das Reisessen sei für die Philosophen besonders zuträglich, wird
der Sachkundige in Hueppe's Handbuch der Hygiene (1899) S. 247 finden.

Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur.
zehren.1) Nun bildet aber der ziemlich scharf abgegrenzte Völker-
komplex der arischen Inder eine absolut einzige Erscheinung unter
den Menschen, mit Gaben, wie sie keine andere Rasse ähnlich besessen
hat und welche zu unvergänglichen, unvergleichlichen Leistungen
führten, dabei mit so eigentümlichen Beschränkungen, dass ihre Indivi-
dualität ihr Schicksal schon enthielt; warum hat das Hauptnahrungs-
mittel des grössten Teils des Menschengeschlechtes nur das eine Mal
so gewirkt? im Raume an dem einen Ort, in der Zeit zu der einen
Epoche? Und wollten wir den ganz genauen Antipoden des arischen
Inders bezeichnen, so müssten wir den Chinesen nennen: den egalitären
Sozialisten im Gegensatze zum unbedingten Aristokraten, den unkriege-
rischen Bauern im Gegensatz zum geborenen Waffenhelden, den Utilitarier
par excellence im Gegensatz zum Idealisten, den Positivisten, der or-
ganisch unfähig scheint, sich auch nur bis zur Vorstellung des meta-
physischen Denkens zu erheben, im Gegensatze zu jenem geborenen
Metaphysiker, dem wir Europäer nachstaunen, ohne wähnen zu dürfen,
dass wir ihn jemals erreichen könnten. Und dabei isst der Chinese,
wie gesagt, noch mehr Reis als der Indoarier!

Doch, habe ich hier die unter uns so verbreitete Denkart bis ins
Absurde verfolgt, so geschah das nur, um an den Fällen extremster
Verirrung handgreiflich darzuthun, wohin sie führt; das erwachte Miss-
trauen wird aber nun rückschauend gewahr werden, dass auch die
vernünftigsten und sichersten Beobachtungen in Bezug auf derartige
Urphänomene, wie die Menschenrassen es sind, nicht den Wert von Er-
klärungen haben, sondern lediglich eine Erweiterung des Gesichtskreises
bedeuten, wogegen das Phänomen selbst, in seiner konkreten Realität,
nach wie vor die einzige Quelle alles gesunden Urteilens und jedes wahren
Verständnisses bleibt. Ich möchte die Überzeugung hervorgerufen
haben, dass es eine Hierarchie der Thatsachen giebt, und dass wir
Luftschlösser bauen, sobald wir sie umkehren. So z. B. ist der Begriff
»Indoeuropäer« oder »Arier« ein zulässiger und fördernder, wenn wir
ihn aus den sicheren, gut erforschten, unbestreitbaren Thatsachen des
Indertums, des Eraniertums, des Hellenentums, des Römertums, des
Germanentums aufbauen; damit verlassen wir nämlich keinen Augen-
blick den Boden der Wirklichkeit, verpflichten wir uns zu keiner
Hypothese, überbrücken wir nicht die Kluft der unbekannten Ursachen

1) Ranke: Der Mensch, 2. Aufl. I, 315 u. 334. Eine humoristische Erklärung
der Hypothese, das Reisessen sei für die Philosophen besonders zuträglich, wird
der Sachkundige in Hueppe’s Handbuch der Hygiene (1899) S. 247 finden.
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[707/0186] Die Germanen als Schöpfer einer neuen Kultur. zehren. 1) Nun bildet aber der ziemlich scharf abgegrenzte Völker- komplex der arischen Inder eine absolut einzige Erscheinung unter den Menschen, mit Gaben, wie sie keine andere Rasse ähnlich besessen hat und welche zu unvergänglichen, unvergleichlichen Leistungen führten, dabei mit so eigentümlichen Beschränkungen, dass ihre Indivi- dualität ihr Schicksal schon enthielt; warum hat das Hauptnahrungs- mittel des grössten Teils des Menschengeschlechtes nur das eine Mal so gewirkt? im Raume an dem einen Ort, in der Zeit zu der einen Epoche? Und wollten wir den ganz genauen Antipoden des arischen Inders bezeichnen, so müssten wir den Chinesen nennen: den egalitären Sozialisten im Gegensatze zum unbedingten Aristokraten, den unkriege- rischen Bauern im Gegensatz zum geborenen Waffenhelden, den Utilitarier par excellence im Gegensatz zum Idealisten, den Positivisten, der or- ganisch unfähig scheint, sich auch nur bis zur Vorstellung des meta- physischen Denkens zu erheben, im Gegensatze zu jenem geborenen Metaphysiker, dem wir Europäer nachstaunen, ohne wähnen zu dürfen, dass wir ihn jemals erreichen könnten. Und dabei isst der Chinese, wie gesagt, noch mehr Reis als der Indoarier! Doch, habe ich hier die unter uns so verbreitete Denkart bis ins Absurde verfolgt, so geschah das nur, um an den Fällen extremster Verirrung handgreiflich darzuthun, wohin sie führt; das erwachte Miss- trauen wird aber nun rückschauend gewahr werden, dass auch die vernünftigsten und sichersten Beobachtungen in Bezug auf derartige Urphänomene, wie die Menschenrassen es sind, nicht den Wert von Er- klärungen haben, sondern lediglich eine Erweiterung des Gesichtskreises bedeuten, wogegen das Phänomen selbst, in seiner konkreten Realität, nach wie vor die einzige Quelle alles gesunden Urteilens und jedes wahren Verständnisses bleibt. Ich möchte die Überzeugung hervorgerufen haben, dass es eine Hierarchie der Thatsachen giebt, und dass wir Luftschlösser bauen, sobald wir sie umkehren. So z. B. ist der Begriff »Indoeuropäer« oder »Arier« ein zulässiger und fördernder, wenn wir ihn aus den sicheren, gut erforschten, unbestreitbaren Thatsachen des Indertums, des Eraniertums, des Hellenentums, des Römertums, des Germanentums aufbauen; damit verlassen wir nämlich keinen Augen- blick den Boden der Wirklichkeit, verpflichten wir uns zu keiner Hypothese, überbrücken wir nicht die Kluft der unbekannten Ursachen 1) Ranke: Der Mensch, 2. Aufl. I, 315 u. 334. Eine humoristische Erklärung der Hypothese, das Reisessen sei für die Philosophen besonders zuträglich, wird der Sachkundige in Hueppe’s Handbuch der Hygiene (1899) S. 247 finden.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/186>, abgerufen am 25.04.2024.