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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
einigkeit nennen. Dank dem Einfluss hellenischer Denkart ist die
Dogmenbildung der christlichen Kirche um jene gefährlichste Klippe,
den semitischen Monotheismus (trotz der heftigen Gegenwehr der Juden-
christen) glücklich vorbeigesteuert und hat in ihren sonst bedenklich
"verjudeten" Gottesbegriff die heilige Dreizahl der Arier hinübergerettet.1)
Dass die Drei bei den Indoeuropäern überall wiederkehrt, ist allbekannt;
sie ist, wie Goethe sagt:

die ewig unveraltete,
Dreinamig-Dreigestaltete.

Wir finden sie in den drei Gruppen der indischen Götter, später dann
(mehrere Jahrhunderte vor Christo) zu der ausführlichen und ausdrück-
lichen Dreieinigkeitslehre, der Trimaurti, ausgebildet: "Er, welcher Vishnu
ist, ist auch Civa, und er, welcher Civa ist, ist auch Brahma: ein
Wesen, aber drei Götter." Und von dem fernen Osten aus lässt sich
die Vorstellung bis an die Küsten des Atlantischen Ozeans verfolgen,
wo Patricius das Kleeblatt bei den Druiden als Symbol der Dreieinig-
keit vorfand. Bei poetisch-metaphysisch beanlagten Stämmen musste
sich diese Dreizahl schon früh aufdrängen, denn gerade sie, und sie
allein, ist weder ein Zufall (wie die von den Fingern entnommene
Fünf- resp. Zehnzahl), noch eine rabbulistisch herausgerechnete Zahl
(wie z. B. die von den vermeintlichen sieben Gestirnen entnommene
Sieben), sondern sie drückt ein Grundphänomen aus, so zwar, dass die
Vorstellung einer Dreieinigkeit fast eher eine Erfahrung als ein Symbol
genannt werden könnte. Dass alle menschliche Erkenntnis auf drei
Grundformen beruhe -- Zeit, Raum, Ursächlichkeit -- hatten schon
die Verfasser der Upanishaden ausgesprochen, zugleich, dass daraus
nicht eine Dreiheit, sondern (um mit Kant zu sprechen) eine "Einheit
der Apperception" erfolge; der Raum sowie die Zeit sind unteilbare
Einheiten, besitzen jedoch drei Dimensionen. Kurz, die Dreifaltigkeit
als Einheit umringt uns auf allen Seiten als ein Urphänomen der Er-
fahrung und spiegelt sich bis ins Einzelne wieder. So hat z. B. die
neueste Wissenschaft bewiesen, dass ausnahmslos jedes Element drei

1) Dass die Indoeuropäer ebenfalls im tiefsten Grunde Monotheisten sind,
habe ich schon früher, dem weitverbreiteten populären Irrtum entgegen, hervorge-
hoben (siehe S. 224 und 402), man |vergleiche auch Jak. Grimm in der Vorrede
zu seiner Deutschen Mythologie (S. XLIV--XLV) und Max Müller in seinen Vor-
lesungen über die Sprachwissenschaft
(II, 385). Die Art des Monotheismus bedingt
jedoch eine prinzipielle Unterscheidung von der semitischen Auffassung.

Der Kampf.
einigkeit nennen. Dank dem Einfluss hellenischer Denkart ist die
Dogmenbildung der christlichen Kirche um jene gefährlichste Klippe,
den semitischen Monotheismus (trotz der heftigen Gegenwehr der Juden-
christen) glücklich vorbeigesteuert und hat in ihren sonst bedenklich
»verjudeten« Gottesbegriff die heilige Dreizahl der Arier hinübergerettet.1)
Dass die Drei bei den Indoeuropäern überall wiederkehrt, ist allbekannt;
sie ist, wie Goethe sagt:

die ewig unveraltete,
Dreinamig-Dreigestaltete.

