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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
für einen allgemeinen Fortschritt der Menschheit, sondern lediglich
für die hervorragende Leistungsfähigkeit einer bestimmten Menschen-
art, eine Leistungsfähigkeit, die erwiesenermassen durch das Eindringen
ungermanischen Blutes oder auch nur (wie in Österreich) ungermanischer
Prinzipien progressiv abnimmt. Dass das Vorherrschen des Germanen-
tums ein Glück für die sämtlichen Bewohner der Erde bedeute, kann
Niemand beweisen; von Anfang an und bis zum heutigen Tage sehen
wir die Germanen ganze Stämme und Völker hinschlachten oder langsam,
durch grundsätzliche Demoralisation, hinmorden, um Platz für sich selber
zu bekommen. Dass die Germanen mit ihren Tugenden allein und
ohne ihre Laster -- wie da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Missachtung
aller Rechte ausser ihres eigenen Rechtes zu herrschen, (S. 503) u. s. w. --
den Sieg errungen hätten, wird Keiner die Stirne haben, zu behaupten,
doch wird Jeder zugeben müssen, dass gerade dort, wo sie am grau-
samsten waren -- wie z. B. die Angelsachsen in England, der deutsche
Orden in Preussen, die Franzosen und Engländer in Nordamerika -- sie
dadurch die sicherste Grundlage zum Höchsten und Sittlichsten legten.

Gewappnet mit diesen verschiedenen Erkenntnissen, die alle aus
der einen mittleren entfliessen, wären wir also jetzt in der Lage, das
Werk der Germanen mit Verständnis und ohne Vorurteil zu betrachten,
wie es vom XII. Jahrhundert an ungefähr, wo es zuerst als gesondertes
Streben deutliche Gestalt zu gewinnen begann, bis zum heutigen Tage
in unaufhörlichem Drange sich entwickelt hat; wir dürften sogar hoffen,
selbst den grössten Nachteil -- den nämlich, dass wir noch mitten
in einer Entwickelung stehen, folglich nur ein Bruchstück gewahren --
einigermassen durch die Unanfechtbarkeit unseres Standpunktes über-
winden zu können. Doch gilt mein Werk dem 19. Jahrhundert allein.
So Gott will, werde ich später unser Säkulum zwar nicht ausführlich
schildern, wohl aber mit einiger Gründlichkeit auf seine Gesamt-
leistung hin prüfen; inzwischen suche ich in diesem Bande die
Grundlagen zu dem Wirken und Wähnen dieses entschwindenden
Jahrhunderts in ihren Hauptzügen aufzufinden -- weiter nichts. Es
kann mir nicht beikommen, eine Kulturgeschichte des gesamten Slavo-
keltogermanentums bis zum Jahre 1800 auch nur als Skizze zu ent-
werfen, ebensowenig wie es mir bei der Besprechung des Kampfes
in der Religion und im Staate während des ersten Jahrtausends bei-
gekommen ist, eine geschichtliche Schilderung zu versuchen. Weder
liegt es im Plan dieses Buches, noch besässe ich dazu die Befähigung.
Fast könnte ich also diesen Band abschliessen, jetzt, wo ich die wesent-

Die Entstehung einer neuen Welt.
für einen allgemeinen Fortschritt der Menschheit, sondern lediglich
für die hervorragende Leistungsfähigkeit einer bestimmten Menschen-
art, eine Leistungsfähigkeit, die erwiesenermassen durch das Eindringen
ungermanischen Blutes oder auch nur (wie in Österreich) ungermanischer
Prinzipien progressiv abnimmt. Dass das Vorherrschen des Germanen-
tums ein Glück für die sämtlichen Bewohner der Erde bedeute, kann
Niemand beweisen; von Anfang an und bis zum heutigen Tage sehen
wir die Germanen ganze Stämme und Völker hinschlachten oder langsam,
durch grundsätzliche Demoralisation, hinmorden, um Platz für sich selber
zu bekommen. Dass die Germanen mit ihren Tugenden allein und
ohne ihre Laster — wie da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Missachtung
aller Rechte ausser ihres eigenen Rechtes zu herrschen, (S. 503) u. s. w. —
den Sieg errungen hätten, wird Keiner die Stirne haben, zu behaupten,
doch wird Jeder zugeben müssen, dass gerade dort, wo sie am grau-
samsten waren — wie z. B. die Angelsachsen in England, der deutsche
Orden in Preussen, die Franzosen und Engländer in Nordamerika — sie
dadurch die sicherste Grundlage zum Höchsten und Sittlichsten legten.

