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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
bin ich eben zu einer weitgehenden Vereinfachung gezwungen, sonst
kämen vor lauter Material nur Schattenbilder zu Stande. Paulus ist ohne
alle Frage der mächtigste "Baumeister" des Christentums (wie er sich
selber nennt), und mir lag daran zu zeigen: erstens, dass er durch Ein-
führung des jüdischen chronistischen und materiellen Standpunktes auch
das intolerant Dogmatische mit begründet und dadurch namenloses
späteres Unheil veranlasst hat, und zweitens, dass selbst wenn wir auf
den reinen, unverfälschten Paulinismus zurückgehen, wir auf unlösbare,
feindliche Widersprüche stossen -- Widersprüche, die in der Seele dieses
einen bestimmten Mannes historisch leicht zu erklären sind, die aber, zu
dauernden Glaubenssätzen für alle Menschen gestempelt, notwendiger
Weise Zwist zwischen ihnen säen und den Kampf bis in das Herz des
Einzelnen fortpflanzen mussten. Dieses unselige Zwitterhafte ist denn auch
von Beginn an ein Merkmal des Christentums. Alles Widerspruchsvolle,
Unbegreifliche in den nie endenden Streitigkeiten der ersten christlichen
Jahrhunderte, während welcher das neue Religionsgebäude so schwer
und schwerfällig und inkonsequent und mühevoll und (wenn man von
einzelnen grossen Geistern absieht) im Ganzen so würdelos, Stein für
Stein errichtet wurde, -- die späteren Verirrungen des menschlichen
Geistes in der Scholastik, die blutigen Kriege der Konfessionen, die
heillose Verwirrung der heutigen Zeit mit ihrem Babel von Bekenntnissen,
die nur durch das weltliche Schwert vom offenen Kriege gegeneinander
zurückgehalten werden, das Ganze übertönt von der schrillen Stimme
der Blasphemie, während viele der edelsten Menschen sich beide Ohren
zuhalten, da sie lieber gar keine Heilsbotschaft vernehmen, als eine der-
artig kakophonische -- -- -- das alles hat seinen letzten Grund in dem
fundamentalen Zwitterhaften des Christentums. Von dem Tage an,
wo (etwa 18 Jahre nach dem Tode Christi) der Streit ausbrach zwischen
den Gemeinden von Antiochien und Jerusalem, ob die Bekenner Jesu
sich müssten beschneiden lassen oder nicht, bis heute, wo Petrus und
Paulus sich viel schärfer gegenüberstehen als damals (siehe Galater II, 14),
hat das Christentum hieran gekrankt. Und zwar um so mehr, als von
Paulus bis Pionono Niemand sich dieses einfache, auf der Hand liegende
Verhältnis vergegenwärtigt zu haben scheint: ich meine den Rassen-
antagonismus, sowie die Thatsache, dass hier ewig unvereinbare, sich
gegenseitig ausschliessende Religionsideale nebeneinander liegen. Und
so kam es denn, dass die erste göttliche Offenbarung einer Religion
der Liebe zu einer Religion des Hasses führte, wie sie die Welt noch
niemals erlebt hatte. Die Nachfolger des Mannes, der sich ohne Wehr