Wir finden sie in den drei Gruppen der indischen Götter, später dann
(mehrere Jahrhunderte vor Christo) zu der ausführlichen und ausdrück-
lichen Dreieinigkeitslehre, der Trimûrti, ausgebildet: »Er, welcher Vishnu
ist, ist auch Çiva, und er, welcher Çiva ist, ist auch Brahma: ein
Wesen, aber drei Götter.« Und von dem fernen Osten aus lässt sich
die Vorstellung bis an die Küsten des Atlantischen Ozeans verfolgen,
wo Patricius das Kleeblatt bei den Druiden als Symbol der Dreieinig-
keit vorfand. Bei poetisch-metaphysisch beanlagten Stämmen musste
sich diese Dreizahl schon früh aufdrängen, denn gerade sie, und sie
allein, ist weder ein Zufall (wie die von den Fingern entnommene
Fünf- resp. Zehnzahl), noch eine rabbulistisch herausgerechnete Zahl
(wie z. B. die von den vermeintlichen sieben Gestirnen entnommene
Sieben), sondern sie drückt ein Grundphänomen aus, so zwar, dass die
Vorstellung einer Dreieinigkeit fast eher eine Erfahrung als ein Symbol
genannt werden könnte. Dass alle menschliche Erkenntnis auf drei
Grundformen beruhe — Zeit, Raum, Ursächlichkeit — hatten schon
die Verfasser der Upanishaden ausgesprochen, zugleich, dass daraus
nicht eine Dreiheit, sondern (um mit Kant zu sprechen) eine »Einheit
der Apperception« erfolge; der Raum sowie die Zeit sind unteilbare
Einheiten, besitzen jedoch drei Dimensionen. Kurz, die Dreifaltigkeit
als Einheit umringt uns auf allen Seiten als ein Urphänomen der Er-
fahrung und spiegelt sich bis ins Einzelne wieder. So hat z. B. die
neueste Wissenschaft bewiesen, dass ausnahmslos jedes Element drei

1) Dass die Indoeuropäer ebenfalls im tiefsten Grunde Monotheisten sind,
habe ich schon früher, dem weitverbreiteten populären Irrtum entgegen, hervorge-
hoben (siehe S. 224 und 402), man |vergleiche auch Jak. Grimm in der Vorrede
zu seiner Deutschen Mythologie (S. XLIV—XLV) und Max Müller in seinen Vor-
lesungen über die Sprachwissenschaft
(II, 385). Die Art des Monotheismus bedingt
jedoch eine prinzipielle Unterscheidung von der semitischen Auffassung.
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[554/0033] Der Kampf. einigkeit nennen. Dank dem Einfluss hellenischer Denkart ist die Dogmenbildung der christlichen Kirche um jene gefährlichste Klippe, den semitischen Monotheismus (trotz der heftigen Gegenwehr der Juden- christen) glücklich vorbeigesteuert und hat in ihren sonst bedenklich »verjudeten« Gottesbegriff die heilige Dreizahl der Arier hinübergerettet. 1) Dass die Drei bei den Indoeuropäern überall wiederkehrt, ist allbekannt; sie ist, wie Goethe sagt: die ewig unveraltete, Dreinamig-Dreigestaltete. Wir finden sie in den drei Gruppen der indischen Götter, später dann (mehrere Jahrhunderte vor Christo) zu der ausführlichen und ausdrück- lichen Dreieinigkeitslehre, der Trimûrti, ausgebildet: »Er, welcher Vishnu ist, ist auch Çiva, und er, welcher Çiva ist, ist auch Brahma: ein Wesen, aber drei Götter.« Und von dem fernen Osten aus lässt sich die Vorstellung bis an die Küsten des Atlantischen Ozeans verfolgen, wo Patricius das Kleeblatt bei den Druiden als Symbol der Dreieinig- keit vorfand. Bei poetisch-metaphysisch beanlagten Stämmen musste sich diese Dreizahl schon früh aufdrängen, denn gerade sie, und sie allein, ist weder ein Zufall (wie die von den Fingern entnommene Fünf- resp. Zehnzahl), noch eine rabbulistisch herausgerechnete Zahl (wie z. B. die von den vermeintlichen sieben Gestirnen entnommene Sieben), sondern sie drückt ein Grundphänomen aus, so zwar, dass die Vorstellung einer Dreieinigkeit fast eher eine Erfahrung als ein Symbol genannt werden könnte. Dass alle menschliche Erkenntnis auf drei Grundformen beruhe — Zeit, Raum, Ursächlichkeit — hatten schon die Verfasser der Upanishaden ausgesprochen, zugleich, dass daraus nicht eine Dreiheit, sondern (um mit Kant zu sprechen) eine »Einheit der Apperception« erfolge; der Raum sowie die Zeit sind unteilbare Einheiten, besitzen jedoch drei Dimensionen. Kurz, die Dreifaltigkeit als Einheit umringt uns auf allen Seiten als ein Urphänomen der Er- fahrung und spiegelt sich bis ins Einzelne wieder. So hat z. B. die neueste Wissenschaft bewiesen, dass ausnahmslos jedes Element drei 1) Dass die Indoeuropäer ebenfalls im tiefsten Grunde Monotheisten sind, habe ich schon früher, dem weitverbreiteten populären Irrtum entgegen, hervorge- hoben (siehe S. 224 und 402), man |vergleiche auch Jak. Grimm in der Vorrede zu seiner Deutschen Mythologie (S. XLIV—XLV) und Max Müller in seinen Vor- lesungen über die Sprachwissenschaft (II, 385). Die Art des Monotheismus bedingt jedoch eine prinzipielle Unterscheidung von der semitischen Auffassung.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/33>, abgerufen am 18.04.2024.