Gewappnet mit diesen verschiedenen Erkenntnissen, die alle aus
der einen mittleren entfliessen, wären wir also jetzt in der Lage, das
Werk der Germanen mit Verständnis und ohne Vorurteil zu betrachten,
wie es vom XII. Jahrhundert an ungefähr, wo es zuerst als gesondertes
Streben deutliche Gestalt zu gewinnen begann, bis zum heutigen Tage
in unaufhörlichem Drange sich entwickelt hat; wir dürften sogar hoffen,
selbst den grössten Nachteil — den nämlich, dass wir noch mitten
in einer Entwickelung stehen, folglich nur ein Bruchstück gewahren —
einigermassen durch die Unanfechtbarkeit unseres Standpunktes über-
winden zu können. Doch gilt mein Werk dem 19. Jahrhundert allein.
So Gott will, werde ich später unser Säkulum zwar nicht ausführlich
schildern, wohl aber mit einiger Gründlichkeit auf seine Gesamt-
leistung hin prüfen; inzwischen suche ich in diesem Bande die
Grundlagen zu dem Wirken und Wähnen dieses entschwindenden
Jahrhunderts in ihren Hauptzügen aufzufinden — weiter nichts. Es
kann mir nicht beikommen, eine Kulturgeschichte des gesamten Slavo-
keltogermanentums bis zum Jahre 1800 auch nur als Skizze zu ent-
werfen, ebensowenig wie es mir bei der Besprechung des Kampfes
in der Religion und im Staate während des ersten Jahrtausends bei-
gekommen ist, eine geschichtliche Schilderung zu versuchen. Weder
liegt es im Plan dieses Buches, noch besässe ich dazu die Befähigung.
Fast könnte ich also diesen Band abschliessen, jetzt, wo ich die wesent-

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[726/0205] Die Entstehung einer neuen Welt. für einen allgemeinen Fortschritt der Menschheit, sondern lediglich für die hervorragende Leistungsfähigkeit einer bestimmten Menschen- art, eine Leistungsfähigkeit, die erwiesenermassen durch das Eindringen ungermanischen Blutes oder auch nur (wie in Österreich) ungermanischer Prinzipien progressiv abnimmt. Dass das Vorherrschen des Germanen- tums ein Glück für die sämtlichen Bewohner der Erde bedeute, kann Niemand beweisen; von Anfang an und bis zum heutigen Tage sehen wir die Germanen ganze Stämme und Völker hinschlachten oder langsam, durch grundsätzliche Demoralisation, hinmorden, um Platz für sich selber zu bekommen. Dass die Germanen mit ihren Tugenden allein und ohne ihre Laster — wie da sind Gier, Grausamkeit, Verrat, Missachtung aller Rechte ausser ihres eigenen Rechtes zu herrschen, (S. 503) u. s. w. — den Sieg errungen hätten, wird Keiner die Stirne haben, zu behaupten, doch wird Jeder zugeben müssen, dass gerade dort, wo sie am grau- samsten waren — wie z. B. die Angelsachsen in England, der deutsche Orden in Preussen, die Franzosen und Engländer in Nordamerika — sie dadurch die sicherste Grundlage zum Höchsten und Sittlichsten legten. Gewappnet mit diesen verschiedenen Erkenntnissen, die alle aus der einen mittleren entfliessen, wären wir also jetzt in der Lage, das Werk der Germanen mit Verständnis und ohne Vorurteil zu betrachten, wie es vom XII. Jahrhundert an ungefähr, wo es zuerst als gesondertes Streben deutliche Gestalt zu gewinnen begann, bis zum heutigen Tage in unaufhörlichem Drange sich entwickelt hat; wir dürften sogar hoffen, selbst den grössten Nachteil — den nämlich, dass wir noch mitten in einer Entwickelung stehen, folglich nur ein Bruchstück gewahren — einigermassen durch die Unanfechtbarkeit unseres Standpunktes über- winden zu können. Doch gilt mein Werk dem 19. Jahrhundert allein. So Gott will, werde ich später unser Säkulum zwar nicht ausführlich schildern, wohl aber mit einiger Gründlichkeit auf seine Gesamt- leistung hin prüfen; inzwischen suche ich in diesem Bande die Grundlagen zu dem Wirken und Wähnen dieses entschwindenden Jahrhunderts in ihren Hauptzügen aufzufinden — weiter nichts. Es kann mir nicht beikommen, eine Kulturgeschichte des gesamten Slavo- keltogermanentums bis zum Jahre 1800 auch nur als Skizze zu ent- werfen, ebensowenig wie es mir bei der Besprechung des Kampfes in der Religion und im Staate während des ersten Jahrtausends bei- gekommen ist, eine geschichtliche Schilderung zu versuchen. Weder liegt es im Plan dieses Buches, noch besässe ich dazu die Befähigung. Fast könnte ich also diesen Band abschliessen, jetzt, wo ich die wesent-

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/205>, abgerufen am 24.04.2024.