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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
dienst und damit zugleich gegen Rom den Kampt aufnahm.1) Wie
kompliziert sind aber schon diese beiden soeben genannten Beispiele, so-
bald man sie aufmerksam betrachtet! Denn jene germanischen Fürsten
bestritten zwar die weltlichen Ansprüche des Papstes und die kirch-
liche Vorstellung der civitas Dei, benützten aber die päpstliche Autorität,
sobald ihnen Vorteil daraus erwuchs; und andererseits verfielen solche
Menschen, die wie Vigilantius und Leo der Isaurier aus rein religiösem
Interesse gegen Dinge loszogen, die sie für unchristlichen Unfug hielten,
ebenfalls in eine grosse Inkonsequenz, da sie die Autorität Rom's im
Prinzip nicht bestritten, sich ihr somit logischer Weise hätten unter-
werfen sollen. Die hier nur leise angedeutete Konfusion wird immer
grösser, je genauer man die Sache untersucht. Wer über weitaus-
gedehntes Wissen verfügte und sich der Darstellung dieses einen Gegen-
standes, der Opposition gegen Rom, widmete (etwa vom 9. bis zum
19. Jahrhundert), würde das merkwürdige Ergebnis zu Tage fördern,

1) Man lese in Bischof Hefele's Konziliengeschichte, Bd. III, die ausführliche
und aggressiv parteiische Darstellung des Bilderstreites; man wird sehen, dass Leo
der Isaurier und seine Ratgeber einzig und allein dem rapiden Niedergang des
religiösen Bewusstseins durch die Einführung superstitiöser unchristlicher Praktiken
zu steuern versucht haben. Ein dogmatischer Streit liegt nicht vor, ebensowenig
ein politisches Interesse; im Gegenteil, durch sein mutiges Handeln reizt der Kaiser
sein ganzes Volk, geführt von dem unabsehbaren Heer der ignoranten Mönche,
gegen sich auf, und Hefele's psychologische Erklärung, es habe dem Kaiser an ästhe-
tischem Gefühl gefehlt, ist wirklich zu kindisch naiv, um eine Widerlegung zu ver-
dienen. Dagegen sieht man täglich mehr ein, wie Recht Leo mit seiner Behauptung
hatte, die Bilderverehrung bedeute einen Rückfall ins Heidentum. In Kleinasien
verfolgt die Archäologie heute von Ort zu Ort die Umwandlung der früheren
Götter in Mitglieder des christlichen Pantheons, die nach wie vor Lokalgötter
blieben, zu denen man nach wie vor hinpilgerte und noch heute pilgert. So
z. B. wurde aus der Riesen tötenden Athena von Seleucia eine "heilige Thekla
von Seleucia"; die Altäre der Jungfrau Artemis wurden nur umgetauft zu Altären
der "Jungfrau Mutter Gottes"; der Gott von Colossus galt fortan als Erzengel
Michael -- -- -- Für die Bevölkerungen war der Unterschied kaum bemerkbar
(siehe Ramsay: The church in the Roman Empire, S. 466 fg.). Mit diesen uralten
volksmässigen, durchaus unchristlichen und antichristlichen Superstitionen hing nun
der ganze Bilderkult zusammen; die Kirche konnte so viele "distinguo" einführen wie
sie wollte, das Bild blieb doch, wie der Stein zu Mekka, ein mit magischen Kräften
begabter Gegenstand. Solchen Thatsachen gegenüber, die nicht nur in Kleinasien,
sondern in ganz Europa die Fortdauer des Glaubens an lokale wunderwirkende
Gottheiten bis auf den heutigen Tag (so weit Rom's Einfluss reicht) bewirkten
(man vergl. Renan: Marc-Aurele, ch. 34), nehmen sich die "Beweise", die
Gregor II. in seinen Briefen an Leo für die Bilderverehrung vorbringt, sehr drollig
aus. Zwei sind es namentlich, welche schlagend wirken sollen. Die von Christus

Der Kampf.
