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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
einigkeit, von dem Verhältnis des Sohnes zum Vater, des Logos zur
Menschwerdung u. s. w. -- auch das ganze Dogma. Der Neo-
platonismus und das, was man berechtigt wäre, den Neoaristotelismus
zu nennen, standen damals in hoher Blüte; alle hellenisch Gebildeten,
gleichviel welcher Nationalität angehörig, befassten sich mit pseudo-
metaphysischen Spekulationen. Paulus zwar ist sehr vorsichtig in der
Anwendung philosophischer Argumente; nur als eine Waffe, zur Über-
zeugung, zur Widerlegung gebraucht er sie; dagegen fügt der Ver-
fasser des Evangeliums Johannis ohne Weiteres das Leben Jesu Christi
und die mythische Metaphysik des späten Hellenentums ineinander. Von
diesem Beginn an ist während drei Jahrhunderte die Geschichte christ-
lichen Denkens und christlicher Glaubensgestaltung eine ausschliesslich
griechische; dann dauerte es noch ungefähr dreihundert Jahre, bis mit
der nachträglichen Anathematisierung des grössten hellenischen Christen,
Origenes, auf der konstantinopolitanischen Synode des Jahres 543, die
hellenische Theologie endgültig zum Schweigen gebracht wurde. Judai-
sierenden Sekten aus jener Zeit, wie den Nazarenern, Ebionitern u. s. w.
kommt keine bleibende Bedeutung zu. Rom, als Mittelpunkt des
Reiches und alles Verkehrs, gab natürlich und notwendig sofort den
organisatorischen Mittelpunkt, wie für alles Übrige im römischen
Reiche, so auch für die Sekte der Christen ab; theologische Gedanken
sind aber charakteristischer Weise keine daher gekommen; als end-
lich, zu Beginn des 3. Jahrhunderts, eine "lateinische Theologie" ent-
stand, so geschah das nicht in Italien, sondern in Afrika, und eine
recht störrische, für Rom unbequeme Kirche und Theologie war das,
bis die Vandalen und später die Araber sie vernichtet hatten. Die
Afrikaner wirkten aber im letzten Ende doch für Rom, ebenso wie auch
alle diejenigen Griechen, welche -- wie Irenäus -- in den Bannkreis
dieser übermächtigen Gewalt hineingerieten. Nicht allein betrachteten
sie den Vorrang Rom's als etwas Selbstverständliches, sondern sie be-
kämpften alle jene hellenischen Vorstellungen, welche das lediglich auf
Politik und Verwaltung ausgehende Rom für schädlich halten musste,
vor Allem also den hellenischen Geist überhaupt in seinem ganzen
Eigenwesen, welches jedem Krystallisationsprozess abhold war und in
Forschung, Spekulation und Neugestaltung stets ins Unbeschränkte strebte.

Im Grunde genommen handelt es sich hier um einen Kampf
zwischen dem gänzlich entseelten, doch in administrativer Hinsicht bis
zur höchsten Virtuosität ausgebildeten, imperialen Rom, und dem
zum letzten Mal aufflackernden alten Geist des schöpferischen Hellenen-

Der Kampf.
einigkeit, von dem Verhältnis des Sohnes zum Vater, des Logos zur
Menschwerdung u. s. w. — auch das ganze Dogma. Der Neo-
platonismus und das, was man berechtigt wäre, den Neoaristotelismus
zu nennen, standen damals in hoher Blüte; alle hellenisch Gebildeten,
gleichviel welcher Nationalität angehörig, befassten sich mit pseudo-
metaphysischen Spekulationen. Paulus zwar ist sehr vorsichtig in der
Anwendung philosophischer Argumente; nur als eine Waffe, zur Über-
zeugung, zur Widerlegung gebraucht er sie; dagegen fügt der Ver-
fasser des Evangeliums Johannis ohne Weiteres das Leben Jesu Christi
und die mythische Metaphysik des späten Hellenentums ineinander. Von
diesem Beginn an ist während drei Jahrhunderte die Geschichte christ-
lichen Denkens und christlicher Glaubensgestaltung eine ausschliesslich
griechische; dann dauerte es noch ungefähr dreihundert Jahre, bis mit
der nachträglichen Anathematisierung des grössten hellenischen Christen,
Origenes, auf der konstantinopolitanischen Synode des Jahres 543, die
hellenische Theologie endgültig zum Schweigen gebracht wurde. Judai-
sierenden Sekten aus jener Zeit, wie den Nazarenern, Ebionitern u. s. w.
kommt keine bleibende Bedeutung zu. Rom, als Mittelpunkt des
Reiches und alles Verkehrs, gab natürlich und notwendig sofort den
organisatorischen Mittelpunkt, wie für alles Übrige im römischen
Reiche, so auch für die Sekte der Christen ab; theologische Gedanken
sind aber charakteristischer Weise keine daher gekommen; als end-
lich, zu Beginn des 3. Jahrhunderts, eine »lateinische Theologie« ent-
stand, so geschah das nicht in Italien, sondern in Afrika, und eine
recht störrische, für Rom unbequeme Kirche und Theologie war das,
bis die Vandalen und später die Araber sie vernichtet hatten. Die
Afrikaner wirkten aber im letzten Ende doch für Rom, ebenso wie auch
alle diejenigen Griechen, welche — wie Irenäus — in den Bannkreis
dieser übermächtigen Gewalt hineingerieten. Nicht allein betrachteten
sie den Vorrang Rom’s als etwas Selbstverständliches, sondern sie be-
kämpften alle jene hellenischen Vorstellungen, welche das lediglich auf
Politik und Verwaltung ausgehende Rom für schädlich halten musste,
vor Allem also den hellenischen Geist überhaupt in seinem ganzen
Eigenwesen, welches jedem Krystallisationsprozess abhold war und in
Forschung, Spekulation und Neugestaltung stets ins Unbeschränkte strebte.

