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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
übergehende Strömungen irreführen; wir werden mit Notwendigkeit
immer wieder auf Mechanismus zurückkommen, und so lange der
Germane vorherrscht, wird er diese seine Auffassung auch den Nicht-
germanen aufzwingen. Ich rede nicht von Theorien, das gehört an
einen anderen Ort; wie aber auch die Theorie ausfalle, "mechanisch"
wird sie hinfürder immer sein, das ist ein unweigerliches Gebot des
germanischen Denkens; denn so nur vermag es das Äussere und das
Innere in fruchtbarer Wechselwirkung zu erhalten. Dies gilt -- für
uns -- so uneingeschränkt, dass ich mich gar nicht entschliessen
kann, das Mechanische als eine Theorie und daher als zur "Wissen-
schaft" gehörig zu betrachten, sondern es vielmehr als eine Entdeck-
ung, als eine feststehende Thatsache auffassen zu müssen glaube.
Rechtfertigen mag dies der Philosoph, doch bildet für den gemeinen
Mann der Siegeslauf unserer greifbaren Entdeckungen genügende
Gewähr; denn der streng festgehaltene mechanische Gedanke war von
Anfang an bis zum heutigen Tage der Ariadnefaden, der uns durch alle
sich querenden Irrgänge sicher hindurchführte. "Wir bekennen uns
zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkeln ins Helle strebt," schrieb
ich auf das Titelblatt dieses Buches: was uns in der Welt der empiri-
schen Erfahrung aus dem Dunkeln ins Helle geführt hat und noch führt,
war und ist das unbeirrte Festhalten am Mechanismus. Dadurch --
und nur dadurch -- haben wir eine Menge der Erkenntnis und eine
Herrschaft über die Natur erworben, wie nie eine andere Menschen-
art.1) Dieser Sieg des Mechanismus bedeutet nun den notwendigen,
völligen Untergang aller materialistischen Religion. Das Ergebnis
ist unerwartet, doch unanfechtbar. Jüdische Weltchronik konnte für
Cosmas Indicopleustes Bedeutung haben, für uns kann sie es nicht;
dem Universum gegenüber, wie wir es heute kennen, ist sie einfach
absurd. Ebenso unhaltbar ist aber dem Mechanismus gegenüber alle
Magie, wie sie -- dem Orient entnommen -- in kaum verhüllter Ge-
stalt einen so wesentlichen Bestandteil des sogenannten christlichen
Credos ausmacht (siehe S. 636, 640). Mechanismus in der Welt-

1) Da man in einem philosophisch so sehr verrohten Zeitalter Missverständ-
nisse in allen Dingen immer befürchten muss, setze ich hinzu (mit Kant's Worten),
dass wenn es auch, "ohne den Mechanismus zum Grunde der Nachforschung zu
legen, gar keine eigentliche Naturerkenntnis geben kann", dies doch nur
für die Empirie gilt und durchaus nicht hindert, "nach einem Prinzip zu spüren und
zu reflektieren, welches von der Erklärung nach dem Mechanismus der Natur ganz
verschieden ist" (Kritik der Urteilskraft, § 70).

Die Entstehung einer neuen Welt.
übergehende Strömungen irreführen; wir werden mit Notwendigkeit
immer wieder auf Mechanismus zurückkommen, und so lange der
Germane vorherrscht, wird er diese seine Auffassung auch den Nicht-
germanen aufzwingen. Ich rede nicht von Theorien, das gehört an
einen anderen Ort; wie aber auch die Theorie ausfalle, »mechanisch«
wird sie hinfürder immer sein, das ist ein unweigerliches Gebot des
germanischen Denkens; denn so nur vermag es das Äussere und das
Innere in fruchtbarer Wechselwirkung zu erhalten. Dies gilt — für
uns — so uneingeschränkt, dass ich mich gar nicht entschliessen
kann, das Mechanische als eine Theorie und daher als zur »Wissen-
schaft« gehörig zu betrachten, sondern es vielmehr als eine Entdeck-
ung, als eine feststehende Thatsache auffassen zu müssen glaube.
Rechtfertigen mag dies der Philosoph, doch bildet für den gemeinen
Mann der Siegeslauf unserer greifbaren Entdeckungen genügende
Gewähr; denn der streng festgehaltene mechanische Gedanke war von
Anfang an bis zum heutigen Tage der Ariadnefaden, der uns durch alle
sich querenden Irrgänge sicher hindurchführte. »Wir bekennen uns
zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkeln ins Helle strebt,« schrieb
ich auf das Titelblatt dieses Buches: was uns in der Welt der empiri-
schen Erfahrung aus dem Dunkeln ins Helle geführt hat und noch führt,
war und ist das unbeirrte Festhalten am Mechanismus. Dadurch —
und nur dadurch — haben wir eine Menge der Erkenntnis und eine
Herrschaft über die Natur erworben, wie nie eine andere Menschen-
art.1) Dieser Sieg des Mechanismus bedeutet nun den notwendigen,
völligen Untergang aller materialistischen Religion. Das Ergebnis
ist unerwartet, doch unanfechtbar. Jüdische Weltchronik konnte für
Cosmas Indicopleustes Bedeutung haben, für uns kann sie es nicht;
dem Universum gegenüber, wie wir es heute kennen, ist sie einfach
absurd. Ebenso unhaltbar ist aber dem Mechanismus gegenüber alle
Magie, wie sie — dem Orient entnommen — in kaum verhüllter Ge-
stalt einen so wesentlichen Bestandteil des sogenannten christlichen
Credos ausmacht (siehe S. 636, 640). Mechanismus in der Welt-