dienst und damit zugleich gegen Rom den Kampt aufnahm.1) Wie
kompliziert sind aber schon diese beiden soeben genannten Beispiele, so-
bald man sie aufmerksam betrachtet! Denn jene germanischen Fürsten
bestritten zwar die weltlichen Ansprüche des Papstes und die kirch-
liche Vorstellung der civitas Dei, benützten aber die päpstliche Autorität,
sobald ihnen Vorteil daraus erwuchs; und andererseits verfielen solche
Menschen, die wie Vigilantius und Leo der Isaurier aus rein religiösem
Interesse gegen Dinge loszogen, die sie für unchristlichen Unfug hielten,
ebenfalls in eine grosse Inkonsequenz, da sie die Autorität Rom’s im
Prinzip nicht bestritten, sich ihr somit logischer Weise hätten unter-
werfen sollen. Die hier nur leise angedeutete Konfusion wird immer
grösser, je genauer man die Sache untersucht. Wer über weitaus-
gedehntes Wissen verfügte und sich der Darstellung dieses einen Gegen-
standes, der Opposition gegen Rom, widmete (etwa vom 9. bis zum
19. Jahrhundert), würde das merkwürdige Ergebnis zu Tage fördern,

1) Man lese in Bischof Hefele’s Konziliengeschichte, Bd. III, die ausführliche
und aggressiv parteiische Darstellung des Bilderstreites; man wird sehen, dass Leo
der Isaurier und seine Ratgeber einzig und allein dem rapiden Niedergang des
religiösen Bewusstseins durch die Einführung superstitiöser unchristlicher Praktiken
zu steuern versucht haben. Ein dogmatischer Streit liegt nicht vor, ebensowenig
ein politisches Interesse; im Gegenteil, durch sein mutiges Handeln reizt der Kaiser
sein ganzes Volk, geführt von dem unabsehbaren Heer der ignoranten Mönche,
gegen sich auf, und Hefele’s psychologische Erklärung, es habe dem Kaiser an ästhe-
tischem Gefühl gefehlt, ist wirklich zu kindisch naiv, um eine Widerlegung zu ver-
dienen. Dagegen sieht man täglich mehr ein, wie Recht Leo mit seiner Behauptung
hatte, die Bilderverehrung bedeute einen Rückfall ins Heidentum. In Kleinasien
verfolgt die Archäologie heute von Ort zu Ort die Umwandlung der früheren
Götter in Mitglieder des christlichen Pantheons, die nach wie vor Lokalgötter
blieben, zu denen man nach wie vor hinpilgerte und noch heute pilgert. So
z. B. wurde aus der Riesen tötenden Athena von Seleucia eine »heilige Thekla
von Seleucia«; die Altäre der Jungfrau Artemis wurden nur umgetauft zu Altären
der »Jungfrau Mutter Gottes«; der Gott von Colossus galt fortan als Erzengel
Michael — — — Für die Bevölkerungen war der Unterschied kaum bemerkbar
(siehe Ramsay: The church in the Roman Empire, S. 466 fg.). Mit diesen uralten
volksmässigen, durchaus unchristlichen und antichristlichen Superstitionen hing nun
der ganze Bilderkult zusammen; die Kirche konnte so viele »distinguo« einführen wie
sie wollte, das Bild blieb doch, wie der Stein zu Mekka, ein mit magischen Kräften
begabter Gegenstand. Solchen Thatsachen gegenüber, die nicht nur in Kleinasien,
sondern in ganz Europa die Fortdauer des Glaubens an lokale wunderwirkende
Gottheiten bis auf den heutigen Tag (so weit Rom’s Einfluss reicht) bewirkten
(man vergl. Renan: Marc-Aurèle, ch. 34), nehmen sich die »Beweise«, die
Gregor II. in seinen Briefen an Leo für die Bilderverehrung vorbringt, sehr drollig
aus. Zwei sind es namentlich, welche schlagend wirken sollen. Die von Christus
