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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
wissenschaftlicher Theologie und Kosmologie das Existenzrecht zu
sichern.1) Was diese hellenischen Christen also erstrebten, war ein
Zustand von Freiheit innerhalb der Orthodoxie, demjenigen vergleich-
bar, der in Indien geherrscht hat.2) Gerade das aber war es, was Rom
und der Kaiser verhüten wollten: es sollte nichts mehr schwankend,
nichts mehr unsicher bleiben, sondern wie auf jedem andern Gebiete,
so sollte auch auf dem der Religion fortan absolute Einförmigkeit im
ganzen römischen Reiche Gesetz sein. Wie unerträglich dem hoch-
gebildeten hellenischen Geist das bornierte und "bornierende" Dogmati-
sieren war, erhellt zur Genüge aus der einen Thatsache, dass Gregor von
Nazianz, ein Mann, den die römische Kirche seiner Rechtgläubigkeit
wegen zu ihren Heiligen zählt, noch im Jahre 380 (also lange
nach dem nicänischen Konzil) schreiben konnte: "Einige unserer
Theologen halten den heiligen Geist für eine gewisse Wirkungsweise
Gottes, Andere für ein Geschöpf Gottes, Andere für Gott selbst;
Andere sagen, sie wüssten selbst nicht, welches sie annehmen sollten,
aus Ehrfurcht vor der heiligen Schrift, die sich nicht deutlich darüber
erkläre."3) Doch das kaiserlich-römische Prinzip konnte nicht vor der
heiligen Schrift abdanken; ein Tüttelchen Gedankenfreiheit und ihre
unbeschränkte Autorität wäre gefährdet gewesen. Darum wurde auf
der zweiten allgemeinen Synode zu Constantinopel (im Jahre 381)
das Glaubensbekenntnis noch ergänzt, in der Absicht, die letzten
Luken zu verstopfen, und auf der dritten allgemeinen Synode, gehalten
zu Ephesus im Jahre 431, wurde ausdrücklich bestimmt, "es dürfe
diesem Bekenntnis bei Strafe der Exkommunikation nichts hinzugefügt
und nichts von ihm weggenommen werden."4) So wurde die geistige
Bewegung des sterbenden Hellenentums, die über drei Jahrhunderte
gedauert hatte, endgültig zum Stillstand gebracht. Wie das im Einzelnen
geschehen war, mag man in Geschichtswerken nachlesen; doch sind
die Werke der Theologen (aller Kirchen) mit grosser Vorsicht zu ge-
brauchen, denn ein sehr natürliches Schamgefühl lässt sie über die be-
gleitenden Umstände der einzelnen Konzilien, in denen der dogmatische
Glaube des Christentums angeblich "für ewige Zeiten" festgestellt wurde,

1) Karl Müller: Kirchengeschichte I, 181.
2) Vergl. S. 406 fg.
3) Nach Neander: Kirchengeschichtc IV, 109. Nach Hefele: Konziliengeschichte II, 8
hat es auch den Anschein, als ob Gregor von Nazianz das erweiterte Symbolum
von Constantinopel (im Jahre 381) nicht mitberaten und nicht mitunterschrieben hätte.
4) Hefele: Konziliengeschichte II, 11 fg., 372.

Der Kampf.
wissenschaftlicher Theologie und Kosmologie das Existenzrecht zu
sichern.1) Was diese hellenischen Christen also erstrebten, war ein
Zustand von Freiheit innerhalb der Orthodoxie, demjenigen vergleich-
bar, der in Indien geherrscht hat.2) Gerade das aber war es, was Rom
und der Kaiser verhüten wollten: es sollte nichts mehr schwankend,
nichts mehr unsicher bleiben, sondern wie auf jedem andern Gebiete,
so sollte auch auf dem der Religion fortan absolute Einförmigkeit im
ganzen römischen Reiche Gesetz sein. Wie unerträglich dem hoch-
gebildeten hellenischen Geist das bornierte und »bornierende« Dogmati-
sieren war, erhellt zur Genüge aus der einen Thatsache, dass Gregor von
Nazianz, ein Mann, den die römische Kirche seiner Rechtgläubigkeit
wegen zu ihren Heiligen zählt, noch im Jahre 380 (also lange
nach dem nicänischen Konzil) schreiben konnte: »Einige unserer
Theologen halten den heiligen Geist für eine gewisse Wirkungsweise
Gottes, Andere für ein Geschöpf Gottes, Andere für Gott selbst;
Andere sagen, sie wüssten selbst nicht, welches sie annehmen sollten,
aus Ehrfurcht vor der heiligen Schrift, die sich nicht deutlich darüber
erkläre.«3) Doch das kaiserlich-römische Prinzip konnte nicht vor der
heiligen Schrift abdanken; ein Tüttelchen Gedankenfreiheit und ihre
unbeschränkte Autorität wäre gefährdet gewesen. Darum wurde auf
der zweiten allgemeinen Synode zu Constantinopel (im Jahre 381)
das Glaubensbekenntnis noch ergänzt, in der Absicht, die letzten
Luken zu verstopfen, und auf der dritten allgemeinen Synode, gehalten
zu Ephesus im Jahre 431, wurde ausdrücklich bestimmt, »es dürfe
diesem Bekenntnis bei Strafe der Exkommunikation nichts hinzugefügt
und nichts von ihm weggenommen werden.«4) So wurde die geistige
Bewegung des sterbenden Hellenentums, die über drei Jahrhunderte
gedauert hatte, endgültig zum Stillstand gebracht. Wie das im Einzelnen
geschehen war, mag man in Geschichtswerken nachlesen; doch sind
die Werke der Theologen (aller Kirchen) mit grosser Vorsicht zu ge-
brauchen, denn ein sehr natürliches Schamgefühl lässt sie über die be-
gleitenden Umstände der einzelnen Konzilien, in denen der dogmatische
Glaube des Christentums angeblich »für ewige Zeiten« festgestellt wurde,