1) Da man in einem philosophisch so sehr verrohten Zeitalter Missverständ-
nisse in allen Dingen immer befürchten muss, setze ich hinzu (mit Kant’s Worten),
dass wenn es auch, »ohne den Mechanismus zum Grunde der Nachforschung zu
legen, gar keine eigentliche Naturerkenntnis geben kann«, dies doch nur
für die Empirie gilt und durchaus nicht hindert, »nach einem Prinzip zu spüren und
zu reflektieren, welches von der Erklärung nach dem Mechanismus der Natur ganz
verschieden ist« (Kritik der Urteilskraft, § 70).
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[776/0255] Die Entstehung einer neuen Welt. übergehende Strömungen irreführen; wir werden mit Notwendigkeit immer wieder auf Mechanismus zurückkommen, und so lange der Germane vorherrscht, wird er diese seine Auffassung auch den Nicht- germanen aufzwingen. Ich rede nicht von Theorien, das gehört an einen anderen Ort; wie aber auch die Theorie ausfalle, »mechanisch« wird sie hinfürder immer sein, das ist ein unweigerliches Gebot des germanischen Denkens; denn so nur vermag es das Äussere und das Innere in fruchtbarer Wechselwirkung zu erhalten. Dies gilt — für uns — so uneingeschränkt, dass ich mich gar nicht entschliessen kann, das Mechanische als eine Theorie und daher als zur »Wissen- schaft« gehörig zu betrachten, sondern es vielmehr als eine Entdeck- ung, als eine feststehende Thatsache auffassen zu müssen glaube. Rechtfertigen mag dies der Philosoph, doch bildet für den gemeinen Mann der Siegeslauf unserer greifbaren Entdeckungen genügende Gewähr; denn der streng festgehaltene mechanische Gedanke war von Anfang an bis zum heutigen Tage der Ariadnefaden, der uns durch alle sich querenden Irrgänge sicher hindurchführte. »Wir bekennen uns zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkeln ins Helle strebt,« schrieb ich auf das Titelblatt dieses Buches: was uns in der Welt der empiri- schen Erfahrung aus dem Dunkeln ins Helle geführt hat und noch führt, war und ist das unbeirrte Festhalten am Mechanismus. Dadurch — und nur dadurch — haben wir eine Menge der Erkenntnis und eine Herrschaft über die Natur erworben, wie nie eine andere Menschen- art. 1) Dieser Sieg des Mechanismus bedeutet nun den notwendigen, völligen Untergang aller materialistischen Religion. Das Ergebnis ist unerwartet, doch unanfechtbar. Jüdische Weltchronik konnte für Cosmas Indicopleustes Bedeutung haben, für uns kann sie es nicht; dem Universum gegenüber, wie wir es heute kennen, ist sie einfach absurd. Ebenso unhaltbar ist aber dem Mechanismus gegenüber alle Magie, wie sie — dem Orient entnommen — in kaum verhüllter Ge- stalt einen so wesentlichen Bestandteil des sogenannten christlichen Credos ausmacht (siehe S. 636, 640). Mechanismus in der Welt- 1) Da man in einem philosophisch so sehr verrohten Zeitalter Missverständ- nisse in allen Dingen immer befürchten muss, setze ich hinzu (mit Kant’s Worten), dass wenn es auch, »ohne den Mechanismus zum Grunde der Nachforschung zu legen, gar keine eigentliche Naturerkenntnis geben kann«, dies doch nur für die Empirie gilt und durchaus nicht hindert, »nach einem Prinzip zu spüren und zu reflektieren, welches von der Erklärung nach dem Mechanismus der Natur ganz verschieden ist« (Kritik der Urteilskraft, § 70).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/255>, abgerufen am 29.03.2024.