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[612/0091] Der Kampf. dienst und damit zugleich gegen Rom den Kampt aufnahm. 1) Wie kompliziert sind aber schon diese beiden soeben genannten Beispiele, so- bald man sie aufmerksam betrachtet! Denn jene germanischen Fürsten bestritten zwar die weltlichen Ansprüche des Papstes und die kirch- liche Vorstellung der civitas Dei, benützten aber die päpstliche Autorität, sobald ihnen Vorteil daraus erwuchs; und andererseits verfielen solche Menschen, die wie Vigilantius und Leo der Isaurier aus rein religiösem Interesse gegen Dinge loszogen, die sie für unchristlichen Unfug hielten, ebenfalls in eine grosse Inkonsequenz, da sie die Autorität Rom’s im Prinzip nicht bestritten, sich ihr somit logischer Weise hätten unter- werfen sollen. Die hier nur leise angedeutete Konfusion wird immer grösser, je genauer man die Sache untersucht. Wer über weitaus- gedehntes Wissen verfügte und sich der Darstellung dieses einen Gegen- standes, der Opposition gegen Rom, widmete (etwa vom 9. bis zum 19. Jahrhundert), würde das merkwürdige Ergebnis zu Tage fördern, 1) Man lese in Bischof Hefele’s Konziliengeschichte, Bd. III, die ausführliche und aggressiv parteiische Darstellung des Bilderstreites; man wird sehen, dass Leo der Isaurier und seine Ratgeber einzig und allein dem rapiden Niedergang des religiösen Bewusstseins durch die Einführung superstitiöser unchristlicher Praktiken zu steuern versucht haben. Ein dogmatischer Streit liegt nicht vor, ebensowenig ein politisches Interesse; im Gegenteil, durch sein mutiges Handeln reizt der Kaiser sein ganzes Volk, geführt von dem unabsehbaren Heer der ignoranten Mönche, gegen sich auf, und Hefele’s psychologische Erklärung, es habe dem Kaiser an ästhe- tischem Gefühl gefehlt, ist wirklich zu kindisch naiv, um eine Widerlegung zu ver- dienen. Dagegen sieht man täglich mehr ein, wie Recht Leo mit seiner Behauptung hatte, die Bilderverehrung bedeute einen Rückfall ins Heidentum. In Kleinasien verfolgt die Archäologie heute von Ort zu Ort die Umwandlung der früheren Götter in Mitglieder des christlichen Pantheons, die nach wie vor Lokalgötter blieben, zu denen man nach wie vor hinpilgerte und noch heute pilgert. So z. B. wurde aus der Riesen tötenden Athena von Seleucia eine »heilige Thekla von Seleucia«; die Altäre der Jungfrau Artemis wurden nur umgetauft zu Altären der »Jungfrau Mutter Gottes«; der Gott von Colossus galt fortan als Erzengel Michael — — — Für die Bevölkerungen war der Unterschied kaum bemerkbar (siehe Ramsay: The church in the Roman Empire, S. 466 fg.). Mit diesen uralten volksmässigen, durchaus unchristlichen und antichristlichen Superstitionen hing nun der ganze Bilderkult zusammen; die Kirche konnte so viele »distinguo« einführen wie sie wollte, das Bild blieb doch, wie der Stein zu Mekka, ein mit magischen Kräften begabter Gegenstand. Solchen Thatsachen gegenüber, die nicht nur in Kleinasien, sondern in ganz Europa die Fortdauer des Glaubens an lokale wunderwirkende Gottheiten bis auf den heutigen Tag (so weit Rom’s Einfluss reicht) bewirkten (man vergl. Renan: Marc-Aurèle, ch. 34), nehmen sich die »Beweise«, die Gregor II. in seinen Briefen an Leo für die Bilderverehrung vorbringt, sehr drollig aus. Zwei sind es namentlich, welche schlagend wirken sollen. Die von Christus

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/91>, abgerufen am 29.03.2024.