Religion.
bin ich eben zu einer weitgehenden Vereinfachung gezwungen, sonst
kämen vor lauter Material nur Schattenbilder zu Stande. Paulus ist ohne
alle Frage der mächtigste »Baumeister« des Christentums (wie er sich
selber nennt), und mir lag daran zu zeigen: erstens, dass er durch Ein-
führung des jüdischen chronistischen und materiellen Standpunktes auch
das intolerant Dogmatische mit begründet und dadurch namenloses
späteres Unheil veranlasst hat, und zweitens, dass selbst wenn wir auf
den reinen, unverfälschten Paulinismus zurückgehen, wir auf unlösbare,
feindliche Widersprüche stossen — Widersprüche, die in der Seele dieses
einen bestimmten Mannes historisch leicht zu erklären sind, die aber, zu
dauernden Glaubenssätzen für alle Menschen gestempelt, notwendiger
Weise Zwist zwischen ihnen säen und den Kampf bis in das Herz des
Einzelnen fortpflanzen mussten. Dieses unselige Zwitterhafte ist denn auch
von Beginn an ein Merkmal des Christentums. Alles Widerspruchsvolle,
Unbegreifliche in den nie endenden Streitigkeiten der ersten christlichen
Jahrhunderte, während welcher das neue Religionsgebäude so schwer
und schwerfällig und inkonsequent und mühevoll und (wenn man von
einzelnen grossen Geistern absieht) im Ganzen so würdelos, Stein für
Stein errichtet wurde, — die späteren Verirrungen des menschlichen
Geistes in der Scholastik, die blutigen Kriege der Konfessionen, die
heillose Verwirrung der heutigen Zeit mit ihrem Babel von Bekenntnissen,
die nur durch das weltliche Schwert vom offenen Kriege gegeneinander
zurückgehalten werden, das Ganze übertönt von der schrillen Stimme
der Blasphemie, während viele der edelsten Menschen sich beide Ohren
zuhalten, da sie lieber gar keine Heilsbotschaft vernehmen, als eine der-
artig kakophonische — — — das alles hat seinen letzten Grund in dem
fundamentalen Zwitterhaften des Christentums. Von dem Tage an,
wo (etwa 18 Jahre nach dem Tode Christi) der Streit ausbrach zwischen
den Gemeinden von Antiochien und Jerusalem, ob die Bekenner Jesu
sich müssten beschneiden lassen oder nicht, bis heute, wo Petrus und
Paulus sich viel schärfer gegenüberstehen als damals (siehe Galater II, 14),
hat das Christentum hieran gekrankt. Und zwar um so mehr, als von
Paulus bis Pionono Niemand sich dieses einfache, auf der Hand liegende
Verhältnis vergegenwärtigt zu haben scheint: ich meine den Rassen-
antagonismus, sowie die Thatsache, dass hier ewig unvereinbare, sich
gegenseitig ausschliessende Religionsideale nebeneinander liegen. Und
so kam es denn, dass die erste göttliche Offenbarung einer Religion
der Liebe zu einer Religion des Hasses führte, wie sie die Welt noch
niemals erlebt hatte. Die Nachfolger des Mannes, der sich ohne Wehr

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[591/0070] Religion. bin ich eben zu einer weitgehenden Vereinfachung gezwungen, sonst kämen vor lauter Material nur Schattenbilder zu Stande. Paulus ist ohne alle Frage der mächtigste »Baumeister« des Christentums (wie er sich selber nennt), und mir lag daran zu zeigen: erstens, dass er durch Ein- führung des jüdischen chronistischen und materiellen Standpunktes auch das intolerant Dogmatische mit begründet und dadurch namenloses späteres Unheil veranlasst hat, und zweitens, dass selbst wenn wir auf den reinen, unverfälschten Paulinismus zurückgehen, wir auf unlösbare, feindliche Widersprüche stossen — Widersprüche, die in der Seele dieses einen bestimmten Mannes historisch leicht zu erklären sind, die aber, zu dauernden Glaubenssätzen für alle Menschen gestempelt, notwendiger Weise Zwist zwischen ihnen säen und den Kampf bis in das Herz des Einzelnen fortpflanzen mussten. Dieses unselige Zwitterhafte ist denn auch von Beginn an ein Merkmal des Christentums. Alles Widerspruchsvolle, Unbegreifliche in den nie endenden Streitigkeiten der ersten christlichen Jahrhunderte, während welcher das neue Religionsgebäude so schwer und schwerfällig und inkonsequent und mühevoll und (wenn man von einzelnen grossen Geistern absieht) im Ganzen so würdelos, Stein für Stein errichtet wurde, — die späteren Verirrungen des menschlichen Geistes in der Scholastik, die blutigen Kriege der Konfessionen, die heillose Verwirrung der heutigen Zeit mit ihrem Babel von Bekenntnissen, die nur durch das weltliche Schwert vom offenen Kriege gegeneinander zurückgehalten werden, das Ganze übertönt von der schrillen Stimme der Blasphemie, während viele der edelsten Menschen sich beide Ohren zuhalten, da sie lieber gar keine Heilsbotschaft vernehmen, als eine der- artig kakophonische — — — das alles hat seinen letzten Grund in dem fundamentalen Zwitterhaften des Christentums. Von dem Tage an, wo (etwa 18 Jahre nach dem Tode Christi) der Streit ausbrach zwischen den Gemeinden von Antiochien und Jerusalem, ob die Bekenner Jesu sich müssten beschneiden lassen oder nicht, bis heute, wo Petrus und Paulus sich viel schärfer gegenüberstehen als damals (siehe Galater II, 14), hat das Christentum hieran gekrankt. Und zwar um so mehr, als von Paulus bis Pionono Niemand sich dieses einfache, auf der Hand liegende Verhältnis vergegenwärtigt zu haben scheint: ich meine den Rassen- antagonismus, sowie die Thatsache, dass hier ewig unvereinbare, sich gegenseitig ausschliessende Religionsideale nebeneinander liegen. Und so kam es denn, dass die erste göttliche Offenbarung einer Religion der Liebe zu einer Religion des Hasses führte, wie sie die Welt noch niemals erlebt hatte. Die Nachfolger des Mannes, der sich ohne Wehr

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/70>, abgerufen am 28.03.2024.