1) Karl Müller: Kirchengeschichte I, 181.
2) Vergl. S. 406 fg.
3) Nach Neander: Kirchengeschichtc IV, 109. Nach Hefele: Konziliengeschichte II, 8
hat es auch den Anschein, als ob Gregor von Nazianz das erweiterte Symbolum
von Constantinopel (im Jahre 381) nicht mitberaten und nicht mitunterschrieben hätte.
4) Hefele: Konziliengeschichte II, 11 fg., 372.
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[604/0083] Der Kampf. wissenschaftlicher Theologie und Kosmologie das Existenzrecht zu sichern. 1) Was diese hellenischen Christen also erstrebten, war ein Zustand von Freiheit innerhalb der Orthodoxie, demjenigen vergleich- bar, der in Indien geherrscht hat. 2) Gerade das aber war es, was Rom und der Kaiser verhüten wollten: es sollte nichts mehr schwankend, nichts mehr unsicher bleiben, sondern wie auf jedem andern Gebiete, so sollte auch auf dem der Religion fortan absolute Einförmigkeit im ganzen römischen Reiche Gesetz sein. Wie unerträglich dem hoch- gebildeten hellenischen Geist das bornierte und »bornierende« Dogmati- sieren war, erhellt zur Genüge aus der einen Thatsache, dass Gregor von Nazianz, ein Mann, den die römische Kirche seiner Rechtgläubigkeit wegen zu ihren Heiligen zählt, noch im Jahre 380 (also lange nach dem nicänischen Konzil) schreiben konnte: »Einige unserer Theologen halten den heiligen Geist für eine gewisse Wirkungsweise Gottes, Andere für ein Geschöpf Gottes, Andere für Gott selbst; Andere sagen, sie wüssten selbst nicht, welches sie annehmen sollten, aus Ehrfurcht vor der heiligen Schrift, die sich nicht deutlich darüber erkläre.« 3) Doch das kaiserlich-römische Prinzip konnte nicht vor der heiligen Schrift abdanken; ein Tüttelchen Gedankenfreiheit und ihre unbeschränkte Autorität wäre gefährdet gewesen. Darum wurde auf der zweiten allgemeinen Synode zu Constantinopel (im Jahre 381) das Glaubensbekenntnis noch ergänzt, in der Absicht, die letzten Luken zu verstopfen, und auf der dritten allgemeinen Synode, gehalten zu Ephesus im Jahre 431, wurde ausdrücklich bestimmt, »es dürfe diesem Bekenntnis bei Strafe der Exkommunikation nichts hinzugefügt und nichts von ihm weggenommen werden.« 4) So wurde die geistige Bewegung des sterbenden Hellenentums, die über drei Jahrhunderte gedauert hatte, endgültig zum Stillstand gebracht. Wie das im Einzelnen geschehen war, mag man in Geschichtswerken nachlesen; doch sind die Werke der Theologen (aller Kirchen) mit grosser Vorsicht zu ge- brauchen, denn ein sehr natürliches Schamgefühl lässt sie über die be- gleitenden Umstände der einzelnen Konzilien, in denen der dogmatische Glaube des Christentums angeblich »für ewige Zeiten« festgestellt wurde, 1) Karl Müller: Kirchengeschichte I, 181. 2) Vergl. S. 406 fg. 3) Nach Neander: Kirchengeschichtc IV, 109. Nach Hefele: Konziliengeschichte II, 8 hat es auch den Anschein, als ob Gregor von Nazianz das erweiterte Symbolum von Constantinopel (im Jahre 381) nicht mitberaten und nicht mitunterschrieben hätte. 4) Hefele: Konziliengeschichte II, 11 fg., 372.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/83>, abgerufen am 19.04.2024.