Im Grunde genommen handelt es sich hier um einen Kampf
zwischen dem gänzlich entseelten, doch in administrativer Hinsicht bis
zur höchsten Virtuosität ausgebildeten, imperialen Rom, und dem
zum letzten Mal aufflackernden alten Geist des schöpferischen Hellenen-

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[602/0081] Der Kampf. einigkeit, von dem Verhältnis des Sohnes zum Vater, des Logos zur Menschwerdung u. s. w. — auch das ganze Dogma. Der Neo- platonismus und das, was man berechtigt wäre, den Neoaristotelismus zu nennen, standen damals in hoher Blüte; alle hellenisch Gebildeten, gleichviel welcher Nationalität angehörig, befassten sich mit pseudo- metaphysischen Spekulationen. Paulus zwar ist sehr vorsichtig in der Anwendung philosophischer Argumente; nur als eine Waffe, zur Über- zeugung, zur Widerlegung gebraucht er sie; dagegen fügt der Ver- fasser des Evangeliums Johannis ohne Weiteres das Leben Jesu Christi und die mythische Metaphysik des späten Hellenentums ineinander. Von diesem Beginn an ist während drei Jahrhunderte die Geschichte christ- lichen Denkens und christlicher Glaubensgestaltung eine ausschliesslich griechische; dann dauerte es noch ungefähr dreihundert Jahre, bis mit der nachträglichen Anathematisierung des grössten hellenischen Christen, Origenes, auf der konstantinopolitanischen Synode des Jahres 543, die hellenische Theologie endgültig zum Schweigen gebracht wurde. Judai- sierenden Sekten aus jener Zeit, wie den Nazarenern, Ebionitern u. s. w. kommt keine bleibende Bedeutung zu. Rom, als Mittelpunkt des Reiches und alles Verkehrs, gab natürlich und notwendig sofort den organisatorischen Mittelpunkt, wie für alles Übrige im römischen Reiche, so auch für die Sekte der Christen ab; theologische Gedanken sind aber charakteristischer Weise keine daher gekommen; als end- lich, zu Beginn des 3. Jahrhunderts, eine »lateinische Theologie« ent- stand, so geschah das nicht in Italien, sondern in Afrika, und eine recht störrische, für Rom unbequeme Kirche und Theologie war das, bis die Vandalen und später die Araber sie vernichtet hatten. Die Afrikaner wirkten aber im letzten Ende doch für Rom, ebenso wie auch alle diejenigen Griechen, welche — wie Irenäus — in den Bannkreis dieser übermächtigen Gewalt hineingerieten. Nicht allein betrachteten sie den Vorrang Rom’s als etwas Selbstverständliches, sondern sie be- kämpften alle jene hellenischen Vorstellungen, welche das lediglich auf Politik und Verwaltung ausgehende Rom für schädlich halten musste, vor Allem also den hellenischen Geist überhaupt in seinem ganzen Eigenwesen, welches jedem Krystallisationsprozess abhold war und in Forschung, Spekulation und Neugestaltung stets ins Unbeschränkte strebte. Im Grunde genommen handelt es sich hier um einen Kampf zwischen dem gänzlich entseelten, doch in administrativer Hinsicht bis zur höchsten Virtuosität ausgebildeten, imperialen Rom, und dem zum letzten Mal aufflackernden alten Geist des schöpferischen Hellenen-

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/81>, abgerufen am 28.03.2024.